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Neu in den Kantonen: Forschung mit Kaonen

EPFL-Newcomer führt neues Studiengebiet in die Schweizer Teilchenphysik ein

Das Register der Schweizer Teilchenphysik hat ein neues Verzeichnis für ein neues Forschungsgebiet eröffnet: Dank EPFL-Assistenzprofessor Radoslav Marchevski kann es nun auch die Kaonenphysik in die Liste der Teilchen eintragen, die in der Schweiz erforscht werden. Der Wissenschaftler aus Bulgarien, der sein Grundstudium in Sofia (Bulgarien) und sein Aufbaustudium in Mainz (Deutschland) absolviert hat, forscht seit Anfang des Jahres in Lausanne und hat sein Spezialteilchen mitgebracht.

Radoslav Marchevski hat sein Spezialgebiet – die Kaonenphysik – mit in die Schweiz gebracht.
Bild: Radoslav Marchevski

Wenn es nach Radoslav Marchevski geht, sind Kaonen die Stars unter all den Dingen, die man aus Quarks machen kann. Genauer gesagt aus Quarks und Antiquarks, denn Kaonen bestehen immer aus einem solchen Paar. Kaonen können das Standardmodell der Teilchenphysik auf Herz und Nieren prüfen, und die kleinen, ultrapräzisen Experimente, mit deren Hilfe sie untersucht werden, haben eine relativ schnelle Durchlaufzeit, so dass die Wissenschaftler:innen an allen Phasen des Experiments teilnehmen können: Von der Konzeption über den Aufbau bis hin zur Datenerfassung (und manchmal sogar Vorschläge für die nächste Generation von Experimenten). Marchevski ist Teil der NA62-Kollaboration, einem Experiment mit rund 200 Forschenden am CERN, an dem nun auch die Schweiz beteiligt ist. "Wir können extrem seltene Prozesse mit noch nie dagewesener Präzision messen, indem wir von einer langen Reihe von Kaon-Experimenten am CERN profitieren", sagt Marchevski. Der wissenschaftliche Umfang mag kleiner sein als bei den gigantischen Mehrzweck-Experimenten des LHC, aber die Physik ist extrem faszinierend.

Die Physik versucht schon seit Jahrzehnten, das allem zu Grunde liegende und bisher sehr zuverlässige Standardmodell der Teilchenphysik als unvollständig zu entlarven. Durch Stresstests hofft man, seltene, von der Vorhersage abweichende Wechselwirkungsprozesse zwischen Teilchen zu entdecken, Lücken in der Theorie aufzudecken und neue Phänomene zu entdecken. Und selbst wenn sie diese Lücken nicht finden, leisten die Forschenden einen unschätzbaren Beitrag zum Verständnis der Regeln, nach denen unser Universum funktioniert, indem sie immer engere Grenzen dafür setzen, wo und wie häufig diese potenziell seltenen Prozesse auftreten.

Die Spezialität von NA62 ist die Suche nach dem seltenen Fall, dass ein geladenes Kaon in ein geladenes Pion und ein Neutrino-Antineutrino-Paar zerfällt. "Das ist ein fantastischer Prozess", schwärmt Marchevski. Dazu muss sich ein strange-Quark in ein down-Quark umwandeln, was nach dem Standardmodell offiziell verboten ist. "Wechselwirkungen, die den Quark-Flavour verändern, ohne seine elektrische Ladung zu verändern, sind nicht erlaubt. Deshalb müssen solche Wechselwirkungen in Schleifenprozessen ablaufen - die Quarks müssen ihren Flavour zweimal ändern. Diese Schleifen sind selten, aber wenn im Quarksektor neue Physik lauert, dann sehen wir das."

Das Experiment untersucht den Strahl von Teilchen, der entsteht, wenn ein Protonenstrahl aus dem SPS-Beschleuniger des CERN auf ein Beryllium-Target trifft. Eine Anordnung hochempfindlicher Detektoren kann die Bahnen der Teilchen in hochauflösenden 3D-Bildern mit präzisen Zeitinformationen rekonstruieren. Nach dem Aufprall auf das Target wählt das Experiment bestimmte geladene Teilchen aus dem Strahl aus, identifiziert sie und misst ihren Impuls mit einem Silizium-Pixeldetektor. Die Kaonen im Strahl fliegen weiter durch ein 80 Meter langes Vakuumsystem, zerfallen im Flug, und die dabei entstehende Spur wird in einem Magnetspektrometer gemessen, während der anschliessende RICH-Detektor, das elektromagnetische und das hadronische Kalorimeter sowie der Myon-Veto-Detektor eine hervorragende Myon-Pion-Identifizierung ermöglichen.

Das hadronische Kalorimeter ist der Teil des Experiments, an dem Marchevski während seiner Doktorarbeit an der Universität Mainz in Deutschland gearbeitet hat. An der EPFL ist sein neues Team stark in den Silizium-Pixeldetektor und die Analyse der Physikdaten involviert. Die Anforderungen an NA62 sind denen für den Hi-Luminosity-LHC sehr ähnlich, so dass ein Austausch zwischen kleinen spezialisierten Experimenten und neuen LHC-Experimenten fast garantiert ist. Marchevski wird auch zum Kaon-Programm von LHCb beitragen, dem er Anfang des Jahres beigetreten ist und wo er hofft, kurzlebige neutrale Kaonen untersuchen zu können. "Mit den Kaonen verfügt die Schweiz und insbesondere die EPFL nun über die gesamte Kompetenz in der Flavourphysik, und wir können flexibel bleiben, wenn in den Daten etwas auftaucht", sagt er.

NA62, das bis 2025 Daten nehmen soll, ist das jüngste Experiment in einer langen Reihe von Kaon-Experimenten, die immer anspruchsvollere Messungen liefern und die mögliche neue Physik stärker eingrenzen, indem sie abwechselnd mit neutralen und geladenen Kaonen arbeiten. Das Streben nach höherer Präzision verlangt, dass NA62 die Intensitätsgrenze und damit den Stand der Technik immer weiter vorantreibt. Das nächste, noch präzisere und ehrgeizigere Experiment zeichnet sich in den Köpfen der Wissenschaftler bereits ab.

Author: Barbara Warmbein for CHIPP

NA62 experiment
NA62 experimentBild: Radoslav Marchevski

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