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Jonathan Gruber teilt hochdimensionale Objekte

Prix Schläfli 2024 Mathematik: Mit seiner Dissertation hat er sogar seine Betreuerin an den Rand ihrer Expertise gebracht: Jonathan Gruber bricht mehrdimensionale Objekte auf Koordinaten runter und erntet damit in der mathematischen Welt höchstes Lob – und den Prix Schläfli 2024 für Mathematik.

Prix Schläfli 2024 / Jonathan Gruber
Bild: Phyllis Kai Ling Brown

Astrid Tomczak-Plewka

Für die meisten Menschen ist höhere Mathematik eine komplexe Angelegenheit, vor der sie kapitulieren. Und dann gibt es Menschen wie Jonathan Gruber, der schon als Schüler in Mathematik-Olympiaden reüssierte und ein paar Vorlesungen an der Uni besuchte. Für ihn ist Mathematik vielleicht nicht einfach, aber zumindest klar. «In der Mathematik gibt es eine relativ eindeutige Definition davon, was wahr, also beweisbar ist und was nicht», sagt der diesjährige Preisträger des Prix Schläfli in Mathematik. «Und soweit ich es verstehe, muss man in vielen anderen Wissenschaften von vornherein von irgendwelchen Annahmen ausgehen, ohne die es nicht funktioniert.»

Die vorsichtige Wortwahl ist wohl typisch für ihn. Während des Gesprächs wirkt er hochkonzentriert und hält immer wieder inne – im Wissen, dass sich das, was er täglich treibt, kaum in Alltagssprache übersetzen lässt. Er hat sich in seiner Dissertation an der EPFL mit einem Teilgebiet der Darstellungstheorie beschäftigt. In der Darstellungstheorie geht es grob gesagt um Symmetrien von Räumen und algebraischen Objekten, also beispielsweise einem Würfel. Solche Symmetrien können mathematisch in einem Koordinatensystem beschrieben werden. Nun gibt es ja nicht nur relativ simple Objekte wie einen Würfel, sondern komplexere mit viel höheren Dimensionen. Diese zerstückelt man quasi in kleinere Objekte. Dann kann man die Koordinaten eines dreidimensionalen Objektes mit denjenigen eines vierdimensionalen multiplizieren und erhält dadurch zwölf Dimensionen – also ein weit komplexeres Objekt als die beiden Ausgangsobjekte. Das sind so genannte Tensorprodukte.

Brilliant allgemein gültige Ergebnisse geschaffen

«Die wesentliche Frage meiner Doktorarbeit war jetzt, wie man diese multiplizierte Darstellung wiederum in kleinere Stücke zerbrechen kann», sagt Gruber. Das mag für Laien schon fast banal tönen, aber für die Wissenschaft hat seine Arbeit Pioniercharakter. «Es ist notorisch schwierig, in diesem Bereich allgemein gültige Ergebnisse zu erzielen. Aber Jonathan hat es auf brillante Weise geschafft», schreibt Grubers Betreuerin Donna M. Testermann von der EPFL und räumt ein: «Er ging schnell über mein Fachgebiet hinaus». Dafür zitiert sie einen Experten auf Grubers Gebiet: «Der Kandidat ist gut aufgestellt, um vielleicht der führende Vertreter seiner Generation in der rationalen Darstellungstheorie algebraischer Gruppen zu werden.» Gute Aussichten also für den 27-Jährigen. Zurzeit ist er mit einem Postdoc Mobility Grant des Schweizerischen Nationalfonds an der Universität York in England. Seine Zukunft sieht er denn auch in der akademischen Welt und ist sehr glücklich darüber, dass ihm der Prix Schläfli dafür vielleicht den Weg ebnet.

Gewichte stemmen…

Um Abstand von den abstrakten Problemen zu gewinnen, fordert Jonathan Gruber seinen Körper in besonderem Ausmass: Seit er 19 ist, trainiert er mehrmals wöchentlich Gewichtheben – das klassische Reissen und Stossen, wie man es von Olympioniken kennt. «Ich habe relativ lange Kampfsport gemacht und merkte plötzlich, dass es mir gar nicht liegt, gegen einen Gegner anzutreten», erzählt er. Beim Gewichtheben ist er sein eigener Konkurrent, feilt an seiner Technik. «Mit viel Disziplin kann man dabei weit kommen. Die physische Anstrengung hilft mir abzuschalten.» Doch auch intellektuell fordert sich der Ausnahmemathematiker ausserhalb seiner Forschung. «Ich lese sehr gerne – auch auf Englisch und Französisch, um die Fremdsprachen nicht zu verlieren.»

…und Podcast-Marathons

Und abends kocht er gerne – seit einigen Jahren vegan – und zwar grosse Portionen, damit es am nächsten Tag noch fürs Mittagessen reicht. Doch auch am Herd sorgt er dafür, dass sein Geist nicht zu kurz kommt. Er hört gerne Podcasts – einer seiner Favoriten ist der unendliche Zeit-Podcast «Alles gesagt?». Dabei unterhalten sich zwei Journalisten stundenlang mit ihren Gästen – so lange, bis diese mit einem am Anfang definierten Codewort das Gespräch beenden. Der Podcast hat Kult-Status, aber es gibt wohl wenige so akribische Hörer wie Jonathan Gruber: Er hat alle rund 80 Folgen in voller Länge gehört. Für manche Menschen mag das etwas zwanghaft wirken. Für Jonathan Gruber ist es konsequent. Denn so klar wie die Mathematik, so klar mag er auch sein Leben. Oder in seinen Worten: «Ich würde schon behaupten, dass mein Alltag relativ organisiert ist.»

Dazu gehört

Prix Schläfli 2024 / Winners

Prix Schläfli 2024 für die vier besten Dissertationen in den Naturwissenschaften

Julia Reisenbauer (Chemie), Gabriel Jorgewich-Cohen (Biologie), Jonathan Gruber (Mathematik) und Gilles Antoniazza (Geowissenschaften) werden für Erkenntnisse im Rahmen ihrer Dissertationen mit dem Prix Schläfli 2024 ausgezeichnet. Die Akademie der Naturwissenschaften

Bild: SCNAT

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