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Auch das Deuteron gibt Rätsel auf

Das Deuteron ist – genau wie das Proton – kleiner als bisher gedacht

Das Deuteron – einer der einfachsten Atomkerne, bestehend aus nur einem Proton und einem Neutron – ist deutlich kleiner als bislang gedacht. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Forschungsgruppe, die Experimente am Paul Scherrer Institut PSI durchgeführt hat. Das neue Ergebnis passt zu einer Studie derselben Forschungsgruppe aus dem Jahr 2010, bei dem die Forschenden das Proton vermessen hatten und schon damals zu einem deutlich kleineren Wert kamen als andere Wissenschaftler mit anderen Experimentiermethoden vor ihnen. Das Ergebnis von 2010 begründete das seither sogenannte «Rätsel um den Protonradius». Das neue Messergebnis der Deuterongrösse gibt nun ein analoges Rätsel auf. Womöglich wird dies zu einer Anpassung der Rydbergkonstante führen, einer fundamentalen Grösse in der Physik. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass eine bislang unbekannte physikalische Kraft am Werk ist. Für ihre Messungen hatten die Forschenden mittels Laserspektroskopie sogenanntes myonisches Deuterium vermessen: Ein künstliches Atom, bestehend aus einem Deuteron, das von einem exotischen Elementarteilchen namens Myon umkreist wird. Die Experimente fanden am PSI statt, da die hier vorhandene, weltweit leistungsstärkste Myonenquelle benötigt wurde, um myonisches Deuterium in ausreichenden Mengen herzustellen. Ihre neue Studie zur Deuterongrösse haben die Forschenden in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Aldo Antognini ist Teil der Forschungskooperation, die das Deuteron via Laserspektroskopie vermessen hat.
Bild: Institut Paul Scherrer/Markus Fischer

Das Deuteron ist kleiner, als bisherige Messungen ergeben haben. Ein Deuteron ist ein sehr einfacher Atomkern, bestehend nur aus einem Proton und einem Neutron, also je einem der beiden Bausteine von Atomkernen. Eine internationale Kooperation von Forschenden hat am Paul Scherrer Institut PSI das Deuteron genauer vermessen als je zuvor. Der Radius des Deuterons, den sie erhielten, deckt sich jedoch nicht mit den Werten anderer Forschungsgruppen, sondern zeigt einen deutlich kleineren Wert.

Trotz dieses Widerspruchs gibt es auch eine Übereinstimmung: Bereits 2010 hatte die gleiche Forschungsgruppe am PSI von der Vermessung einzelner Protonen mit derselben Methode berichtet. Auch damals zeigte sich deutlich: Das Proton ist kleiner als bis dato angenommen. «Das Rätsel um den Protonradius» nennt die Forschungsgemeinde seither diesen Umstand. Eine weitere Auswertung von Protonen-Daten aus dem PSI bestätigte im Jahr 2013 denselben kleinen Wert.

Nun also auch das Deuteron. «Dass aber unsere Methode, die Laserspektroskopie, fehlerhaft ist, glaubt inzwischen niemand mehr aus der Community», stellt der PSI-Physiker Aldo Antognini klar. Und sein Forschungspartner Randolf Pohl, der inzwischen an der Universität Mainz forscht, ergänzt: «Nachdem 2010 unsere erste Studie herausgekommen war, fürchtete ich, dass sich ein altgedienter Physiker melden und uns auf einen groben Schnitzer hinweisen würde. Aber die Jahre sind vergangen und bis heute ist nichts dergleichen passiert.» Und nun bestätigt auch die neue Studie – die Vermessung des Deuterons – das Rätsel um den Protonradius. «Man könnte sagen: Das Rätsel hat sich jetzt doppelt bestätigt», so Pohl.

Neben den Wissenschaftlern am PSI waren massgeblich Forschende an der ETH Zürich, am MPI für Quantenoptik (Deutschland), in Paris (Frankreich), Coimbra (Portugal), Stuttgart (Deutschland), Freiburg (Schweiz) und Hsinchu (Taiwan) an der Studie beteiligt.

Neue Experimente angeregt

Das neue Forschungsergebnis ist mehr als eine Verdopplung des alten Rätsels um den Protonradius: Es kann darüber hinaus der Suche nach der Wahrheit dienen. «Natürlich kann es nicht sein, dass das Deuteron – genauso wenig wie das Proton – zwei verschiedene Grössen hat», stellt Antognini klar. Also sucht die Wissenschaftsgemeinde nach Erklärungen, die die unterschiedlichen Werte wieder miteinander in Einklang bringt.

Eine mögliche Erklärung ist, dass eine bislang unbekannte physikalische Kraft am Werk ist. Das ist für die Wissenschaftler ein aufregendes Szenario, es ist jedoch sehr unwahrscheinlich.

Die nä­her­lie­gende Erklärung ist eine experimentelle Ungenauigkeit. «Tatsächlich liesse sich das Rätsel sehr leicht lösen, wenn wir von einem minimalen experimentellen Problem bei der Wasserstoffspektroskopie ausgehen», erklärt Antognini. Auf dieser Methode basiert ein Teil der früheren Messungen sowohl der Protongrösse als auch der Deuterongrösse.

Eine weitere Methode zur Bestimmung der Proton- und Deuterongrösse nutzt Elektronenstreuung. Die Deuterongrösse, die via Elektronenstreuung gemessen wurde, ist tatsächlich vereinbar mit dem neuen Wert der PSI-Forschungsgruppe, hat jedoch insgesamt eine vergleichsweise grosse Ungenauigkeit.

Um das Rätsel des Protonradius zu knacken, haben mehrere Forschungsgruppen, die Wasserstoffspektroskopie oder Elektronenstreuung betreiben, schon vor Jahren begonnen, ihre Experimente aufzurüsten und in der Genauigkeit zu verbessern. Darauf sind Antognini und Pohl stolz: «Hätte unser Wert mit den vorangegangenen übereingestimmt, hätte es zwar nicht dieses verflixte Rätsel um den Protonradius gegeben; aber es hätte auch niemals diese Welle gegeben, die mittlerweile weltweit zu mehreren hochgenauen Messaufbauten geführt hat», sagt Pohl. Aktuell sind Forschungsgruppen in München, Paris und Toronto dabei, genauere Werte via Wasserstoffspektroskopie zu ermitteln. Deren Ergebnisse werden für die kommenden Jahre erwartet.

Womöglich muss physikalische Konstante angepasst werden

«Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass die Wasserstoffspektroskopie einen falschen – also minimal verschobenen – Wert liefert, so würde das bedeuten, dass die Rydbergkonstante minimal geändert werden muss», erklärt Antognini. Die Rydbergkonstante und der Protonradius sind zwei stark aneinander gekoppelte Grössen. Auch ist die Rydbergkonstante unter allen physikalischen Konstanten diejenige, die bislang mit der höchsten Genauigkeit bestimmt wurde: Selbst ihre elfte Nachkommastelle ist schon bekannt. Dennoch könnte sich dank des Rätsels um den Protonradius an diesen letzten Stellen hinter dem Komma noch etwas ändern. Das hätte für viele Bereiche der Physik Konsequenzen und würde zu minimalen Korrekturen weiterer Naturkonstanten führen.

Weltweit leistungsstärkste Myonenquelle nötig

Am PSI bestimmten die Forschenden die Grösse des Deuterons, indem sie zunächst künstliche Atome herstellten: myonisches Deuterium. Diese Atome haben als Kern ein Deuteron, das von einem Myon umkreist wird.

Die Myonenquelle des PSI ist die weltweit leistungsstärkste ihrer Art. Dank dieser war es möglich, rund 300 Myonen pro Sekunde in die Experimentierkammer zu schleusen. Dort trafen sie auf gasförmiges Deuterium, schleuderten dessen Elektronen heraus und nahmen deren Platz ein. Das Ergebnis waren Atome von myonischem Deuterium.

Myonen sind negativ geladene Elementarteilchen, sie ähneln Elektronen stark, sind jedoch rund 200 Mal schwerer als diese. Durch diese höhere Masse bewegen sich die Myonen viel näher am Atomkern und die Eigenschaften ihrer Bahnen hängen viel stärker von der Grösse dieses Kerns ab.

Dies nutzten die Forschenden aus: Mit einem hochkomplexen gepulsten Lasersystem, das eigens für dieses Experiment entwickelt worden war, regten sie das Myon im künstlichen Atomverbund an. Die Wellenlänge des Lasers liess sich stufenlos variieren. Bei der exakt richtigen Wellenlänge wurde das Myon von einem energetischen Zustand in einen anderen gehoben; von dort aus fiel es sofort wieder in einen niedrigeren Zustand, wobei es ein Lichtteilchen im Röntgenbereich aussandte. Diejenige eingestrahlte Wellenlänge, bei der ein Maximum an Röntgen-Lichtteilchen erzeugt wurde, markierte den energetischen Abstand der betreffenden Myonenbahnen um den Kern. Dieser energetische Abstand hängt stark mit dem Radius des Deuterons zusammen; die Forschenden konnten also anhand ihrer Messkurve die Grösse des Deuterons bestimmen. Ganz analog hatten sie bei der Studie aus dem Jahr 2010 die Grösse des Protons gemessen.

Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

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