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Unser Zentralgestirn im Blick

Sonnenforscherin Louise Harra schätzt Diversität in der Forschung

„Ich habe eine Leidenschaft für die Sonne.“ Mit diesem Motto überschreibt Louise Harra ihren Twitter-Account. Tatsächlich hat die gebürtige Nordirin ihr bisheriges Forscherleben ganz unserem Zentralgestirn gewidmet. Seit drei Jahren leitet die Astrophysikerin nun das ‚Physikalisch-Meteorologische Observatorium Davos‘ (PMOD), eine traditionsreiche Forschungseinrichtung zur Erkundung der Sonne und zur exakten Ermittlung der Solarstrahlung.

Louise Harra in Cap Canaveral in Florida
Bild: Privat

Am Tag unseres Gesprächs ist es trüb in Davos. Bedeckter Himmel, der Winter hält Einzug. Auch wenn die Davoser Sonne nicht immer scheint, gab es im Jahr 1907 gute Gründe, hier oben, auf 1560 Metern über dem Meer, eine Forschungseinrichtung zur Messung der Sonnenstrahlung zu errichten. „Wir haben signifikant mehr Sonnentage als in den Städten des Mittellandes. In unserer Höhenlage haben wir einen klaren Himmel, der für die Arbeit unseres Instituts sehr wichtig ist“, sagt Louise Harra. „Dass es hier auch mal schneit und die Sonne früh hinter den Bergwipfeln verschwindet, das sind Dinge, mit denen wir gut leben können.“

Der Ur-Standard für solare Strahlung

Das Institut, von dem Louise Harra spricht, ist das ‚Physikalisch-Meteorologische Observatorium Davos‘ (PMOD). Harra leitet die in einem ehemaligen Schulhaus untergebrachte Einrichtung seit 2019. Rund 60 wissenschaftliche und technische Expertinnen und Experten sind hier tätig. Eine zentrale Aufgabe von ihnen besteht darin, die Sonnenstrahlung so exakt zu vermessen, dass diese Messung als Ur-Standard herangezogen werden kann. Dazu nutzen sie ein Beobachtungsinstrument aus sechs meteorologischen Strahlungsmessgeräten (Hohlraum-Pyrheliometern). Mit dieser sogenannten ‚Weltstandardgruppe‘ wird in Davos seit 1971 die Sonnenstrahlung im Auftrag der Weltorganisation für Meteorologie gemessen, um damit Sonnenmessgeräte weltweit zu kalibrieren und ihre Messungen vergleichbar zu machen. Dank dieses Mandats trägt das PMOD zusätzlich den Namen ‚Weltstrahlungszentrum‘ (‚World Radiation Center‘/WRC).

Die Messungen des PMOD/WRC sind von zentraler Bedeutung für die Wetterforschung einschliesslich der Vorhersagen, aber auch für die weltweite Solarindustrie. Die Davoser Präzisionsmessungen spielen zudem eine wichtige Rolle bei der Einhaltung von Qualitätsstandards in globalen Klima-Überwachungsprogrammen. Diese Programme basieren unter anderem auf Langzeitbeobachtungen. Das Davoser Forschungsinstitut verfügt unterdessen über Messreihen aus über hundert Jahren.

Expertin für Sonneneruptionen und Sonnenwind

In ihrer persönlichen Forschung richtet Louise Harra ihren Blick auf die Sonne selber, genauer: auf die Vorgänge, die sich in der Atmosphäre der Sonne abspielen. Ein Schwerpunkt sind Sonneneruptionen, also schnelle Entladungen gewaltiger Energiemengen auf der Oberfläche der Sonne. Ein zweites Forschungsfeld ist der Sonnenwind, jener Teilchenstrahl aus Protonen und Elektronen, den die Sonne abgibt. Louise Harra betreibt Grundlagenforschung. Die Ergebnisse haben aber durchaus auch praktische Bedeutung, etwa zur Beschreibung des Weltraumwetters. Gemeint sind damit wetterähnliche Phänomene, die im Weltraum und in Erdnähe durch Sonnenwind und kosmische Strahlen hervorgerufen werden und die auf der Erde im ungünstigen Fall den Flugbetrieb oder technische Anlagen von Industrie- und Elektrizitätsunternehmen beeinträchtigen können. „Unsere Prognosen für das Weltraumwetter sind heute noch so rudimentär wie die Prognosen für das Erdwetter vor 50 Jahren. Die Sonnenforschung hilft uns, die Prognosen zu verbessern“, sagt Harra.

Die Erforschung der Sonne geschieht heute massgeblich über die Raumfahrt. Mit Messeinrichtungen bestückte Raumsonden nähern sich der Sonne so weit wie möglich. Dort zeichnen sie die Daten auf, die später auf der Erde ausgewertet und interpretiert werden. Nachdem Louise Harra an der Universität Belfast promoviert hatte, ging sie nach Japan und arbeitete in einem Wissenschaftlerteam für das satellitengestützte Weltraumteleskop Yohkoh, das von 1991 bis 2001 mehrere Millionen Röntgenbilder der Sonne aufnahm. 1995 wechselte sie nach England an die Universität Birmingham und arbeitet von dort aus unter anderem für das Sonnen- und Heliosphären-Observatorium SOHO. Die 1995 gestartete Mission der Europäischen Raumagentur ESA dauert bis heute an. Das PMOD/WRC ist an einem der SOHO-Messgeräte beteiligt, das die Variabilität der Solarstrahlung beobachtet. Später wechselte Harra an das University College London. Dort arbeitete sie rund 20 Jahre und war in der Zeit an verschiedenen Weltraummissionen beteiligt.

Diverse Forschungsteams fördern

„Bevor ich vor drei Jahren an das PMOD/WRC kam, war ich ganz im Weltraum zuhause“, sagt Louise Harra mit einem Lächeln. „Jetzt betreibe ich Sonnenforschung von Davos aus, das bringt meine Forschung auf die Erde, wenn Sie so wollen.“ Im Februar 2020 führte sie die letzte Geschäftsreise vor der Corona-Pandemie zum Start der Raumsonde Solar-Orbiter, die die Ursachen des Sonnenwinds ergründen will. Neben der Forschung hat Louise Harra nun weitere Verpflichtungen: Sie unterrichtet als Professorin für solare Astrophysik an der ETH Zürich. Hinzu kommt die administrative Leitung des PMOD/WRC. Dabei ist sie auch mit der Gender-Thematik konfrontiert. „Ich rede lieber von ‚Diversität‘ als von ‚Gender‘“, sagt die Institutsleiterin, „Diversität bringt die Forschung voran.“ Um die Vielfalt der Forschungsteams zu gewährleisten, braucht es laut Harra keine positive Diskriminierung. Wichtig seien vielmehr flexible Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden abhängig von ihrer familiären Situation. „Bei uns kommt die beste Bewerbung zum Zug, unabhängig vom Geschlecht.“ Wissenschaftlerinnen würden sich heute dank ihrer Kompetenz durchsetzen, sagt sie und verweist auf ihre letzte Arbeitsstelle in London. Dort sei sie in ihrer Forschungsgruppe 1995 die einzige Frau gewesen, und als 2019 die Stelle verliess, waren Männer und Frauen gleich stark vertreten.

Autor: Benedikt Vogel

Porträt #10 der Serie von Wissenschaftlerinnen im MAP Bereich (2021/22)

  • 2015 durfte Louise Harra als Leiterin des Hinode Extreme Ultraviolet Imaging Spectrometer (EIS) den Group Achievement Award in Geophysik entgegennehmen.
  • Die japanische Raumsonde Hinode zur Erkundung der Sonne ist 2006 gestartet und sendet bis heute Daten aus einer Umlaufbahn der Sonne auf die Erde. Die Mission beobachtet jene Regionen auf der Sonne, die Sonneneruptionen und Solarwind hervorbringen. Louise Harra war und ist massgeblich an der Mission beteiligt.
  • Bild der äusseren Sonnenatmosphäre, aufgenommen vom Satelliten Solar Orbiter.
  • Prof. Louise Harra im Februar 2020 in Cape Canaveral in Florida (USA) beim Start der Raumsonde Solar Orbiter, mit welcher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Aktivitäten auf der Sonnenoberfläche untersuchen.
  • 2015 durfte Louise Harra als Leiterin des Hinode Extreme Ultraviolet Imaging Spectrometer (EIS) den Group Achievement Award in Geophysik entgegennehmen.Bild: Privat1/4
  • Die japanische Raumsonde Hinode zur Erkundung der Sonne ist 2006 gestartet und sendet bis heute Daten aus einer Umlaufbahn der Sonne auf die Erde. Die Mission beobachtet jene Regionen auf der Sonne, die Sonneneruptionen und Solarwind hervorbringen. Louise Harra war und ist massgeblich an der Mission beteiligt.Bild: JAXA2/4
  • Bild der äusseren Sonnenatmosphäre, aufgenommen vom Satelliten Solar Orbiter.Bild: Solar Orbiter/EUI Team/ESA & NASA3/4
  • Prof. Louise Harra im Februar 2020 in Cape Canaveral in Florida (USA) beim Start der Raumsonde Solar Orbiter, mit welcher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Aktivitäten auf der Sonnenoberfläche untersuchen.Bild: Privat4/4
Louise Harra: Ein himmlischer Fächer

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