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Myonenforschung

Bisher kein Hinweis auf eine neue Physik

Alles, was die moderne Physik über Elementarteilchen und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte weiss, ist im sogenannten Standardmodell zusammengefasst. Das Myonen-Experiment MEG am Paul Scherrer Institut im aargauischen Villigen sucht nach Hinweisen, die den Blick auf eine bisher unbekannte Physik jenseits des Standardmodells eröffnen würden. Die bisherigen Messungen des MEG-Experiments geben allerdings – noch – keinen Hinweis auf einen solch spektakulären Durchbruch. So das Fazit einer neuen wissenschaftlichen Publikation.

Illustration eines Myonen-Events im MEG-Experiment.
Bild: PSI

„Ich bin fasziniert von der Idee, dass supersymmetrische Teilchen existieren könnten, die unsere heutigen Vorstellungen vom Aufbau der Materie sprengen.“ Das sagt die italienische Physikerin Angela Papa, die am Paul Scherrer Institut forscht. Doch bisher ist Supersymmetrie nur ein Gedankengebäude, denn alle Experimente, die Physikerinnen und Physiker bisher durchgeführt haben, folgen den Gesetzmässigkeiten des Standardmodells. Das Standardmodell stellt eine konzise und elegante Zusammenfassung des aktuellen Wissens über die Elementarteilchen und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte dar. Doch mit diesem Stand des Wissens wollen sich die Physiker nicht zufriedengeben. Denn längst nicht alle Naturphänomene – soviel steht fest – lassen sich durch das Standardmodell befriedigend erklären. Dazu gehört z.B. die Frage, warum unsere normale Welt aus Materie besteht und nicht aus Anti-Materie.

Das ist der Grund, warum Physiker neue theoretische Erklärungsmodelle ausgeheckt haben, welche die Welt noch besser erklären könnten als das Standardmodell. Eines dieser neuen Erklärungsmodelle ist die sogenannte Supersymmetrie. Um festzustellen, ob dieses und andere neue Erklärungsmodelle die Wirklichkeit tatsächlich besser beschreiben als das Standardmodell, führen die Wissenschaftler geeignete Experimente durch. Das MEG-Experiment am Paul Scherrer Institut (PSI), einem Forschungsinstitut unter dem Dach des ETH-Bereichs, ist ein solches Experiment. Mit ihm wird zur Zeit überprüft, ob Supersymmetrie oder ein anderes Erklärungsmodell jenseits des Standardmodells eine taugliche Beschreibung der Wirklichkeit liefert.

Das Rätsel der Myonen

Am MEG-Experiment erforschen Wissenschaftler aus der Schweiz und vier weiteren Staaten Myonen. Das Myon gilt als schwerer Bruder des Elektrons, weil es dem bekannten Baustein der Atome sehr ähnlich ist, aber mehr Masse hat. Das Elektron ist ein stabiles Teilchen. Dagegen ist das Myon mit einer Lebensdauer von 2,2 Millionstelsekunden extrem kurzlebig. Myonen entstehen, wenn Protonen der kosmischen Strahlung mit grossen Energien in die Erdatmosphäre eindringen. Trotz ihrer kurzen Lebensdauer erreichen die Myonen die Erdoberfläche, jede Sekunde rund 100 Teilchen pro Quadratmeter.

Am Ende ihrer Existenz zerfallen Myonen in andere Teilchen, nämlich in ein Elektron oder Positron (positiv geladenes Elektron) und in zwei Neutrinos. Theoretische Physiker konnten nun zeigen, dass Myonen – falls das Erklärungsmodell der Supersymmetrie Hand und Fuss hat – auch in ein Elektron/Positron und ein Lichtteilchen (Photon) zerfallen könnten. Dies allerdings sehr selten: nur gerade bei einem von 1000 Milliarden (1012) Zerfällen soll demnach ein Licht-Teilchen entstehen. Physiker sprechen in diesem Zusammenhang von μ-nach-e-γ-Zerfällen ('My-nach-e-Gamma-Zerfällen'), dies mit Bezug auf die griechischen Buchstaben, die üblicherweise Myonen, Elektronen/Positronen und Photonen bezeichnen.

Experiment am Paul Scherrer Institut

Mit dem seit 1999 aufgebauten MEG-Experiment prüfen Physiker, ob solche Zerfälle von Myonen in Positron und Lichtteilchen (also Zerfälle ohne Neutrinos) tatsächlich stattfinden. Und das funktioniert so: Mit einem Beschleuniger werden Myonen erzeugt, von denen pro Sekunde 30 Millionen in das MEG-Experiment geleitet werden. Sobald die Myonen zerfallen, messen die Wissenschaftler Energie und Richtung der Zerfallsprodukte sowie deren Zeitpunkt. Aus den Daten können sie ablesen, in welche Teile die Myonen zerfallen sind. Von den 30 Millionen Myonenzerfällen pro Sekunde werden rund zehn zur Weiterverarbeitung ausgewählt, da diese den gesuchten μ-nach-e-γ-Zerfällen ähnlich sind. Die übrigen Zerfälle wurden zuvor durch geeignete Methoden aus dem Datenstrom herausgefiltert. Schliesslich untersuchen die Forscher die ausgewählten Ereignisse darauf hin, ob tatsächlich ein μ-nach-e-γ-Zerfall dabei ist.

Die Forscher des MEG-Experiments haben im Zeitraum 2009 bis 2011 die respektable Zahl von 3.6 x 1014 Zerfällen untersucht. „Bisher haben wir noch keinen μ-nach-e-γ-Zerfall beobachtet“, sagt Angela Papa. Das ist bemerkenswert, denn falls bestimmte Modelle der Supersymmetrie zuträfen, hätten in den Messdaten des genannten Zeitraums schon mehrere μ-nach-e-γ-Zerfälle beobachtet werden müssen. Dieses Ergebnis machen die Forscher in einem wissenschaftlichen Aufsatz bekannt*. Das Zwischenresultat schliesst bereits einen grossen Bereich von neuen Theorien aus. Um das noch zu steigern, wollen die Forscher ihr Experiment drei weitere Jahre fortsetzen und dabei weitere Myonen-Zerfälle untersuchen. Bevor sie das tun, wollen sie zuvor ab August 2013 noch den Detektor verbessern. Diese Arbeit wird zwei Jahre in Anspruch nehmen.

Aussagekraft eines Nullergebnisses

Zehn Millionen Franken Investitionen, zwanzig Jahre Forschungsarbeit eines 60 Mitarbeiter starken Forscherteams – lohnt sich dieser Aufwand, wenn am Ende – wohl – ein Null-Ergebnis herausschaut? Stefan Ritt, Leiter der Myonen-Physik am PSI, hat diese Frage schon öfter gehört. Doch er kontert: „Auch ein Nullergebnis hätte einen grossen wissenschaftlichen Wert, denn mit unserem Experiment könnten dann verschiedene Erklärungsmodelle ausgeschlossen werden. Dabei stossen wir sogar in Bereiche vor, die man niemals an Hochenergie-Beschleunigern erreichen kann.“ Der Teilchenphysiker verweist zudem auf den wissenschaftlichen Nutzen der Myonenforschung. So sind rund um das MEG-Experiment bisher 18 Doktor- und 24 Masterarbeiten entstanden. „Unsere Messresultate helfen beispielsweise auch den Forschern am CERN, damit sie gewisse Hypothesen ausschliessen können“, sagt Ritt.

Angela Papa schätzt das MEG-Experiment, weil die Grösse noch überschaubar ist und es ihr die Gelegenheit bietet, ganzheitlich zu forschen. Das heisst: nicht nur an einem kleinen Teilproblem zu arbeiten, wie es oft in riesigen Forschergruppen nötig ist, sondern verschiedenste Problemstellungen anpacken zu können. So konnte die Forscherin das komplexe Experiment mit konzipieren, konnte es mit aufbauen und bei der Datenauswertung mitwirken. Im Moment arbeitet sie am Upgrade des Detektors, zusammen mit einem Forscherkollegen aus Rom, mit dem sie sich mehrmals täglich per Skype unterhält. „Langweilig ist mir bisher nie geworden“, lacht Angela Papa.

*New constraint on the existence of the μ+ → e+ γ decay, in: Phys. Rev. Lett. (in press)

Benedikt Vogel (veröffentlicht: 26. April 2013)

Zu dem Thema siehe auch den Bericht, den Laura Hennemann für das Paul Scherrer Institut verfasst hat.

  • Stefan Ritt und Angela Papa, Myonenforscher am Paul Scherrer Institut. Foto zVg
  • Die Hauptkomponenten des MEG-Experiments.
  • Illustration eines Myonen-Events im MEG-Experiment.
  • Normalerweise zerfällt ein Myon in ein Elektron (oder Positron) und zwei Neutrinos. Die Forscher am PSI wollen herausfinden, ob Myonen auch in ein Elektron (oder Positron) und ein Lichtteilchen zerfallen können.
  • Stefan Ritt und Angela Papa, Myonenforscher am Paul Scherrer Institut. Foto zVg1/4
  • Die Hauptkomponenten des MEG-Experiments.Bild: PSI2/4
  • Illustration eines Myonen-Events im MEG-Experiment.Bild: PSI3/4
  • Normalerweise zerfällt ein Myon in ein Elektron (oder Positron) und zwei Neutrinos. Die Forscher am PSI wollen herausfinden, ob Myonen auch in ein Elektron (oder Positron) und ein Lichtteilchen zerfallen können.Bild: PSI4/4

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