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Prix Schläfli 2018 Mathematik: Livio Liechti

Man könnte nun mit Flamenco anfangen. Oder mit Donuts. Aber wirklich weiterhelfen würde das auch nicht, wenn man sich einen Begriff von Livio Liechtis Forschung machen möchte. «On the spectra of mapping classes and the 4-genera of positive knots» ist der Titel seiner vor einem guten Jahr eingereichten Dissertation – wer sich darunter etwas Plastisches vorstellen kann, der gehört zum eingeweihten Kreis von Spezialisten.

Livio Liechti
Bild: Livio Liechti

Wobei: etwas Plastisches, das ist gar kein schlechtes Stichwort. «Ich mag es, dass die Objekte in meinem Forschungsbereich grundsätzlich anschaulich sind», sagt Liechti. Er nehme sie stark visuell wahr – auch sein mathematisches Denken funktioniere oft auf dieser visuellen Ebene, nicht nur in Formeln, Zahlen und logischen Sätzen.

Genau diese Anschaulichkeit war es auch, die letztlich den Ausschlag gegeben hat, dass Liechti zum Forscher geworden ist. «Ich war mir zu Beginn des Studiums gar nicht sicher, ob Mathematik wirklich das Richtige für mich ist.» Der entscheidende Moment sei während eines Erasmus-Semesters in Madrid gekommen, das sich einerseits ums Flamenco-Tanzen und anderseits um eine Vorlesung zu topologischen Flächen und ihre Klassifikationen gedreht habe. «Heute mache ich mathematische Forschung und tanze keinen Flamenco mehr», fasst er das Resultat des Aufenthalts zusammen. Zu faszinierend war die Einsicht, dass «man etwas, was anschaulich ist, auch komplett präzis machen kann». Dass man also zu einem alltäglichen Ding wie – zum Beispiel – einem Donut klare und präzise Aussagen machen, dass man sie in ein rigoroses formales Korsett fügen kann.

Dieses Spannungsfeld zwischen konkreter Anschaulichkeit und purer mathematischer Abstraktion begleitet seine Forschung bis heute. Er habe das klare Gefühl, dass es sich bei den Dingen, über die er nachdenkt, um echte Objekte handle – «auch wenn sie mehr im Ideenhimmel existieren als in der konkreten Welt». Und es gebe zu den in seiner Arbeit gewonnen Erkenntnissen auch durchaus Bezüge zu konkreten Problemen, sei es in der Zahlentheorie oder auch in der Biologie, so zum Beispiel bei Polymeren wie der DNA, die sich auch komplex verknoten. Ein Teil seiner Dissertation beschreibe, wie Knoten einer gewissen Art sehr verschieden sind von ihren Spiegelbildern — das könnte von Belang sein für Vorgänge im Körper, wo die so genannte Chiralität zuweilen eine entscheidende Rolle spielt. Das sei zwar keine praktische Anwendung, aber immerhin ein Kontakt zu real existierenden Objekten. Mehr dazu könne er leider nicht sagen: «Ich weiss nicht, ob sich ein direkter praktischer Nutzen ableiten lässt. Vielleicht nicht, vielleicht erst in ferner Zukunft.»

Die konkrete Anwendung sei aber nicht die Motivation seiner Arbeit, sondern vielleicht eher die Beispielhaftigkeit eines Problems. So leitet er seine Doktorarbeit mit einem Kapitel ein, in dem die weiteren, rigorosen Überlegungen schon einmal auf freie Art und Weise und anhand eines schönen Beispiels durchgespielt werden. Es geht da, kurz gesagt, einerseits um die Klassifikation von Flächen und ihrer Abbildung in sich selbst, gewissermassen die Verflüssigung von plastischen Dingen, die auf ganz bestimmte und mit mathematischer Logik beschreibbare Weise passieren kann. Und andererseits um die Frage, wie viele Weisen es gibt, mathematische Objekte zu verknoten (simple Antwort: unendlich viele!) und darum, da eine «zufriedenstellende Ordnung hineinzubringen». Und auch hier wieder treibt Liechti dieselbe Faszination, wie «man direkt von einer Anschauung sehr abstrakt werden kann». Was er entsprechend auch gleich sehr konkret veranschaulicht: Dass es eine unendliche Vielfalt von Verschlingungen gibt, wisse ja schliesslich jeder, der je mit einem Schnurtelefon oder mit Handy-Kopfhörern hantiert habe.

Livio Liechti wurde von der Akademie der Naturwissenschaften mit dem Prix Schläfli 2018 in Mathematik ausgezeichnet für seine Doktorarbeit «On the spectra of mapping classes and the 4-genera of positive knots» an der Universität Bern. Er forscht nun am Mathematischen Institut de Jussieu in Paris.

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