Tierversuche, darf man das? Im Webportal geben Forscherinnen und Forscher der Gesellschaft für Versuchstierkunde Antworten aus ihrer Sicht auf häufig gestellte Fragen.

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Was sind belastende oder schwer belastende Tierversuche?

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV definiert die Schwergrade von Tierversuchen. Je stärker die Belastung ist, desto grösser der Schweregrad: Gemäss Tierversuchsverordnung (Art. 24) werden Belastungen von Tieren durch Eingriffe oder Massnahmen im Rahmen von Tierversuchen in vier Belastungskategorien eingeteilt. Am Schluss gilt es abzuwägen, ob der Nutzen die Belastung der Tiere rechtfertigt. Der erwartete Nutzen von Tierversuchen für die Gesellschaft muss grösser sein als das Leiden und die Verletzung der Würde der Tiere.

Schweregrad 0: keine Belastung, z.B. Beobachtungsstudien
Eingriffe und Handlungen an Tieren zu Versuchszwecken, die den Tieren keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, sie nicht in Angst versetzen und ihr Allgemeinbefinden nicht beeinträchtigen (Definition BLV).

Fast die Hälfte der Versuchstiere wird in Tierversuchen eingesetzt, in denen sie nur mit dem Schweregrad 0 belastet werden

Hierbei kann es sich z.B. um Futtermittelstudien handeln, bei denen die Akzeptanz und Verträglichkeit eines Spezialfuttermittels getestet wird oder bei denen positive Einflüsse auf Milchleistung von Kühen geprüft werden. Auch kann der Einsatz in der Schweiz wachsender Grünfuttermittel als Ersatz für importiertes Soja bei Milchkühen überprüft werden – ein Versuchsansatz, von dem neben den Kühen auch die Umwelt profitiert.

Keine Belastung liegt beispielsweise auch bei Verhaltensbeobachtungsstudien vor, bei denen neue verbesserte Haltungssysteme für Nutztiere getestet wird oder bei denen grundlegende Verhaltensbiologische Frage bei einer bestimmten Tierart untersucht werden. Auch ein Test von neuartigen Melkrobotern, der überprüfen soll, ob Milchkühe sich häufiger melken lassen und eine bessere Eutergesundheit haben, wenn sie sich zu von ihnen bevorzugten Zeiten melken lassen können, ist ein nicht belastender Tierversuch.

Schweregrad 1: leichte Belastung
Eingriffe und Handlungen an Tieren zu Versuchszwecken, die kurzfristige leichte Schmerzen oder Schäden oder eine leichte Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens bewirken.

Hierzu zählen Massnahmen, die an einem Tier nur unter Anästhesie durchgeführt werden können, z.B. technisch schwierig durchzuführende Applikationen oder darstellende Aufnahmen mittels MRT oder Computertomographie, bei denen die Tiere sich nicht bewegen dürfen. Auch eine Fütterung einer fettreichen Diät zu Versuchszwecken, die Mäuse dick werden lässt, ohne dass sie Diabetes mellitus entwickeln, gilt als leichte Belastung. Ein weiteres Beispiel sind Infektionen zu Versuchszwecken, die bei den Versuchtieren keine oder höchstens kurzfristig schwache klinische Symptome hervorrufen. Solche Infektionen werden z.B. durchgeführt, um den Verlauf von parasitösen Erkrankungen in Tieren (z.B. Darm- und Leberwürmer) und Menschen (z.B. Malaria) zu untersuchen.

Schweregrad 2: mittlere Belastung
Eingriffe und Handlungen an Tieren zu Versuchszwecken, die kurzfristige mittelgradige oder mittel- bis langfristig leichte Schmerzen, Leiden oder Schäden, eine kurzfristige mittelgradige Angst oder eine kurz- bis mittelfristige schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens bewirken.

Als Beispiel können Verträglichkeitsstudien mit verabreichten Substanzen gegeben werden, die kurzfristige mittelgradige oder langfristige leichte Reaktionen ohne höhere Sterblichkeit erwarten lassen und die die Tiere nicht schwer belasten. Auch operative Eingriffe wie die Kastration von Weibchen oder das Anbringen von Implantaten am intakten Bewegungsapparat fallen unter diesen Schweregrad.

Schweregrad 3 schwere Belastung, z.B. Verpflanzung von aggressiven Tumoren in Tiere
Eingriffe und Handlungen an Tieren zu Versuchszwecken, die mittel- bis langfristige mittelgradige Schmerzen oder schwere Schmerzen, langfristiges mittelgradiges bis schweres Leiden, mittel- bis langfristige mittelgradige Schäden oder schwere Schäden, langfristige schwere Angst oder eine schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens bewirken.

Hierzu zählen z.B. die Verpflanzung von aggressiven Tumoren in Tiere zur Untersuchung der Tumorentwicklung oder Gelenk- bzw. Organtransplantationen.

Entscheidend für die Begrenzung des Schweregrades sind sogenannte Abbruchkriterien sein: Die Forschenden müssen genau festlegen, bei welchen Belastungen oder Resultaten ein Tierversuch abgebrochen wird bzw. lindernde Massnahmen wie der Einsatz von Schmerzmitteln angewendet werden. . Man spricht hier von „humane endpoints“, humanen Endpunkten, bei denen ein Versuch beendet werden muss.

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