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Oliver Müller – Doch ganz ordentliche Zwerggalaxien

Mit seiner Dissertation hat er ein Standardmodell der Kosmologie herausgefordert: Er konnte zeigen, dass Zwerggalaxien nicht immer chaotisch, sondern auch geordnet um die Hauptachse kreisen können. Dafür wird Oliver Müller mit dem Prix Schläfli in Astronomie ausgezeichnet.

Oliver Müller, Prix Schläfli 2020
Bild: Eva Schnider

Man kann ihn sich gut als einen ewig Staunenden vorstellen. Ein Künstlertyp mit langen Haaren, der fasziniert in den Himmel blickt, in den Anblick des Universums versunken. Tatsächlich hatte Oliver Müller eine Art Aha-Erlebnis, das ihn in die Astronomie geführt hat beim Besuch der Sternwarte Metzerlen-Mariastein: «Als Stadtkind kannte ich den Nachthimmel nicht. Ich war fasziniert.»

Er beschäftigte sich immer intensiver mit der Sternenwelt, insbesondere mit Zwerggalaxien. Zwerggalaxien sind für die Wissenschaft von besonderer Bedeutung, weil sich dort die dunkle Materie am besten indirekt beobachten lässt. Die dunkle Materie macht rund 80 Prozent der Materie im Universum aus und gilt als treibende Kraft für die Strukturbildung und damit auch für die Entstehung von Galaxien und deren Umgebung. Das kosmologische Standardmodell geht davon aus, dass sich Zwerggalaxien in zufälligen, chaotischen Bewegungen um ihre Zentralgalaxien bewegen. Allerdings haben Forschende schon länger beobachtet, dass sich die Zwerggalaxie um die Milchstrasse nicht an diese Annahme hält. «Dies galt lange Zeit als eine Kuriosität unseres galaktischen Systems», erklärt Müller. Der Gedanke, dass es da draussen noch mehr «Ausreisser» geben könnte, liess ihn nicht mehr los. Und siehe da: 14 von 16 bekannten Zwerggalaxien in unserer Nachbars-Galaxiengruppe Centaurus A zeigten das gleiche, symmetrische Bewegungsmuster.

Doch damit war nur der halbe Durchbruch erzielt: Müller stellte an der Universität Basel ein Forschungsteam zusammen, um die statistische Signifikanz dieser Bewegungsmuster zu bestimmen. Die Ergebnisse schafften es auf die Titelseite von «Science» und lösten sowohl in der Fachwelt wie auch in der Öffentlichkeit ein riesiges Echo aus. «Im Moment sind unsere Erkenntnisse noch akademisch», sagt Müller. «Aber vor 200 Jahren war die Entdeckung der Elektrizität auch nur akademisch.» Seine Erkenntnisse könnten letztlich dazu führen, das kosmologische Standardmodell neu zu denken.

Wer eine solche Revolution anführt, müsste ja eigentlich damit rechnen, eine Anerkennung wie den Prix Schläfli zu erhalten. Aber: «Ehrlich gesagt, kann ich es gar nicht glauben. Es ist wirklich surreal», sagt er. Das mag daran liegen, dass der 30-Jährige kein guter Schüler und auch kein besonders guter Student war, wie er betont. «Der Preis zeigt mir aber, dass man kein Genie sein muss, um Erfolg zu haben, sondern dass auch der Wille und die Freude zählen», sagt er, der als erster in der Familie eine akademische Laufbahn eingeschlagen hat.

Zurzeit forscht Müller mit einem Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds an der Sternwarte der Universität Strasbourg. Normalerweise ist er auch einmal wöchentlich bei seiner Freundin in Basel, wo er japanischen Schwertkampf unterrichtet. Bei seiner letzten Reise ist er unfreiwillig am Rheinknie steckengeblieben: Es war der Tag vor dem Lockdown – danach konnte er nicht mehr nach Frankreich zurück. Zum Glück kann er einige seiner Hobbies auch in der unfreiwilligen Quarantäne pflegen: E-Gitarre spielen und schreiben – vor allem für seinen Blog bei Spektrum der Wissenschaft «Prosa der Astronomie». Dort bringt er wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiteren Publikum nahe: Ein Sterngucker, der auch anderen den Blick ins Universum öffnet.

Astrid Tomczak-Plewka

One of the dwarf galaxies which is orbiting around our Milky Way galaxy as part of a planar structure.
One of the dwarf galaxies which is orbiting around our Milky Way galaxy as part of a planar structure.Bild: ESO/Digitized Sky Survey 2

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