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Marcel Tanner: «Dieser Nobelpreis spornt uns alle an»

Der Nobelpreis für Medizin wurde am Montag an drei Forscher verliehen, die den Kampf gegen Malaria und Wurmkrankheiten entscheidend beeinflusst haben. Das Karolinska-Institut begründet seinen Entscheid damit, dass die Entdeckungen der Gesundheit der vernachlässigten und ärmsten Menschen der Welt zugutekommen. Die Reaktion von Prof. Marcel Tanner, bis vor kurzem Direktor des Swiss TPH.

Marcel Tanner im April 2015 auf einer seiner vielen Reisen nach Afrika, hier am Kilomberofluss bei Ifakara, Tansania.

Herr Prof. Marcel Tanner, heute wurde der Nobelpreis für Medizin an drei Forscher vergeben, die dank ihrer Forschung die Bekämpfung von Malaria und Wurmkrankheiten vorangetrieben haben. Welche Bedeutung haben ihre Entdeckungen für die Gesundheit des Menschen, insbesondere im Süden?

Erstens: Diese Entdeckungen sind von grösster Bedeutung, denn dank dieser Fortschritte konnten in den letzten 10-15 Jahren sowohl die Bürden der Malaria, die lymphatische Filariose und die Flussblindheit (Onchocerkose) wesentlich reduziert werden. Und wir können heute in vielen Gebieten gar an eine Ausrottung dieser Krankheit der Armut (Malaria) und der vernachlässigten Tropenkrankheiten (lymphatische Filariose und Onchocerkose) denken.
Zweitens: Die Auszeichnung der Arbeiten an Armutskrankheiten oder vernachlässigter Tropen-Krankheiten spornt uns alle an, weiterhin unser Bestes zu geben, diese grossen Bürden der Menschheit anzugehen.

Ist es ein Beispiel eines gelungenen Transfers von Ergebnissen der Forschung in die Praxis?

Ganz bestimmt, aber es ist nicht nur die Innovation neuer Medikamente, sondern auch der gelungene Transfer wie ein wirksames Medikament effizient zu den betroffenen Menschen getragen werden kann. Hier spielen das Gesundheits- und Sozialsystem vor Ort eine entscheidende Rolle. Der Nobelpreis zeichnet leider diese wichtige Leistung von vielen Menschen nicht aus, sondern bloss die Innovation eines Medikaments. Damit ist die Arbeit noch lange nicht erledigt. Die betroffenen Menschen müssen erreicht werden.

Hat die Schweiz zu diesem wissenschaftlichen Fortschritt beigetragen?

Ja, sehr:

1. Das Schweizerische Tropen- Und Public Health Institut (Swiss TPH) hatte an den ersten klinischen Versuchen der Artemisinin-Kombinationspräparate bei Kindern in Afrika den Lead und half auch beim Verfassen der Registrierungsdokumente
2. Swiss TPH hat eine wichtige Stellung bei einer Reihe von Programmen der vernachlässigten Tropenkrankheiten und insbesondere auch bei den Ansätzen wie gerade mit den ausgezeichneten Medikamenten eine Eliminierung erreicht werden kann und wie die Kosten-Nutzen-Bewertungen aussehen.
3. Swiss TPH war wesentlich an der Gründung der Public Private Partnerships MMV (Medicine for Malaria Venture) und DNDi (Drugs for Neglected Diseaes intiative) beteiligt
4. Die DEZA unterstützt seit Jahren MMV, DNDi
5. Die Novartis gründete vor 15 Jahren das Novartis Institute for Tropical Diseases in Singapur als not-for-profit public-private partnership und arbeitet äusserst erfolgreich an Malaria und verbessert/verstärkt die Anstrengungen für neue Malariapräparate auf der Basis der Erfahrungen mit Artemisinen.
6. In verschiedenen Universitäten wie u.a. EPFL wird an diesen Global Health Problemen auf Grundlagenebene geforscht.

Ist Forschungsbedarf in diesem Bereich weiterhin nötig?

Sicher, denn noch wird in viele vernachlässigte Krankheiten nicht genügend investiert (Dengue, Leishmaniose, Chagas...). Und auch bei den Armutskrankheiten gibt es noch vieles zu tun:
(I) Malaria: neue Kombinationspräparate, Impfstoff
(II) Tuberkulose: Neue Wirkstoffe nötig wegen der Medikamentenresistenz
(III) HIV-Impfstoff und neue Medikamente wegen Resistenzbildungen.

Prof. Dr. Marcel Tanner setzt sich seit Jahren für die Reformierung des Wissenschaftssystems ein. Mit dem Schweizer Tropen- und Public Health-Institut Swiss TPH (Direktor von 1997 bis Mitte 2015) hat er eine Schweizer Wissenschaftsinstitution zu internationaler Anerkennung geführt. Früh schon hat er disziplinäre Spitzenforschung in transdisziplinäre Projekte eingebracht, die interdisziplinäre Kultur im Institut gefördert und in engem Austausch mit der Bevölkerung vor Ort neue Forschungsprojekte in der ganzen Welt aufgegleist. Marcel Tanner gibt der transdisziplinären Forschung durch sein internationales Engagement in globalen Forschungspartnerschaften eine neue Dimension. Der von ihm geforderte interkulturelle Austausch von Experten verschiedener Wissenssysteme auf Augenhöhe schafft durch gegenseitiges Lernen einen unschätzbaren Mehrwert, um den Herausforderungen durch den globalen Wandel zu begegnen. Er wird 2016 neuer Präsident der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT). Marcel Tanner ist seit 9 Jahren Präsident von DNDi.

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