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Bild: ESO

Ein Hauch von Magnetismus

Am Paul Scherrer Institut beginnt in diesen Herbsttagen der Aufbau eines neuen Teilchenphysik-Experiments zur Bestimmung des elektrischen Dipols von Neutronen. Es löst ein Vorgängerexperiment ab, das während der letzten Jahre die bisher empfindlichste Messung durchgeführt hat und dessen Datenauswertung noch läuft. Der vom ETH-Doktoranden Michał Rawlik mitentwickelte neue Versuch kann Magnetismus in schier unvorstellbar kleinen Ausprägungen detektieren. Ein erfolgreicher Ausgang des Experiments würde helfen zu erklären, warum es im Universum viel mehr Materie als Antimaterie gibt.

ETH-Doktorand Michal Rawlik mit dem kleinen 'Prototyp-Käfig', der dazu dient, die Magnetfelder in seinem Innern zu neutralisieren.
Bild: B. Vogel

Viele Versuche, die an der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) in Zürich vorbereitet werden, gelangen dann am Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen (AG) zur Durchführung. So verhält es sich auch beim nEDM-Experiment. Die Abkürzug steht für: neutron electric dipole moment. Dieser Tage wird in einem Laborraum des PSI der Betonboden gegossen, auf dem später der Versuch errichtet werden soll. Allein der Aufbau wird voraussichtlich zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. Bis die Ergebnisse vorliegen, werden wahrscheinlich drei weitere Jahre vergehen. Am Ende wollen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 15 verschiedenen Instituten und sieben Ländern die Frage klären, ob Neutronen – also die elektrisch nicht geladenen Partikel der Atomkerne – einen elektrischen Dipol haben. Zwar haben Neutronen als ganzes keine elektrische Ladung, da die Ladung des Up-Quarks von den Ladungen der zwei Down-Quarks ausgeglichen wird. Möglich wäre allerdings, dass innerhalb eines Neutrons positive und negative elektrische Ladungen so verteilt sind, dass sie einen elektrischen Dipol bilden. Den Nachweis für einen solchen elektrischen Dipol möchte das nEDM-Experiment erbringen.

Physiker versuchen seit rund 60 Jahren mit immer präziseren Messungen, beim Neutron einen elektrischen Dipol nachzuweisen. Die bisher vorliegenden Ergebnisse geben keinen Hinweis, dass ein solcher Dipol existiert. Um die Jahrtausendwende hat zuletzt die RAL/Sussex/ILL-Kollaboration in Grenoble mit bisher bester publizierter Messgenauigkeit nach einem elektrischen Dipol gesucht. „Wir haben in den letzten Jahren am PSI noch genauer gemessen als die Kollegen früher und nehmen jetzt Anlauf für einen nächsten Schritt“, sagt der 27-jährige Michał Rawlik. Rawlik stammt aus Gliwice (Polen), studierte in Krakau Physik und kam dann über eine Summer School in die Schweiz. Seit drei Jahren schreibt er an der ETH Zürich auf dem Hönggerberg an seiner Doktorarbeit. „Unser Ziel ist, die Messung um einen weiteren Faktor 10 zu verbessern“, sagt Rawlik.

Der unerklärte Überschuss an Materie

Warum betreiben Teilchenphysiker den riesigen Aufwand, in einem elektrisch neutralen Teilchen einem fast nicht messbaren elektrischen Dipol nachzujagen? Der Grund liegt in den theoretischen Überlegungen des russischen Physikers (und späteren Friedens-Nobelpreisträgers) Andrej Sakharov (1921-1989): Falls das Neutron tatsächlich einen elektrischen Dipol aufweist, wäre die sogenannte CP-Symmetrie verletzt. Diese Verletzung wäre ein Schlüssel zur Erklärung der Tatsache, dass unser sichtbares Universum praktisch nur aus Materie besteht, nicht aber aus Antimaterie – und das, obwohl Physiker davon ausgehen, dass beim Urknall Materie und Antimaterie in gleicher Menge entstanden sein müssen. Könnte das nEDM-Experiment beim Neutron die Existenz eines elektrischen Dipols nachweisen, würde die Teilchenphysik der Beantwortung einer der grossen ungelösten Fragen der aktuellen Kosmologie einen Schritt näher kommen.

Das ist unzweifelhaft eine faszinierende Perspektive. Doch bis zu diesem Ziel ist ein weiter Weg. Denn der Nachweis eines elektrischen Dipols setzt voraus, dass die Forscher das magnetische Feld am Ort der Messung extrem genau bestimmen können. Die Grundidee des nEDM-Experiments besteht darin zu schauen, ob die Energie eines Neutrons von einem von aussen angelegten elektrischen Feld beeinflusst wird. Falls dies geschieht, verfügt das Neutron über einen elektrischen Dipol (und richtet sich am elektrischen Feld aus, genau so wie sich eine Kompassnadel am Magnetfeld der Erde ausrichtet). „Wir brauchen in unserem Experiment ein sehr starkes elektrisches Feld um zu sehen, ob die Neutronen beeinflusst werden“, sagt Michał Rawlik. „Allerdings muss das Magnetfeld exakt bekannt sein, da es die Energie des Neutrons über seinen vorhandenen magnetischen Dipol beeinflusst.“ Das genau bekannte Magnetfeld und die sogenannte Larmorfrequenz stellen gleichzeitig ein ausgezeichnetes Hilfsmittel dar, um einen allfälligen elektrischen Dipol sehr exakt bestimmen zu können.

Magnetfelder auf zehn Femtotesla genau

In einem ersten Schritt haben die ETH-Physiker mit internationalen Kollegen in den letzten Jahren am PSI den Versuch der RAL/Sussex/ILL-Kollaboration mit deren 'aufgerüsteten' Geräten wiederholt. Jetzt folgt ab diesem Herbst ein komplett neuer Aufbau, der die Grösse eines 5 x 5 x 5 Meter grossen Kubus haben wird. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, das Magnetfeld am Versuchsort sehr exakt bestimmen und stabilisieren zu können. „Wir arbeiten mit einem Magnetfeld bei einem Mikrotesla, das Erdmagnetfeld beträgt rund 50 Mikrotesla. Dabei messen wir Magnetfeldänderungen mit etwa zehn Femtotesla Genauigkeit, das sind kleinere Änderungen als die, die durch unsere Hirnströme erzeugt werden, wenn wir denken“, sagt Rawlik. Damit die Messungen nicht durch umgebende Magnetfelder gestört werden, wird das Experiment gegen äussere Magnetfelder abgeschirmt: Zum einen durch sechs Schichten aus Mu-Metallplatten, die externe Magnetfelder fernhalten. Als zusätzlichen Schutzschild hat Rawlik einen 'Gitterkäfig' entworfen. In der Gitterkonstruktion sind Drahtspulen verlegt, die mit Strömen beschickt werden können, die die innerhalb des Käfigs herrschenden Magnetfelder neutralisieren.

„Der Bau des Käfigs und die Entwicklung der Software zur Steuerung der Ströme macht ungefähr die Hälfte meiner Doktorarbeit aus“, sagt Michał Rawlik, der seine Dissertation im nächsten Jahr abzuschliessen hofft. Doch schon bevor es soweit ist, können Forscherinnen und Forscher weltweit von den Erkenntnissen des Zürcher Nachwuchswissenschaftlers profitieren. „Die ETH hat vor kurzem das Einverständnis gegeben, dass ich meine Arbeiten als Open Source-Software ins Netz stellen kann“, sagt Rawlik und ergänzt: „Wir sind nicht nur bei den Besten auf der Welt, um das magnetische Feld abzuschirmen. Wir gehören auch zu den Besten, um das magnetische Feld zu messen und zu steuern.“ Dabei weiss Michał Rawlik, dass solch hochspezialisierte Experimente wie das nEDM nur im wissenschaftlichen Austausch gelingen können. So wird zum Beispiel jedes Bauteil, das im Experiment verbaut wird, zuerst innerhalb der Kollaboration (www.neutronedm.org) zur Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Berlin verfrachtet, wo seine magnetische Verträglichkeit mit höchster Präzision bestimmt wird.

Autor: Benedikt Vogel

ETH-Doktorand Michal Rawlik mit dem kleinen 'Prototyp-Käfig', der dazu dient, die Magnetfelder in seinem Innern zu neutralisieren.
ETH-Doktorand Michal Rawlik mit dem kleinen 'Prototyp-Käfig', der dazu dient, die Magnetfelder in seinem Innern zu neutralisieren.Bild: B. Vogel

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