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Das CERN und die Schweiz: Sieben Jahrzehnte enge Zusammenarbeit und einige bislang kaum bekannte Fakten

Im Jahr 2024 wird das CERN 70 Jahre alt. Seine enge Verbindung zur Schweiz ist kein Geheimnis, schliesslich ist die Eidgenossenschaft eine der Sitzstaaten des Forschungszentrums und über zahlreiche Universitäten und Forschungseinrichtungen des Landes stark in sein Physikprogramm eingebunden. Aber welche Rolle spielte Winston Churchill in dieser Zusammenarbeit? Und wussten Sie, dass der Kanton Genf beinahe nicht zum Standort des (bis heute) grössten Teilchenbeschleunigers der Welt geworden wäre? Dass in den Anfängen viel improvisiert wurde und dass die Verbindungen zwischen dem CERN und der Schweiz sogar bis in den Weltraum reichen? Bitte weiterlesen, um mehr darüber zu erfahren...

Mitglieder der Magnetgruppe sitzen auf den ersten PS-Magneten. Das Bild wurde 1956 im Physikalischen Institut der Universität Genf aufgenommen, weil das CERN zu diesem Zeitpunkt nichts weiter als eine schlammige Baustelle war...
Bild: CERN

Mit sieben Universitäten und Labors, die ein breit gefächerten Physikprogramm bieten, darunter drei der vier LHC-Experimente, exotischere Projekte wie CLOUD oder GBAR oder Zukunftspläne wie HL-LHC und FCC sowie eigene Forschungsprojekte, ist die Schweiz fest in der Welt der Teilchenphysik verwurzelt. Sie ist seit der ersten Stunde Mitglied des CERN - oder sollte man sagen, seit der Stunde Null? Denn die Schweiz hat das internationale Labor bereits vor seiner Gründung mitgeprägt. Die meisten Chroniken des CERN führen die Idee eines europäischen Labors für die friedliche Erforschung der Bestandteile des Universums auf eine besondere Rede zurück: Winston Churchills berühmter Aufruf zu den „Vereinigten Staaten von Europa“, den er im September 1946 an der Universität Zürich hielt.

Auf dem offiziellen Festakt zum 70. Geburtstag, der am 1. Oktober am CERN stattfand, verwies auch Bundespräsidentin Viola Amherd auf diesen Geist der friedlichen Kooperation: "Die Institution, die wir heute feiern, steht für den Wissensdrang des Menschen. Zugleich ist sie ein starkes Beispiel für die Erfolge, die von Staaten ausgehen, die nicht gegen- sondern miteinander arbeiten. (…) Es ist ein Geist, den wir auf unserem Kontinent und darüber hinaus sehr dringend brauchen.”

In den Anfängen der Konzeption eines europäischen Laboratoriums für Kernforschung gab es mehrere Standorte, die als Kandidaten in Frage kamen. Natürlich war Genf, wo sich bereits andere internationale Organisationen angesiedelt hatten, ein naheliegender Kandidat, doch die dänische Stadt Kopenhagen stellte eine starke Konkurrenz dar. Longjumeau bei Paris und Arnheim in den Niederlanden standen ebenfalls in der engeren Wahl. Die Vorschläge für Paris und Kopenhagen wurden relativ schnell zurückgezogen, aber es war ein hartes Rennen zwischen Genf und Arnheim, das Genf schliesslich auf der Ratssitzung im Oktober 1952 für sich entschied. Der Grund dafür war die zentrale Lage in Europa, „in einem kleinen, politisch neutralen Land mit einer langen Tradition als Sitz internationaler Organisationen“, und die „besonders schöne Landschaftsumgebung“.

Aber nur weil die Gründerväter der Forschungslabors eine Idee befürworten, heisst das noch lange nicht, dass jeder damit einverstanden ist. Eine Gruppe von Leuten - die Kommunistische Partei von Genf, um genau zu sein, unterstützt von einem grossen Teil der Bevölkerung - war so sehr dagegen, dass sie eine Initiative lancierte, um „die die Errichtung eines Instituts für Kernphysik im Kanton Genf zu verbieten.“ Einerseits befürchteten sie gesundheitliche Risiken für die lokale Bevölkerung durch den Beschleuniger, andererseits eine Gefährdung der Neutralität der Schweiz. Sie sammelten genügend Unterschriften für ein sehr schweizerisches Verfahren: ein Referendum. Dies wiederum muss der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Kommunikationskampagnen des CERN gewesen sein, bei denen Vertreter der Wissenschaft und der Kantone durch die Gemeindesäle zogen und ihre Argumente für das Labor vortrugen. Diese Argumente wurden auf Wunsch der Schweiz in die CERN-Konvention aufgenommen und sind nach wie vor zwei ihrer stärksten Pfeiler: Die Forschung am CERN ist Grundlagenforschung ohne jeden militärischen Zweck, und alle Ergebnisse werden öffentlich publiziert. Ende Juni 1953 stimmten die Genfer in einem Referendum mit 16.539 zu 7.332 Stimmen für den Standort des CERN in ihrem Kanton. Der Deal war gemacht.

Kurzzeitig wurden die Weinberge von Dardagny als möglicher Standort ins Auge gefasst, aber Meyrin setzte sich durch. In einer Chronik der Gemeinde wird deutlich, wie stolz man auf den berühmten, wenn auch etwas schrulligen Nachbarn und seine Menschen ist: „Ihre Anwesenheit hat zur Multikulturalität der Gemeinde beigetragen und trägt auch weiterhin dazu bei. Meyrin profitiert von den wirtschaftlichen Nebeneffekten und dem Ruf des CERN. Nobelpreisträger haben hier gearbeitet. Das Internet wurde hier erfunden, und wichtige Persönlichkeiten wie François Mitterrand und Papst Johannes Paul II. waren hier zu Besuch.

Nach dem Referendum wurde am 1. Juli die CERN- Konvention unterzeichnet, und die ersten Mitarbeitenden des Protonen-Synchrotrons trafen in Genf ein. Sie mussten eine Werkstatt an der Universität Genf einrichten, weil es das CERN noch gar nicht gab. Die Gruppe, die am Synchrozyklotron SC, dem allerersten Beschleuniger des CERN, arbeitete, wurde sogar in einer Villa in Cointrin untergebracht, was sie zum ersten „Hauptquartier “ des CERN machte. Tatsächlich existiert diese Villa noch immer auf dem Gelände des Genfer Flughafens - man kann sie sogar von der Strasse aus sehen, die zum Flughafen führt - und trägt den Namen „Chateau Aralp“ oder „Chateau Cointrin“, je nachdem, wen man fragt.

Die im Physikalischen Institut der Universität Genf entwickelten und getesteten Magnete sind übrigens nach all den Jahren immer noch im PS in Betrieb - nur ein Beispiel dafür, wie das Labor CERN seine alten Geräte und Infrastrukturen so gut wie möglich nutzt und wiederverwendet. Ein weiteres Beispiel ist der weltgrösste Beschleunigertunnel, der in den 1980er Jahren für den Large Electron-Positron Collider LEP im Schweizer und französischen Boden gegraben wurde und der der Physik seit mehr als 40 Jahren dient und dies auch in absehbarer Zukunft tun wird.

Während Wissenschaftler:innen überall in Genf an den Technologien für die ersten CERN-Beschleuniger arbeiteten, wurde am 17. Mai 1954 auf den hügeligen Feldern von Meyrin der erste Spatenstich vollzogen. „Die Zeremonie, die nicht offiziell war, fand in Anwesenheit der örtlichen Mitarbeitenden des CERN, der kantonalen Behörden und des Ratsvorsitzenden Robert Valeur statt. Es wurden keine Reden gehalten, und keine Journalisten berichteten über das historische Ereignis“, heisst es in der ‚Geschichte des CERN‘. Nach einer Rekordbauzeit wurde der SC in Betrieb genommen und die ersten Mitarbeiter zogen 1957 in die CERN-Gebäude ein.

Wer schon einmal am CERN war, wird eines dieser Gebäude bestimmt bemerkt haben. Das Gebäude 60, architektonisch ein Produkt der Nachkriegszeit, überragt das Hauptgebäude, die Cafeteria und seine Terrassen. Weiss und eckig und für das ungeübte Auge relativ unscheinbar, beherbergte es bis vor kurzem das vergrösserte Direktorium, das für eine umfassende Renovierung ausziehen musste. Dieses Gebäude stellt eine weitere enge Verbindung zur Schweiz dar - seine Architekten sind die Schweizer Vater und Sohn Rudolf und Peter Steiger, die das gesamte erste Gebäudeensemble auf dem CERN-Gelände entworfen haben. Es gilt heute als eines der schönsten Beispiele moderner Architektur des 20. Jahrhunderts in Genf und bildet zusammen mit den beeindruckenden Hauptsitzen der Weltgesundheitsorganisation und der Internationalen Arbeitsorganisation ein „aussergewöhnliches Kulturerbe-Ensemble“ der Architektur des internationalen Genf. Nach der Beseitigung von Asbest und anderen Materialien, die nicht den modernen Sicherheitsstandards entsprechen, wird das Gebäude im Jahr 2025 wieder Sitz des CERN-Managements sein.

Nach all dem Gerede über Wurzeln schlagen, über Stein und Mörtel und tief liegende Tunnel wollen wir mit einer Verbindung abschliessen, die höher liegt als die meisten anderen - 400 Kilometer hoch, um genau zu sein. Ein Experiment an der Aussenhülle der Internationalen Raumstation ISS sucht nach Antimaterie und dunkler Materie im Weltraum. Das Experiment Alpha Magnetic Spectrometer (AMS) umkreist die Erde mit einer Geschwindigkeit von 16 000 Kilometern pro Sekunde und überwacht sehr genau die Zusammensetzung und die Einschlagsrate der kosmischen Strahlung, unter anderem dank der Siliziumdetektoren in den AMS-Trackern der ersten und zweiten Generation, die von der Universität Genf und der ETH Zürich hergestellt wurden. AMS, dessen Kontrollraum sich am CERN befindet, soll dort so lange Daten sammeln, wie die ISS in Betrieb ist.

Weitere interessante Fakten aus der Geschichte des Schweizer CERN erfahren Sie beim nächsten Jubiläum...

Barbara Warmbein

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