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Das Start-up Positrigo nutzt Erkenntnisse der Teilchenphysik zur Alzheimer-Frühdiagnose

PET-Scanner im Kompaktformat

Die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) hilft Ärztinnen und Ärzten bei der Erkennung von Krebs und vielen anderen Erkrankungen. Nun arbeitet ein Forscherteam um ETH-Professor Günther Dissertori an einer neuen Generation von PET-Scannern, die künftig in der pharmakologischen Forschung und bei der Behandlung von Alzheimer-Patienten gute Dienste leisten könnten. Die Grundlagen für die technische Innovation stammen unter anderem aus der Grundlagenforschung am CERN.

PET-Aufnahme von Gehirnen ohne (oben) und mit (unten) Amyloid-Ablagerungen. Die Ablagerungen sind an der roten Einfärbung erkennbar, auch bei verringerter Ortsauflösung (Mitte und rechts).
Bild: USZ/Alfred Buck, Jannis Fischer

Die ersten PET-Scanner entstanden in den 1970er Jahren. Beteiligt an der Weiterentwicklung der Technologie waren unter anderem Forscherinnen und Forscher des Europäischen Teilchenphysiklabors CERN und des Kantonspitals Genf. Die medizinischen Diagnosegeräte leisten seither wertvolle Dienste, insbesondere in der Krebsdiagnostik. Seit rund zwanzig Jahren werden PET-Scanner in der Spitalpraxis mit Computer- (CT) oder Magnetresonanz-Tomographen (MRT) kombiniert. Diese Kombigeräte sind besonders leistungsfähig, da sie die Informationen der PET-Scanner über Stoffwechsel-Vorgänge mit hoch aufgelösten CT- oder MRT-Daten zur Anatomie verbinden.

CERN-Technologie im Dienst der Krebsmedizin

„Der PET-Scanner ist voll von moderner Physik“, sagt ETH-Professor Günther Dissertori, „er beruht auf dem radioaktiven Beta-Zerfall, auf der Einstein-Formel E = mc2, aber auch auf der Annihilation von Materie und Antimaterie.“ Günther Dissertori ist Experte für Elementarteilchen. Er ist mit seinem Forscherteam massgeblich am CMS-Experiment beteiligt, einem der vier grossen Experimente, die seit 2010 am grossen CERN-Teilchenbeschleuniger laufen. Dieses Experiment untersucht die elementaren Teilchen, die bei der Kollision von Protonen entstehen. Dafür nutzen die Teilchenphysiker einen Detektor, der aus Schalen besteht wie eine Zwiebel. Jede dieser Schalen kann bestimmte Arten von Elementarteilchen erkennen.


Eine der Schalen ist der elektromagnetische Kristalldetektor. Er besteht aus ca. 80‘000 künstlichen Kristallen. Trifft ein Lichtteilchen (Photon) auf eines dieser Kristalle, löst es einen Lichtblitz aus, der mit Photosensoren detektiert werden kann. Mit dem Kristalldetektor werden am CERN also Photonen gemessen, die bei Proton-Proton-Kollisionen entstehen. „Exakt diese Technologie machen wir uns beim PET-Scanner zunutze“, sagt Dissertori. Wenn Patienten mit einem PET-Scanner untersucht werden, erhalten sie eine schwach radioaktive Substanz („Tracer“). Diese gibt im Zuge des radioaktiven Beta-Plus-Zerfalls Positronen (Antiteilchen der Elektronen) ab, die im Körper mit Elektronen annihilieren und dabei zwei entgegengesetzt gerichtete Gamma-Photonen erzeugen (beide Photonen haben gemäss der Einstein-Formel die Energie eines Elektrons/Positrons, nämlich 511 Kiloelektronenvolt). Der Kristalldetektor des PET-Scanners kann diese Photonen-Paare erkennen und ihren Herkunftsort bestimmen. Auf diesem Weg können Forscher Bereiche mit Tracer-Akkumulationen rekonstruieren und daraus z.B. wertvolle Informationen über die Stoffwechselvorgänge im Körper des Patienten ableiten.

Stoffwechselvorgänge praktisch in Echtzeit abbilden

Die riesigen Forschungsgeräte, die für die Grundlagenforschung am CERN entwickelt wurden, bieten also quasi die Blaupause für den Bau medizinischer Diagnostikgeräte. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Teilchenphysiker Günther Dissertori seit rund zehn Jahren das am CERN gewonnene Wissen für medizinische Anwendungen nutzbar macht. Ein Ergebnis dieser Arbeit ist der Prototyp eines neuartigen präklinischen PET-Sanners unter dem Namen SAFIR (kurz für: Small Animal Fast Insert for MRI). Die Innovation des neuen Scanners ist sein Tempo: Im Gegensatz zu älteren PET-Scannern kann er pro Zeiteinheit mehr Photonen erkennen, kann also eine höhere Rate von radioaktiven Zerfällen verarbeiten und dynamische Abläufe in Versuchstieren wie Mäusen oder Ratten beinahe in Echtzeit darstellen.

SAFIR wurde in Zusammenarbeit mit dem Pharmakologen Prof. Bruno Weber (Universität Zürich) für die präklinische Forschung entwickelt. Die Wissenschaftler untersuchen mit ihm unter anderem den Blutfluss und die Sauerstoffverteilung im Gehirn von Versuchstieren. Der weltweit einzigartige PET-Scanner erlaubt es, diese Vorgänge im Zeitverlauf zu messen. Der 2019 fertiggestellte Prototyp besteht aus knapp 3000 Kristallen. Er erreicht zusätzlich zu einer räumlichen Auflösung von knapp unter 2 mm eine zeitliche Koinzidenz-Auflösung von 194 Pikosekunden und ermöglicht Bildrekonstruktionen innerhalb von Sekunden – ein Rekordwert. „Für die praktische Anwendung in PET/MR-Geräten ist bedeutsam, dass unser PET-Scanner trotz der starken Magnetfelder des MRT einwandfrei arbeitet“, unterstreicht Dissertori einen Vorzug des Prototyps.

Frühzeitige Alzheimer-Erkennung

Nicht nur in der Forschung, auch bei Diagnose und Therapie der Alzheimer-Erkrankung versprechen PET-Scanner grosses Potenzial. Die Scanner sind schon heute die verlässlichste Methode zur Erkennung von Amyloid-Plaques. Das sind die Eiweiss-Ablagerungen, die im Zusammenhang mit der Zerstörung der Gehirnzellen von Alzheimer-Patienten stehen und die schon viele Jahre vor Ausbruch der ersten Krankheitssymptome nachweisbar sind. Lassen sich die Ablagerungen mit Vorsorge-Scans erkennen, könnten Menschen möglicherweise noch vor Ausbruch der Krankheit behandelt werden. Die Alzheimer-Medikamente, die gegenwärtig entwickelt werden, könnten dank der Vorsorgediagnostik in einem frühen Krankheitsstadium verabreicht werden – ein Zeitpunkt, zu dem sie möglicherweise besonders wirksam sind.

„Wenn wir Vorsorge-Scans für eine breite Bevölkerung verfügbar machen wollen, brauchen wir kleinere und günstigere Scanner als bisher verfügbar“, sagt ETH-Forscher Dissertori. Aufbauend auf einer Idee von Prof. B. Weber und Prof. em. Alfred Buck (ehemalige Nuklearmedizin, Unispital Zürich) haben Jannis Fischer und Max Ahnen, zwei ehemalige Doktoranden am Institut für Teilchen- und Astrophysik, einen kompakten Scanner entwickelt. Er sieht der Haube eines Coiffeurstuhls ähnlich und ist damit wesentlich kleiner als die bisher üblichen, raumfüllenden Ganzkörper-Scanner. Mit dem 2018 gegründeten Start-up Positrigo wollen sie den neuartigen PET-Scanner auf den Markt bringen. Ziel ist, die Kosten eines PET-Scans von heute 3000 bis 4000 Fr. um einen Faktor 10 zu verringern. Momentan stehen die Jungunternehmer vor dem Abschluss einer ersten Investorenrunde, welche die Kommerzialisierung des Geräts ermöglichen soll. Ab diesem Jahr sind die ersten klinischen Studien geplant. Diese bilden die Voraussetzung, um das medizintechnische Gerät bei Patientinnen und Patienten einsetzen zu können.

Tumorzerstörung im Detail verfolgen

Günther Dissertori ist Wissenschaftler an der ETH, und er hat persönlich nicht vor, Unternehmer zu werden. Das sei „eine andere Welt“, die Welt der Businesspläne, Verträge und Marktanalysen, sagt Dissertori. Doch auch wenn Dissertori selber der Wissenschaft treu bleibt: Die Anwendungen, die aus dieser Wissenschaft hervorgehen, ermöglichen immer neue Anwendungen. So könnten kompakte PET-Scanner in Zukunft in Spitälern eingesetzt werden, um das Gehirn von vulnerablen Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen untersuchen zu können. Eine weitere Anwendung zielt auf eine Verbesserung der Protonentherapie ab. Der PET-Scanner soll Ärztinnen und Ärzte in die Lage versetzen, die Präzision der Tumorzerstörung mittels Protonenbestrahlung noch während der Behandlung zu beurteilen und zu verbessern. Entsprechende Forschungsprojekte, die von Prof. Dissertori geleitet und vom Schweizer Nationalfonds finanziert werden, starten im Herbst 2020 am Waadtländer Universitätsspital CHUV und am Protonentherapie-Zentrums des Paul Scherrer Instituts in Villigen/AG).

Autor: Benedikt Vogel

  • PET-Aufnahme von Gehirnen ohne (oben) und mit (unten) Amyloid-Ablagerungen. Die Ablagerungen sind an der roten Einfärbung erkennbar, auch bei verringerter Ortsauflösung (Mitte und rechts).
  • Der Detektor des CMS-Experiments am CERN: In der Vakuumröhre des Kreisbeschleunigers (grau, von einer orange gezeichneten Schutzhülle umgeben) bewegen sich in beide Richtungen Protonen, die in der Mitte des Detektors zur Kollision gebracht und dabei neue Teilchen produzieren. Diese Teilchen sind sehr vielfältig; jede Art wird von verschiedenen Schichten des Detektors erkannt. Die zweitinnerste Schicht ist der Kristalldetektor (grün), der unter anderem Photonen (Lichtteilen) aufspüren kann. Solche Kristalldetektoren bilden – in kleinerem Massstab – die Grundlage von PET-Scannern.
  • SAFIR, der Prototyp eines besonders leistungsfähigen PET-Scanners, kann dynamische metabolische Vorgänge abbilden. Türkisgrün sind die Kristalle dargestellt, welche die Photonen detektieren. SAFIR verdankt seine Leistungsfähigkeit vor allem einer ausgeklügelten Ausleseelektronik.
  • Damit ein PET-Scanner viele „Fotos schiessen“ und biologische Vorgänge im Zeitverlauf darstellen kann, muss er Photonen in hoher zeitlicher Auflösung registrieren und hohe Photonenraten – gemessen in Megabecquerel/MBq, entspricht Millionen Zerfälle pro Sekunde – verarbeiten können. Ein konventioneller präklinischer PET-Scanner arbeitet z.B. mit Zerfallsraten von im Bereich von 10-50 MBq (links), während es SAFIR problemlos auf ~100 MBq und auch höher (z.B. 500 MBq) bringt (rechts). Die Verarbeitung von hunderten von MBq ermöglicht es, z.B. schon nach fünf Sekunden ein Bild mit guter Qualität „fotografieren“ können (rechtes Bild). Diese Bilder lassen sich anschliessend zu einem Film zusammensetzen, der die körperlichen Vorgänge im Zeitverlauf abbildet, und zwar praktisch in Echtzeit.
  • Der PET-Scanner für Alzheimer-Vorsorgescans des Zürcher Start-ups Positrigo.
  • PET-Aufnahme von Gehirnen ohne (oben) und mit (unten) Amyloid-Ablagerungen. Die Ablagerungen sind an der roten Einfärbung erkennbar, auch bei verringerter Ortsauflösung (Mitte und rechts).Bild: USZ/Alfred Buck, Jannis Fischer1/5
  • Der Detektor des CMS-Experiments am CERN: In der Vakuumröhre des Kreisbeschleunigers (grau, von einer orange gezeichneten Schutzhülle umgeben) bewegen sich in beide Richtungen Protonen, die in der Mitte des Detektors zur Kollision gebracht und dabei neue Teilchen produzieren. Diese Teilchen sind sehr vielfältig; jede Art wird von verschiedenen Schichten des Detektors erkannt. Die zweitinnerste Schicht ist der Kristalldetektor (grün), der unter anderem Photonen (Lichtteilen) aufspüren kann. Solche Kristalldetektoren bilden – in kleinerem Massstab – die Grundlage von PET-Scannern.Bild: CERN, Switzerland2/5
  • SAFIR, der Prototyp eines besonders leistungsfähigen PET-Scanners, kann dynamische metabolische Vorgänge abbilden. Türkisgrün sind die Kristalle dargestellt, welche die Photonen detektieren. SAFIR verdankt seine Leistungsfähigkeit vor allem einer ausgeklügelten Ausleseelektronik.Bild: ETHZ, Switzerland3/5
  • Damit ein PET-Scanner viele „Fotos schiessen“ und biologische Vorgänge im Zeitverlauf darstellen kann, muss er Photonen in hoher zeitlicher Auflösung registrieren und hohe Photonenraten – gemessen in Megabecquerel/MBq, entspricht Millionen Zerfälle pro Sekunde – verarbeiten können. Ein konventioneller präklinischer PET-Scanner arbeitet z.B. mit Zerfallsraten von im Bereich von 10-50 MBq (links), während es SAFIR problemlos auf ~100 MBq und auch höher (z.B. 500 MBq) bringt (rechts). Die Verarbeitung von hunderten von MBq ermöglicht es, z.B. schon nach fünf Sekunden ein Bild mit guter Qualität „fotografieren“ können (rechtes Bild). Diese Bilder lassen sich anschliessend zu einem Film zusammensetzen, der die körperlichen Vorgänge im Zeitverlauf abbildet, und zwar praktisch in Echtzeit.Bild: ETHZ, Switzerland4/5
  • Der PET-Scanner für Alzheimer-Vorsorgescans des Zürcher Start-ups Positrigo.Bild: HSLU, M. Furrer5/5

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  • Elementarteilchenphysik

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