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LHC mit höherer Luminosität

Der grosse CERN-Teilchenbeschleuniger wird bald noch leistungsfähiger werden

Am 15. Juni gibt das Europäische Teilchenphysiklabor (CERN) in Genf mit einer offiziellen Feier den Startschuss für die Modernisierung des Large Hadron Collider (LHC). Bis im Jahr 2026 soll die Leistung des weltgrössten Teilchenbeschleunigers mit vielen technischen Optimierungen nochmals massgeblich verbessert werden, um neue Erkenntnisse über das Wesen der Materie zu ermöglichen.

HL-LHC
Bild: CERN, Switzerland

Wer bei seinem Mietwagen ein Upgrade macht, ist auf der Strasse mit mehr PS unterwegs. Mehr Leistung – das verspricht auch das anstehende Upgrade beim CERN-Teilchenbeschleuniger LHC. Die technische Nachrüstung ist ein riesiges Vorhaben, daher ist der Start der Arbeiten dem CERN eine eigene Feier wert ist: Am 15. Juni lädt das Teilchenphysiklabor denn auch zum 'High-Luminosity-LHC-Kick-off-event' nach Genf.

Vom LHC zum HL-LHC

Der LHC soll dank umfassender technischer Nachrüstung bis im Jahr 2026 zu einem 'High-Luminosity-LHC' (kurz: HL-LHC) werden. Stark vereinfacht könnte man sagen, dass der künftige Teilchenbeschleuniger die Eigenschaften der Materie noch klarer ausleuchtet als der aktuelle Teilchenbeschleuniger, der seit 2009 in Betrieb ist und die Entdeckung des Higgs-Bosons im Jahr 2012 möglich machte.

'Luminosität' bezieht sich – sehr vereinfacht ausgedrückt – auf die Anzahl der Proton-Proton-Kollisionen im LHC – und ist damit die wichtigste Kennzahl für seine Leistungsfähigkeit. Zum Hintergrund: Der LHC ist ein 27 km langer, kreisrunder Tunnel, in dem Protonen fast mit Lichtgeschwindigkeit kreisen – die eine Hälfte im Uhrzeigersinn, die andere Hälfte im Gegenuhrzeigersinn. An vier Stellen werden die Protonen zur Kollision gebracht, deren Bruchteile interagieren miteinander, und die Ergebnisse dieser Wechselwirkungen – eine Fülle von Teilchen – werden dann mit Detektoren (z.B. ATLAS) untersucht.

Vier mal höhere Luminosität

Die Protonen kreisen im LHC nicht einzeln, sondern in Paketen ('bunches'). Jedes Paket enthält mehr als 100 Milliarden Protonen. Wenn zwei Pakete aufeinandertreffen, kollidieren aber nicht alle Protonen, sondern nur ungefährt 50 von ihnen (da zwischen den Protonen viel leerer Raum ist, gemessen an deren Grösse). Da das Protonenpaket im Beschleuniger pro Sekunde 30 Millionen Mal kreist, nimmt der ATLAS-Detektor 1,5 Milliarden Proton-Proton-Kollisionen pro Sekunde wahr.

Der Upgrade zu einem HL-LHC wird zu einer Kollisionsrate führen, die etwa vier mal grösser ist als die aktuelle Datenrate. Das heisst, dass der ATLAS-Detektor bei jeder Kollision von Protonen-Paketen gleichzeitig 200 Proton-Proton-Kollisionen wahrnehmen wird (siehe Abbildung). Das wird zu sehr grossen Datenmengen führen, welche die Teilchenphysiker für ihre Forschung brauchen können. Eines der aufregendsten Dinge, nach denen Teilchenphysiker suchen, ist ein Hinweis auf neue Phänomene. Diese sind aber extrem selten und können nur gefunden werden, indem immer mehr Proton-Kollisionen stattfinden. Auf diesen Weg steigt die Wahrscheinlichkeit, etwas Seltenes zu sehen, und damit die Möglichkeit, dass CERN-Physiker es mit ihren Detektoren sehen, steigt an.

Die LHC-Detektoren und der HL-LHC-Upgrade

Wenn der Beschleuniger deutlich mehr Proton-Proton-Kollisionen erzeugt als je zuvor, wäre der gegenwärtige LHC und HL-LHC-Bedingungen nicht in der Lage, alle generierten Eingangsdaten maximal auszuwerten. Dies ist der Grund, warum auch die Detektoren aufgerüstet werden müssen. Das bevorstehende Upgrade der Detektoren ist für sich genommen wieder ein grosses Projekt, an dem in den nächsten acht Jahren Tausende von Menschen beteiligt sein werden. Diese Verbesserungen können mit dem Upgrade einer Fotokamera verglichen werden: Durch die Wahl einer grossen Anzahl von Pixeln und eines schnellen Objektivs Bilder mit einer besseren Auflösung aufgenommen werden, selbst wenn sich das Objekt des Bildes bewegt. In ähnlicher Weise können CERN-Physiker durch die Aufrüstung von der Detektoren und ihrer Trigger-Systeme ein detaillierteres Bild der Ergebnisse der Proton-Proton-Kollision erhalten und mehr solcher Bilder aufnehmen.

Wie zuvor geschrieben, kollidieren im Beschleuniger 30 Millionen Protonenpakete pro Sekunde. Der Detektor sieht alle diese Kollisionen, aber CERN-Physiker können nur einen kleinen Teil von ihnen auswerten: es wäre nämlich unmöglich, sie alle zu speichern, zu verarbeiten und zu analysieren. Das System, das entscheidet, welche Kollisionsereignisse gespeichert werden sollen, wird als Trigger-System bezeichnet. Es besteht aus superschneller Elektronik und einer sehr leistungsfähigen grossen Rechnerfarm, auf der komplizierte Algorithmen laufen. Je höher die Ereignisrate ist, die das Triggersystem verarbeiten muss (x 4 für den HL-LHC im Vergleich zum LHC), und je "fleissiger" die Kollisionsereignisse sind (200 gleichzeitige Kollisionen im HL-LHC gegenüber 50 im LHC), desto ausgefeilter muss das Triggersystem sein, um dieser Herausforderung gewachsen zu sein.

Ein besserer ATLAS-Trigger

Und hier kommt nun Anna Sfyrla ins Spiel. Die gebürtige Griechin arbeit seit Herbst 2015 als Assistenzprofessorin an der Universität Genf. Anna Sfyrlas Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf den Trigger und sein Upgrade. Sfyrla kümmert sich um die Anpassungen, welche nötig sind, um den ATLAS-Triggger für das erhöhte Datenvolumen des HL-LHC bereit zu machen. Sie leitet eine Gruppe, welche die Erfordernisse für das aufgerüstete System und die Leistungsfähigkeit des neuen Designs untersucht. Sie partizipiert auch an Forschung&Entwicklung für ein neues System, welches den Trigger robuster gegenüber den neuen Bedingungen machen wird. „Das ist ein herausforderndes Projekt, welches dem Trigger-System die nötigen Komponenten für die neue Herausforderung liefern wird“, sagt Anna Sfyrla.

Tür zu einer neuen Physik

Mit Blick auf den LH-LHC gab es in den letzten Jahre Designstudien und Forschung&Entwicklung. In den nächsten Jahren geht es um Entwicklung, Bau von Prototypen, Tests und Implementierung. Die neuen Komponenten für den ATLAS-Trigger werden in den nächsten Jahren konzipiert und ab 2022 dann hergestellt. 2025 sollten der ATLAS-Trigger und alle anderen Komponenten des neuen Detektors dann bereit sein für die Beauftragung, und 2026 soll der HL-LHC dann seinen Betrieb aufnehmen. Vor Anna Sfyrla und ihren Kolleginnen und Kollegen liegt in den nächsten Jahren also ein schönes Stück Arbeit. Das sei eine lohnende Investition, sagt Sfyrla: „Dank der erhöhten Luminosität, welche zu grösseren Datensets führen wird, werden wird die Eigenschaften des Higgs-Teilchens besser verstehen und – hoffentlich – auch sehr seltene Prozesse beobachten, welche das Potenzial haben, die Tür zu bisher unbekannten Phänomenen aufzustossen.“

Autor: Benedikt Vogel

So werden 200 gleichzeitige Proton-Proton-Kollisionen im Detektor sichtbar werden. Die meisten dieser Proton-Proton-Kollisionen führen nicht zu "interessanten" Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen der Protonen. Es liegt eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für die Hochenergiephysiker, nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen: Interaktionen, die vermutlich nicht von uns bekannten
So werden 200 gleichzeitige Proton-Proton-Kollisionen im Detektor sichtbar werden. Die meisten dieser Proton-Proton-Kollisionen führen nicht zu "interessanten" Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen der Protonen. Es liegt eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für die Hochenergiephysiker, nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen: Interaktionen, die vermutlich nicht von uns bekanntenBild: ATLAS, CERN, Switzerland
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