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Jenni ausgezeichnet

"Es brauchte viel Kreativität und Überzeugungskraft"

Der Sonderpreis der Fundamental Physics Prize Foundation ist nicht die erste Auszeichnung, die der Berner Physiker Peter Jenni erhält, mit 500 000 Dollar aber die am höchsten dotierte. Jenni wird mit dem Preis für seine Verdienste beim Aufbau des ATLAS-Experiments am CERN geehrt. Mit diesem Experiment war im Sommer 2012 ein Teilchen entdeckt worden, bei dem es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um das lange gesuchte Higgs-Teilchen handelt. Im Interview sagt Peter Jenni, was ihm die jüngste Auszeichnung bedeutet und welche Schwierigkeiten einem auf dem langen Weg zu einer physikalischen Entdeckung begegnen.

Der Berner Physiker Peter Jenni, gern "Vater des ATLAS-Experiments" genannt.
Bild: CERN

Herr Jenni, herzliche Gratulation! Sie gehören zu den Trägern eines vom russischen Investor Yuri Milner gestifteten Preises, der seit 2012 im Bereich fundamentaler Physik vergeben wird. Der Preis geht an sieben Physiker, darunter Sie und Fabiola Gianotti. Sie haben das ATLAS-Experiment seit den 1980er Jahren mit aufgebaut und geleitet, bis Fabiola Gianotti Sie 2009 in dieser Leitungsfunktion abgelöst hat. Was bedeutet der Preis für Sie?

Peter Jenni: Der Preis wirkt spektakulär, weil er mit viel Geld verbunden ist. Doch es gibt auch Preise, die sind nicht mit Geld verbunden, sind aber in den Augen der Physiker nicht weniger wert. So habe ich vor kurzem die Ernst Mach-Medaille bekommen, die höchste tschechische Auszeichnung in meinem Fachgebiet, die mir persönlich ebenfalls wertvoll ist.
Mich freut die neue Auszeichnung. Ich möchte zugleich betonen, dass hinter mir als ehemaligem ATLAS-Sprecher ein grosses Wissenschaftler-Team steht, und ihm steht das volle Verdienst zu. Schön ist, dass die Jury, die vorwiegend aus theoretischen Physikern besteht, mit dem Preis die experimentelle Arbeit würdigt, die wir mit ATLAS und CMS, den beiden grossen 'Higgs-Experimenten' am Teilchenbeschleuniger des CERN, leisten.

Welches war, in einigen Sätzen, Ihr Beitrag zum ATLAS-Experiment?

Das ATLAS-Experiment hatte von Anfang an das Ziel, das seit langem vorausgesagte Higgs-Teilchen experimentell nachzuweisen und dem Phänomen der Supersymmetrie auf die Schliche zu kommen. Ich habe von Beginn weg – also seit 1984 – Ideen mitgeliefert, wie ein Experiment aufgebaut sein muss, das diese und weitere wissenschaftliche Ziele erreicht. Ein Experiment von dieser Grösse und Komplexität auf die Beine zu stellen, braucht viel Kreativität und Überzeugungskraft. So lag es keineswegs von Beginn weg auf der Hand, dass wir für das Experiment eine Konstruktion mit toroidförmigen Magneten nutzen können, die dem Experiment schliesslich den Namen gab (A Toroidal LHC Apparatus).

Ich musste viele Physikerkollegen davon überzeugen, dass dieses Experiment der richtige Weg ist, den Geheimnissen der Materie auf die Spur zu kommen. Und ich musste, zusammen mit den örtlichen Kollegen, Finanzgeber in zwei, ja drei Dutzend Staaten überzeugen, uns die nötigen vielen Millionen für den Bau des Detektors zur Verfügung zu stellen. In meiner Funktion musste ich auch einfach gut zuhören können, was die einzelnen Projektpartner wollen. Wenn Sie zum Beispiel Japan und die USA zusammenbringen wollen, geht das nicht automatisch, da sind kulturelle Hürden zu überwinden. Diplomatisches Geschick war gefragt.
Für mich ist es eine grosse Ehre und Genugtuung, dass ich offiziell von 1995 bis 2009 alle drei Jahre in geheimer Wahl als Sprecher (Projektleiter) des ATLAS-Experiments bestätigt wurde.

Welches war die grösste Hürde beim Aufbau des Experiments?

Eine ganz grosse Herausforderung war der Aufbau des Detektors in einer unterirdischen Halle. Da hat unser Technischer Koordinator – der Tessiner Physiker Marzio Nessi am CERN – zusammen mit mehreren hundert Ingenieuren, Physikern und Technikern aus der ganzen ATLAS-Kollaboration wirklich ganze Arbeit geleistet! Bei der Konstruktion des Detektors gab es auch ein, zwei technische Rückschläge, bei denen schnell klar war, dass sie nur mit Mehrkosten zu überwinden sein würden. Das hat mir einige schlaflose Nächte gekostet.
Eine Portion Glück hatten wir, dass wir nicht über unseren Riesenoptimismus in Sachen Computing stolperten. Als wir den ATLAS-Detektor in den 1990er Jahren zu bauen begannen, verfügten wir in keiner Weise über die Mittel, die Daten auszuwerten. Das sollte erst später mit dem Grid-Computing – dem Zusammenschluss vieler Computer zu einem leistungsfähigen Netzwerkrechner – möglich werden. Ohne Grid-Computing sässen wir heute auf Unmengen von ATLAS- und CMS-Daten, die wir gar nicht analysieren könnten, jedenfalls nicht in vernünftiger Zeit. Die Entdeckung des Higgs-Teilchens wäre in weite Ferne gerückt.

Die Entdeckung dieses Teilchens sorgte in diesem Jahr für Furore. Würden Sie diese Entdeckung mit den ganz grossen physikalischen Durchbrüchen wie Newtons Beschreibung der Gravitation oder Einsteins Relativitätstheorie vergleichen?

Mit solchen Vergleichen wäre ich vorsichtig. Ich würde die Higgs-Entdeckung lieber in eine Reihe stellen mit der Entdeckung des W- und des Z-Teilchens in den frühen 1980er Jahren. Diese Entdeckung hat – zusammen mit dem Fund des Top-Quarks in den 1990er Jahren – dazu beigetragen, dass wir heute vom 'Standardmodell' reden, also einer umfassenden Theorie der Elementarteilchen und der zwischen ihnen wirkenden Kräfte.

Welche Tugenden braucht man, um ein guter Teilchenphysiker oder eine gute Teilchenphysikerin zu werden?

Enthusiasmus und Neugierde! Wer mit der Experimentalphysik liebäugelt, wer also mit Experimenten die Naturgesetze begreifen will, muss zudem auch Spass an technischen Apparaturen haben und – in heutiger Zeit – Computerwissen. Mathematik gehört ebenfalls dazu, auch wenn nicht jeder experimentelle Teilchenphysiker ein aussergewöhnlich exzellenter Mathematiker sein muss.

Verraten Sie uns, was Sie mit dem Preisgeld machen werden?

Sicher werde ich mir keinen Sportwagen kaufen! Im Ernst: Ich habe die Absicht, das Geld für vernünftige Zwecke einzusetzen, etwa zur Ausbildung und für humanitäre Zwecke. Wie genau, wird man sehen.

Peter Jenni erzählt zusammen mit seinen Kollegen Michel Della Negra und Tejinder Virdee in der Fachzeitschrift 'Science' die aufregende Geschichte der CERN-Experimente CMS und ATLAS. Der englischsprachige Artikel (Dateigrösse: 3,4 MB) ist zu finden unter: http://www.sciencemag.org/content/338/6114/1560.full.pdf

Vor kurzem hat Peter Jenni in San Francisco im Rahmen einer Veranstaltung der Schweizer Wissenschaftsplattform swissnex über das Higgs-Teilchen gesprochen. Die Veranstaltung ist als Video abrufbar unter: http://fora.tv/2012/11/07/Hunting_for_the_Higgs_Boson

Interview: Benedikt Vogel (veröffentlicht: 15. Dezember 2012)

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