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Zukunftsfähiges Wohnen ist gefragt

ProClim Flash 69

Wir brauchen immer mehr Wohnfläche in der Schweiz mit Folgen für unseren Energie­ und Ressourcenverbrauch. Es braucht nachhaltige Wohnformen, welche Gesellschaft, Ökologie und Wirtschaft gleichermassen berücksichtigen. Das schaffen zum Beispiel Cluster­-Wohngemeinschaften.

Zukunftsfähiges Wohnen ist gefragt
Bild: ProClim

Die meisten Menschen verbringen einen grossen Teil ihrer Zeit dort, wo sie gerade wohnen – entsprechend wichtig ist für sie diese Umgebung, die sie selber mehr oder weniger mitgestalten können. Die Identifikation mit dem Wohnort ist ein wichtiger Wohlfühlfaktor. Die englische Sprache zeigt, wie nahe Wohnen und Leben sind: Beides wird übersetzt mit «to live». Wo und wie wir wohnen wirkt sich auch auf unsere Umwelt aus.

CO2-effiziente Technologien

Die für die Baubranche wichtigsten Ergebnisse aus dem fünften Sachstandbericht des IPCC machen es deutlich: Weltweit sind 20 Prozent aller Treibhausgasemissionen auf Gebäude zurückzuführen. Bis 2050 könnte sich dieser Wert global sogar verdoppeln. Will man dies verhindern, muss sich der Energieverbrauch von Gebäuden dank verschiedener Massnahmen reduzieren. Optimale Gebäudehüllen, energieeffiziente Technologien wie sparsame Haushaltsgeräte, effiziente Beleuchtungs-, Heiz- oder Lüftungstechnik oder eine verbesserte Gebäudeautomation mit intelligenter Licht- und Stromnutzung haben ein grosses CO2-Sparpotenzial. Zudem ist eine Umstellung auf erneuerbare Energien notwendig, um eine deutliche Emissionssenkung zu erreichen. Auch mit der Wahl der Baumaterialien kann vieles erzielt werden. Holz in einem Gebäude verbaut ist zudem ein ausgezeichneter CO2-Speicher.

Bei Neubauten ist die Umsetzung oft einfacher und Niedrigenergiehäuser wurden in den letzten Jahren wirtschaftlich attraktiver. Die Sanierung von Altbauten ist hingegen oft komplex, aber nicht weniger wichtig. Im Bericht «Brennpunkt Klima Schweiz» wird klar, dass die jährliche Erneuerungsrate mit rund einem Prozent weiterhin zu tief ist, um die Minderungsziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen. Dazu müsste sie doppelt so hoch sein und es bräuchte jeweils eine vollständige energetische Sanierung von Haustechnik, Fassade, Fenster und Dach. Zudem wird der Fortschritt in der Energieeffizienz von Gebäuden, Geräten oder auch Fahrzeugen teilweise oder sogar ganz durch eine Zunahme des Verbrauchs kompensiert. Somit ist ein Teil des Problems auf den sogenannten Rebound-Effekt zurückzuführen.

Bauen für die Zukunft

Nachhaltiges Wohnen bedeutet mehr als Labels, Standards und Passivhäuser. «Für ein zukunftsfähiges Wohnen ist eine Gesamtbetrachtung des Bauprojekts, der Wohnsituation notwendig», erklärt Peter Schürch, Architekt SIA. Schürch ist Professor für Architektur an der Berner Fachhochschule und forscht hauptsächlich in den Bereichen nachhaltige Konzepte, zukunftsgerechtes Bauen und Ressourceneffizienz. Neben dem Energie- und Ressourcenverbrauch eines Gebäudes seien auch die Wohnqualität und die Nähe von ÖV, Einkaufen oder Schule wichtig und das damit verbundene Mobilitätsverhalten.

Soziale Aspekte wie der Austausch in der Nachbarschaft, Generationendurchmischung oder lebendige Quartiere gehörten einfach dazu, betont Schürch. Bezahlbarer qualitätsvoller Wohnraum in der Stadt selbst oder in Stadtnähe mit ansprechendem Aussenraum sei gefragt.

Steigender Wohnflächenverbrauch pro Person

In der Schweiz ist das Einfamilienhaus weiterhin ein beliebtes Zuhause. 68 Prozent aller seit 2000 erbauten Gebäude mit Wohnnutzung sind Einfamilienhäuser. Bewohnt werden sie von 28 Prozent der Gesamtbevölkerung. Rund ein Drittel aller Familien wohnt in einem Häuschen ausserhalb der Stadt. Peter Schürch bezeichnet das Einfamilienhaus als eine per se wenig nachhaltige Wohnform, da der Ressourcenverbrauch an Land und Energie hoch sei. Hinzu kommt, dass der Flächenverbrauch pro Kopf von Einfamilienhäusern stetig ansteigt.

Um herauszufinden, wie nachhaltig die Entwicklung und Nutzung des Lebensraumes sind, dient der Wohnflächenverbrauch pro Kopf als wichtige Kenngrösse – dies, weil er stark mit dem Energie- und Ressourcenverbrauch korreliert. Zahlen des Bundesamtes für Wohnungswesen zeigen, dass in der Schweiz immer mehr Wohnraum benötigt wird, auch wenn die Bevölkerung nicht im gleichen Masse zunimmt. Zwischen 1980 und 2016 hat der durchschnittliche Pro-Kopf-Wohnflächenverbrauch um elf Quadratmeter oder um beinahe einen Drittel zugenommen, von 34 Quadratmeter pro Kopf auf 45 Quadratmeter. Gründe dafür sind sowohl der steigende Wohlstand als auch die immer kleiner werdende durchschnittliche Haushaltsgrösse. In jedem dritten Haushalt lebt nur eine Person. Hinzu kommt die anhaltende Beliebtheit des Fläche zehrenden Einfamilienhauses.

Renditebauten mit Bumerang

Eine weitere häufig anzutreffende Wohnform in der Schweiz sind die klassischen Mehrfamilienhäuser, die im Fachjargon auch «Renditebauten» genannt werden. Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung wohnt in einer Drei- oder Vierzimmerwohnung. Renditebauten fehle oft eine attraktive, qualitätsvolle Umgebungsgestaltung und wenig Möglichkeiten für die Mieterschaft sich die Wohnungen anzueignen, findet Peter Schürch. Wenn die privaten Aussenräume klein oder unattraktiv sind, Verweil- sowie Kommunikationsorte fehlen und eine Identifikation mit dem Wohnort nicht erfolgt, würden Bewohnerinnen und Bewohner eher am Wochenende wegfahren. Dies wiederum führe zu einer wenig belebten Siedlung und zu erhöhtem Freizeitverkehr.

Städte sind gefragt

Die Leiterin des ETH-Wohnforums, Marie Glaser, macht im Interview mit dem Nachrichtenportal Nau.ch einen neuen Trend aus: Immer mehr Menschen ziehe es zurück in die Städte. Nicht nur Junge, auch ältere Personen und Familien. Die kurzen Wege zum Einkaufen, zur Schule, Arbeit oder Freizeit sind attraktiv und ein dichtes ÖV-Netz steht zur Verfügung. Dies sei vielen heute mehr wert als ein Eigentumshaus mit Umschwung, meint Glaser.

So stehen die Städte mit ihrer begrenzten Landfläche vor einer neuen Herausforderung: verdichtetes Bauen mit attraktivem Aussenraum. «Kostengünstige Wohnungen in lebendigen Quartieren mit Verkehrsberuhigung, Erholungsräumen und Spielplätzen sind gesucht. Wichtig ist es, auch immaterielle Bedürfnisse zu decken wie ein gutes Wohngefühl oder die Identität mit dem Wohnort», sagt Peter Schürch. Um dies zu erreichen, würden bewusst neue Wohnformen ausprobiert.

Wohnen im Cluster

Wo Wohnraum knapp wird und die Preise steigen, wird laut ETH-Wohnspezialistin Glaser das gemeinschaftliche Wohnen wieder interessanter. Gemeint sind nicht die alt bekannten Wohngemeinschaften, in denen man sich Bad und Küche teilt, sondern zum Beispiel sogenannte «Cluster-Wohnungen». Die Bewohnerinnen und Bewohner haben einen kleineren Privatbereich (ein bis zwei Zimmer) und teilen sich mit den anderen Parteien Gemeinschaftsräume wie eine grosse Küche, Wohn- oder Esszimmer. Peter Schürch bestätigt, dass beides wichtig sei: Rückzug und Gemeinschaft.

Cluster-Wohnungen decken mehrere Bedürfnisse ab: Man kann sich gegenseitig aushelfen, zusammen kochen und diskutieren oder sich in seine eigenen vier Wände zurückziehen. Meist steht der Aussenraum für alle gemeinsam zur Verfügung und manche richten sich ein gemeinsames Musikzimmer, Fitnessstudio oder Büro ein. So werden die Kosten tiefer gehalten und man lebt nicht mehr nebeneinander, sondern auch miteinander. Gerade für Singles, Patchworkfamilien und ältere Personen ist das ein attraktives Modell. Diese neue Wohnform ist nicht nur in sozialer Hinsicht bereichernd, sondern auch ökologisch sinnvoll. Werden mehr Räume gemeinsam genutzt, führt dies zu einem tieferen Wohnflächenverbrauch pro Person. Allgemein seien nutzungsneutrale Räume zum Verbinden und eine flexible Bauweise gefragt, erklärt Schürch.

Das Bedürfnis nach Gemeinschaft gibt es schon lange. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kursierten erste Ideen und später in der Zwischenkriegszeit entstanden in ganz Europa aus Not Wohnbaugenossenschaften. Diese fielen in den 70-er-Jahren in einen Dornröschenschlaf und sind seit 2000 in den Städten wieder aktiv am Bauen. «Es gibt eine Wellenbewegung von diesen gemeinschaftlichen Wohnformen. Sie kommen immer wieder auf. Und in ihrem heutigen Wiederaufleben treffen sie auf eine Gesellschaft, die selbstbestimmt und ökologisch leben möchte und bei der Teilen dazu gehört», erzählt Schürch. Zürich sei hier Vorbild: zur Attraktivität der Stadt gehöre der hohe Anteil an Genossenschaftswohnungen von ca. 33 Prozent. So sei eine soziale Durchmischung der Bewohnerschaft «zum Wohle aller» möglich.

Vorzeigeprojekt in Sachen Nachhaltigkeit

Ein Pionierprojekt wurde in Ostermundigen bei Bern realisiert: die autofreie Siedlung der Wohnbaugenossenschaft Oberfeld. Klares Ziel ist nachhaltiges Wohnen in allen drei Bereichen Ökologie, Gesellschaft und Wirtschaft. Die Siedlung besteht aus hundert Wohnungen in drei Mehrfamilienhäusern. Damit sich die Bewohnerinnen und Bewohner – Eigentümerinnen und Mieter vorwiegend aus der oberen Mittelschicht – mit ihrem Wohnraum identifizieren können, legten die Genossenschaft und Architekten grossen Wert auf partizipative Planungsverfahren. «Die Mitwirkung betraf den Innenausbau, die Technik, die Architektur und insbesondere die Gestaltung des Aussenraums», erklärt Schürch, der federführender Architekt war. Dies sei zentral für die Identifikation mit dem eigenen Wohnraum.

Architektonisch fällt in der Siedlung Oberfeld die leichte Faltung der Holzaussenwand zweier Gebäude auf, wodurch die Balkone rhythmisch breiter und schmaler werden. So wurde es möglich, die grossflächigen Wohnzimmerfenster immer leicht gegen Süden und die Sonne auszurichten. Die Hybridkollektoren auf dem Dach waren zur Planungszeit eine europaweite Innovation: Sie produzieren sowohl Strom als auch warmes Wasser. Dieses wird im Sommer in 130 Meter Tiefe durch Sandsteinschichten gepumpt, um für den Winter Wärme zu speichern. Eine Wärmepumpe benutzt dann im Winter diesen erneuerbaren Erdsondenspeicher. Der produzierte Strom deckt 60 Prozent des Gesamtbedarfs der Heizung, Lüftung und der privaten Haushalte.

Um ihr Mobilitätskonzept zu realisieren, musste die Wohnbaugenossenschaft mit der Gemeinde eine spezielle Überbauungsordnung aushandeln, denn im Gesetz ist eine bestimmte Anzahl Parkplätze pro Wohnung vorgeschrieben. In der autofreien Siedlung gibt es nun nur zehn Parkplätze für die hundert Wohnungen. Davon sind zwei Parkplätze für Mobility und die übrigen für Gäste reserviert. Stattdessen profitieren die Bewohnerinnen und Bewohner von mehr als 400 gedeckten Velounterständen und einem sehr guten Anschluss ans ÖV-Netz. Die Wohnungen im Oberfeld sind fast ein Drittel kleiner

als im Schweizer Schnitt und damit auch günstiger. Hier zeigt sich eine Stärke von Wohnbaugenossenschaften. Die neusten Zahlen des Bundesamtes für Wohnungswesen zeigen, dass Personen in gemeinnützigen Wohnungen im Schnitt nur 36 Quadratmeter brauchen. Dies erreichen die Wohnbaugenossenschaften vorwiegend mit sogenannten Belegungsvorschriften, die eine Mindestanzahl Bewohnerinnen und Bewohner pro Wohnung festlegen. Der kleinere Wohnraum bedeutet keineswegs Abstriche im Wohnkomfort, da es in der Siedlung Oberfeld zumietbare Gäste- und Arbeitszimmer sowie grosszügige Gemeinschaftsräume gibt, wie Café, Sauna oder Partyraum. Auch im grossen Treppenhaus trifft man sich und praktisch der gesamte Aussenraum gehört allen. Es ist für die Menschen möglich sich einzubringen und Ideen umzusetzen. So hat ein Bewohner auch gleich seinen Bioladen in der Siedlung eröffnet. Man wohnt, wo man lebt – Generationen durchmischt und mit den verschiedensten politischen Ausrichtungen. Peter Schürch vermutet, dass viele Schweizerinnen und Schweizer bereit sind, so zu leben. Es gäbe also grosses Potenzial für zukunftsfähiges Wohnen.

REFERENZEN

  1. Cambridge Institute for Sustainability Leadership (2014) Klimawandel: Was er für das Bauen bedeutet – Kernergebnisse aus dem Fünften Sachstandsbericht des IPCC.
  2. Bundesamt für Raumentwicklung ARE (2016) Nachhaltige Entwicklung und Lebensqualität im Quartier.
  3. Bundesamt für Statistik BFS (2018) Bau- und Wohnungswesen 2016.
  4. Bundesamt für Wohnungswesen BWO. Zahlen zum gemeinnützigen Wohnungsbau 2016.

Autoren: Gabriele Müller-Ferch

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