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Anna Soter will exotische Atome für ein spitzfindiges Experiment nutzen

Ist Antimaterie gleich schwer wie Materie?

Die Schwerkraft begleitet uns im Alltag – vom morgen früh, wenn wir uns aus dem Bett stemmen, bis abends spät, wenn wir uns müde in die Matraze fallen lassen. Obschon keine andere Naturkraft unser Leben so sehr prägt wie die Gravitation, wissen wir immer noch wenig über sie. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter weltweit arbeiten daran, die Geheimnisse der Schwerkraft zu lüften. Eine von ihnen forscht im Kanton Aargau: die 32jährige Teilchenphysikerin Anna Soter.

Anna Soter and her experiment at PSI. Photo: private
Bild: CHIPP, Private

In Dan Browns Thriller 'Illuminati' (englisch: 'Angels & Demons') wird im CERN ein Viertelgramm Antimaterie gestohlen und am Ende hoch über Rom durch Annihilation zur Explosion gebracht. Der US-amerikanische Autor hat seine Geschichte um den intriganten Geheimbund der 'Erleuchteten' reich ausschmückt, doch seine Fiktion hat durchaus eine reale Grundlage: Antimaterie gibt es tatsächlich, und die Existenz von Antimaterieteilchen wurde schon 1932 nachgewiesen als Carl David Anderson das Antielektron als Bestandteil der kosmischer Höhenstrahlung entdeckte. Antielektronen werden heute von Ärzten benutzt, die diese in PET-Scannern für die Krebsdiagnostik benötigen. Antiprotonen wurden 1955 zum erstenmal in Beschleunigerexperimenten am Lawrence Berkely National Laboratory in den USA erzeugt und nachgewiesen. Antiprotonen kommen aber auch natürlich in der kosmischen Höhenstrahlung vor. Werden Antielektronen mit Antiprotonen zusammengebracht, können Antiwasserstoffatome erzeugt werden; das CERN ist das einzige Labor weltweit, das dies kann. Die Lebensdauer von Antimaterie ist dabei genau so lang wie von herkömmlicher Materie. Erst wenn Materie und Antimaterie zusammengebracht werden, annihilieren sie sich gegenseitig.

Allerdings hat Antimaterie noch längst nicht all ihre Geheimnisse preisgegeben. Offen ist beispielsweise die Frage, ob Antimaterie gleichermassen der Gravitationskraft unterworfen ist wie die uns bekannte Materie. Ob also ein Apfel aus Antimaterie, wenn er denn existieren würde, in gleicher Weise zu Boden fiele wie der berühmte Apfel, dank dem Isaac Newton der Legende nach das Gravitationsgesetz entdeckt haben soll. Viele Physiker vermuten, dass sich Materie und Antimaterie tatsächlich gleich verhalten. Dieser Sachverhalt – Physiker sprechen vom 'Äquivalenzprinzip' – ist bisher in mancher Hinsicht bestätigt worden; ob dieses Prinzip aber ganz allgemein gilt, dafür fehlt der experimentelle Beweis. Antielektronen und Antiprotonen sind elektrisch geladen, was es unmöglich macht, ihre gravitative Wechselwirkung isoliert zu messen. Die Gravitationskraft ist im Verhältnis zur elektromagnetischen Kraft viel zu schwach, um eine zuverlässige Messung zu ermöglichen. Antiwasserstoffatome hingegen sind elektrisch neutral und somit könnten Gravitationseffekte in sorgfältig durchgeführten Experimenten nachgewiesen werden. Ähnlich können auch Elektronen und Antimyonen zusammengebracht werden und dabei neutrales Myonium erzeugen, bei welchem die Gravitationseffekte nachgewiesen werden könnten. Myonen sind Elementarteilchen, die den Elektronen sehr ähnlich sind. Sie haben allerdings eine etwa 200-mal schwerere Masse und eine Lebensdauer von 2.2. Mikrosekunden. Antimyonen sind die Antiteilchen zu den Myonen. Beide sind in der kosmischen Höhenstrahlung enthalten und können auch an Beschleunigern künstlich erzeugt werden. Myonium – 1960 vom US-amerikanischen Physiker Vernon Hughes entdeckt – besteht also zur Hauptsache aus Antimaterie.

Ein Myonium Strahl

Genau so ein raffiniertes Experiment könnte vielleicht bald möglich werden. Und während Isaac Netwon seinen Apfel in 1660 in seinem englischen Heimatort beobachtet haben soll, könnte dieses Experiment nun im Kanton Aargau stattfinden, genauer in Villigen nördlich von Brugg, wo das Paul Scherrer Institut (PSI) seinen Sitz hat. Dieses Experiment ist im Prinzip ganz einfach: Forscher produzieren einen horizontalen Strahl aus Myonium und beobachten dann, ob die Elektron-Antimyonenteilchen von der Erdanziehung nach Newtons Gesetz nach unten gezogen werden, so wie die Wassertropfen, die aus einem Gartenschlauch spritzen.

„Ich untersuche in meinem aktuellen Forschungsprojekt, ob ein derartiges Gravitationsexperiment grundsätzlich machbar ist“, sagt Anna Soter. Die 32jährige Wissenschaftlerin ist in Ungarn aufgewachsen, erwarb 2016 an der Ludwig-Maximilian-Universität München mit einer Arbeit im Grenzbereich zwischen Teilchenphysik und Quantenoptik den Doktortitel und kam im Herbst 2017 schliesslich ans PSI, wo sie heute in der Forschungsgruppe von ETH-Professor Klaus Kirch arbeitet.

Suche nach ergiebiger Myonium-Quelle

Will man das Gravitationsexperiment in die Wirklichkeit umsetzen, wird es allerdings schnell kniffelig. Woher, so die vielleicht schwierigste Frage, nimmt man Myonuim?

„Genau diese Eigenschaft ist für uns mit Blick auf das Gravitationsexperiment interessant“, sagt Anna Soter. „Damit dieses Experiment gelingen kann, brauchen wir einen einheitlichen Myonium-Strahl, einen Strahl also, dessen einzelne Teilchen die gleiche Richtung und die gleiche Geschwindigkeit haben.“ Ob die PSI-Forscherin dieses Ziel erreicht, ist zur Zeit noch offen. Doch die ersten Schritte sind schon gelungen. „Für die Produktion von Myonium verwenden wir superflüssiges Helium bei 2.1 Kelvin. In diesem sehr kalten Umfeld verwandeln sich können due aus dem Beschleuniger stammenden, schnellen Antimyonen stark abgekühlt werden, so dass sie mit einem Elektron, das von einem Heliumatom stammt, Myonium bilden können. Bei Versuchen im letzten Herbst mit einem Kubikzentimeter supraflüssigem Helium haben sich 70% der Myonen in Myonium umgewandelt. Ob wir auf diesem Weg zu einer hinreichend ergiebigen Myonium-Quelle im Vakuum kommen, ist im Moment noch ungewiss.“

Eine Existenz von zwei Mikrosekunden

Das PSI bildet für die Forschung von Anna Soter ein ideales Umfeld, denn in keinem anderen Labor weltweit werden so viele Myonen und auch Antimyonen künstlich hergestellt. Doch Myonen sind sehr flüchtige Elementarteilchen. Ihre Lebensdauer beträgt gerade einmal 2.2 Millionstelsekunden. Den Wissenschaftlern bleibt also für die Gravitationsversuche mit Myonium sehr, sehr wenig Zeit. Und da ein Myonium während seiner Lebensspanne gerade einmal 14 mm zurücklegt, muss ein Experiment auf sehr kleinem Raum aufgebaut werden. Von solchen Hindernissen lässt sich die Forscherin nicht abschrecken. In den nächsten Monaten will sie darauf hinarbeiten, eine effiziente Myonium-Quelle zu schaffen. Zudem muss sie einen Atomspiegel entwickeln, der den Myonium-Strahl auf eine horizontale Richtung lenkt. „In zwei Jahren werden wir hoffentlich wissen, ob wir einen Myonium-Strahl herstellen können, der sich für ein Gravitationsexperiment eignet. Wenn das gelingt, wäre es ein Riesenerfolg. Wenn nicht, wäre der Aufwand auch nicht vergebens gewesen: Wir hätten dann eine neuartige Myonium-Quelle, die sich für andere Experimente nutzen lässt.“

Autor: Benedikt Vogel

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