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Julia Reisenbauer beschleunigt die Suche nach Medikamenten

Prix Schläfli 2024 für Chemie: Schon als Kind wollte sie Wissenschaftlerin werden. Jetzt wird Julia Reisenbauer mit dem Prix Schläfli in Chemie für ihren Beitrag zum «skeletal editing» ausgezeichnet. Dabei werden Moleküle gezielt so umgebaut, dass sie bestimmte Funktionen wahrnehmen.

Prix Schläfli 2024 / Julia Reisenbauer
Bild: Julia Reisenbauer

Astrid Tomczak-Plewka

Unbekümmert. Das ist der erste Eindruck, den Julia Reisenbauer erweckt. Ein Mensch, der voller Optimismus die Welt entdeckt, wissbegierig auf das, was noch kommen mag. So war es auch, als die Gymnasiastin mit Schwerpunkt Naturwissenschaften aus dem Umland von Wien vor der Studienwahl stand: Chemie, Biologie oder Pharmazie waren in der engeren Auswahl. «Aber es hat sich schnell herauskristallisiert, dass es Chemie sein soll.» Ebenso klar war für sie, dass sie nicht ihr ganzes Studium in Österreich bleiben würde. Ihr Vater brachte sie auf die Idee, sich die ETH Zürich anzuschauen. «Ehrlich gesagt war mir der Ruf der ETH zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst», sagt sie. «Ich war in meiner Analyse eher naiv. Ich dachte einfach, ich versuche es. Wenn es funktioniert, dann ist gut und wenn nicht, dann ergibt sich was anderes. Das habe ich irgendwie bis heute beibehalten.»

Während ihres Masterstudiums absolvierte die Niederösterreicherin ein Forschungspraktikum am Max-Planck-Institut in Mülheim an der Ruhr bei ihrem späteren Doktorvater Bill Morandi. Morandi hat ein Forschungsgebiet etabliert, in welchem Synthesemethoden entwickelt werden, um Moleküle systematisch so umzubauen, dass sie möglicherweise bei pharmazeutischen Anwendungen bestimmte Aufgaben übernehmen könnten. Eine zentrale Rolle, um die Reaktion von Molekülen zu beeinflussen, spielen die Seitenketten, die rund um einen Molekülkern «andocken». So wird beispielsweise eine in Wasser unlösliche Substanz löslich. Medikamente können wirksamer werden, indem die richtige chemische Gruppe hinzugefügt wird. Dieses Verfahren nennt sich «peripheral editing».

Wirkstoffe schneller testen

Reisenbauer ist mit ihrer Dissertation an der ETH sozusagen ins Herz der Moleküle vorgedrungen: Beim «skeletal editing» geht es darum, das molekulare Skelett zu modifizieren. Die Doktorandin hat das bei Indolen gemacht. Indole kommen in der Natur und auch im menschlichen Körper sehr häufig vor, etwa in der Seitenkette von Tryptophan, einer natürlich vorkommenden Aminosäure. Sie bilden die Basis für viele pharmazeutische und industrielle Anwendungen. Reisenbauer ist es gelungen, den Fünfring mit einem zusätzlichen Stickstoffatom zu erweitern. Mit der neuen Methode könnten künftig Wirkstoffe viel schneller getestet und gefunden werden, da die langwierige de novo Synthese umgangen werden kann und direkt neue Molekülklassen in wenigen Syntheseschritten entstehen. «Aus den Rückmeldungen, die ich bereits von zahlreichen Pharmaunternehmen erhalten habe, geht hervor, dass diese leistungsstarke und einfach zu handhabende Reaktion den medizinischen Chemikern hilft, ihre Molekül-Bibliotheken zu diversifizieren und letztlich die Entdeckung neuer Therapeutika zu rationalisieren» schreibt Reisenbauers Betreuer Bill Morandi.

«Man muss ausprobieren»

Seit September 2023 ist die Prix Schläfli Preisträgerin mit einem Postdoc-Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds am California Institute of Technology in Pasadena. «Ich bin super glücklich, dass ich diese Chance erhalten habe», sagt sie. Was sie in ihrer Arbeit antreibt, ist die Faszination für Grundlagenforschung und der Wunsch «Mechanismen zu verstehen, die helfen können in neue Richtungen zu denken und neue Sachen auszuprobieren.» Und dann sagt sie einen Satz, der fast banal klingt – und doch den Kern der Forschung beschreibt: «Wenn man es nicht ausprobiert, kann man nicht wissen, ob es wirklich funktioniert.» Und mit dem Ausprobieren kommen auch Niederlagen: «Erfolg ist immer sehr einfach mitzunehmen», sagt sie «aber ich konnte auch lernen, Misserfolge zu überstehen, weiterzumachen, und nicht die Freude zu verlieren.»

Diese Entdeckerfreude zieht sich wie ein roter Faden durch Julia Reisenbauers Leben: «Ich und meine Geschwister waren sehr privilegiert. Wir waren immer wieder in Museen, durften vieles ausprobieren», sagt sie. Schon als Kind habe sie erzählt, sie wolle mal Wissenschaftlerin werden. Diesen Kindheitswunsch hat sie sich nun erfüllt. Und ihrem Drang, immer wieder was Neues kennen zu lernen, lebt sie auch in der Freizeit nach, sei es bei Reisen – zuletzt nach Japan – oder im Sport. «Ich treibe sehr viel Sport, und mit den Ortswechseln ändert sich auch die Sportart.» Früher war sie oft mit dem Mountainbike unterwegs, in Kalifornien hat sie gerade eine Bouldergruppe aufgebaut und geht viel wandern. «Meinen Kopf beschäftige ich mit Wissenschaft. Aber mein Körper muss einfach raus in die Natur.»

Dazu gehört

Prix Schläfli 2024 / Winners

Prix Schläfli 2024 für die vier besten Dissertationen in den Naturwissenschaften

Julia Reisenbauer (Chemie), Gabriel Jorgewich-Cohen (Biologie), Jonathan Gruber (Mathematik) und Gilles Antoniazza (Geowissenschaften) werden für Erkenntnisse im Rahmen ihrer Dissertationen mit dem Prix Schläfli 2024 ausgezeichnet. Die Akademie der Naturwissenschaften

Bild: SCNAT

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