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«‹Energie sparen› dämpft Energiekrisen, schont das Klima und wird akzeptiert»

Carte Blanche für Stephanie Moser, Universität Bern, und Annette Jenny, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW

30.09.2022 – Energie zu sparen stärkt die Versorgungssicherheit und ist zwingend für eine klimaneutrale Gesellschaft. Bei der Bevölkerung sind Sparstrategien, richtig austariert, durchaus akzeptierter als viele denken.

Annette Jenny / Stephanie Moser

Der Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autorinnen wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.

Die Energie droht im kommenden Winter knapp zu werden; das Thema «Energie sparen» ist plötzlich in aller Munde. Endlich, möchte man sagen. Bisher sprachen wir vor allem von «Effizienz» (d.h. geringerer Einsatz von Ressourcen pro Ware oder Dienstleistung, z.B. effiziente Leuchtmittel wie LED) und «Konsistenz» (d.h. naturverträgliche Produktion, etwa mit erneuerbaren Energien und biologischer Produktion). Energie zu sparen bzw. Strategien der «Suffizienz» wurden kaum diskutiert. Dabei wissen wir eigentlich alle, dass sich eine klimaneutrale Gesellschaft nur erreichen lässt, wenn wir auch unseren absoluten Verbrauch reduzieren. Technische Effizienzgewinne werden nämlich oft überkompensiert (Rebound-Effekte) und die Dekarbonisierung führt zu Verlagerungseffekten, indem etwa viel mehr Strom für Elektroautos, Wärmepumpen und mehr benötigt wird. Diese Effekte, zusammen mit Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, führen dazu, dass der Verbrauch nicht sinkt, sondern steigt.

Mehr macht nicht glücklicher

Energie zu sparen ist deutlich einfacher umzusetzen, unmittelbarer wirksam und ökologischer als Notfallgaskraftwerke und der Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion. Eine ernstzunehmende Suffizienzstrategie umfasst jedoch viel mehr, als die Bevölkerung dazu anzuhalten, Lichter zu löschen und beim Kochen einen Deckel zu verwenden. Sie stellt die Frage nach der Lebenszufriedenheit. Wieviel Wohnraum, Autofahrten und Flugreisen brauchen wir, um ein gutes Leben zu führen? Studien zeigen klar, dass es uns auch mit einem weniger hohen Energieverbrauch gut ginge. So sind Menschen mit einem hohen Treibhausgas-Fussabdruck nicht glücklicher als solche, die auf kleinem Fuss leben. Das subjektiv genügende Ausmass an Konsum, welches als befriedigend für eine gute Lebensqualität wahrgenommen wird, liegt deutlich unter dem heutigen Verbrauch: 19.5 Grad Wohntemperatur, ca. 38 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf und etwa 3mal Fleisch pro Woche findet die Schweizer Wohnbevölkerung gemäss einer Studie im Durchschnitt als ausreichend.

Politikansätze, die Suffizienz stärken, sind besser akzeptiert als ihr Ruf suggeriert. Eine Bevölkerungsbefragung zeigte, dass staatliche Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels von der Bevölkerung grundsätzlich begrüsst werden. Auch Massnahmen, wie die Einschränkung der Zersiedelung oder von Werbung, vermehrte autofreie Tage, sowie ein korrektes Abbilden der Umweltkosten im Fleischpreis werden von der Bevölkerung mehrheitlich akzeptiert.

Suffizienz muss gerecht sein

Suffizienzstrategien müssen als gerecht empfunden werden, um akzeptiert zu werden. Diejenigen, welche die Knappheit mit exzessivem Verbrauch besonders verschärfen, sollten im Fokus stehen. Dabei geht es nicht nur um den absoluten Energieverbrauch, sondern auch darum, wieviel eine Person verdient und ob Energie für Notwendigkeiten oder für Annehmlichkeiten im Luxusbereich verwendet wird. Für Niedrigverdienende sollten zudem bei Bedarf Kompensationen vorgesehen werden.

Suffizienz beschränkt sich nicht auf die Frage individueller Lebensstile. Die Politik muss durch Anreize und Infrastrukturen ein Umfeld schaffen, in dem ein suffizienter Lebensstil einfach wird. So nimmt die Politik Unternehmen in die Pflicht, Material- und Stoffdurchläufe zu verlangsamen und auf Langlebigkeit und wachstumsunabhängige Geschäftsmodelle zu setzen. Zudem sollten Arbeits-, Wohn- und Freizeitwelten entsprechend umgestaltet werden.

Es ist klar, ein solch umfassendes Verständnis von Suffizienz lässt sich nicht als Notfallplan im Rahmen weniger Monate umsetzen. Gerade deshalb sollten wir jetzt beginnen. Das hilft gegen die weitere Klimaerhitzung und zukünftige Energiekrisen. Nehmen wir Suffizienz ernst, nicht als Notfall-, sondern als Vorsorgestrategie.

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Dr. Stephanie Moser ist Mitglied der Geschäftsleitung des Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern, sowie Co-Leiterin des Bereichs «Just Economies and Human Well-Being». Sie forscht zu nachhaltigen Konsum- und Lebensstilen, sowie der Frage, wie eine gesellschaftliche Transformation gefördert, gestaltet und wissenschaftlich begleitet werden kann.

Dr. Annette Jenny ist Dozentin am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Die Sozial- und Umweltpsychologin forscht und lehrt zu nachhaltigen Lebensstilen und Ansätzen der Suffizienzförderung.

Bücher zum Thema

  • Binswanger, M. (2006). Die Tretmühlen des Glücks: Wir haben immer mehr und werden nicht glücklicher. Freiburg: Herder.
  • Linz, M. (2012): Weder Mangel noch Übermass. Warum Suffizienz unentbehrlich ist. München: oekom verlag
  • Welzer, H (2019). Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag GmbH.

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