Die personalisierte Gesundheit zielt auf eine optimale medizinische Versorgung anhand von personenspezifisch erhobenen Daten ab. Dieses Webportal liefert Hintergrundinformationen zum Thema und zeigt mögliche Anwendungsgebiete und aktuelle Forschungsarbeiten auf.mehr

Bild: LoveIsAFastSong, photocase.demehr

Seltene Krankheiten mit vielfältigen Ausprägungen

Prof. Dr. med. Matthias Baumgartner

Der klinische Forschungsschwerpunkt für seltene Krankheiten radiz (für: Rare Disease Initiative Zurich) vereint das Fachwissen der Zürcher Standorte Kinderspital, Universität und Universitätsspital. radiz wird geleitet von Matthias R. Baumgartner, Professor für Stoffwechselkrankheiten an der Universität Zürich und ärztlicher Leiter des Neugeborenen-Screenings der Schweiz am Kinderspital Zürich.

Link: Matthias Baumgartner


Interview mit Matthias Baumgartner

Woran forschen Sie, und welche Methoden kommen dabei zum Einsatz?

Es gibt über 500 angeborene Stoffwechselkrankheiten, und in meiner eigenen Forschung stehen zwei davon im Blickpunkt. Bei beiden ist die Verstoffwechslung des Vitamin B12 in der Zelle gestört. Es gibt nur zwei Enzyme, die dieses Vitamin brauchen; das eine befindet sich in den Mitochondrien, das andere im Cytosol. Je nachdem, welches der beiden Enzyme betroffen ist, entsteht entweder Homocystinurie oder Methylmalonazidurie, wobei auch Kombinationen vorkommen. Aufgrund genetischer Analysen und anhand von Zellkulturen, am Mausmodell sowie durch die Untersuchung von Stoffwechselprodukten wollen wir die Krankheit besser verstehen, die Genmutationen und ihre Auswirkung auf den Umwandlungspfad des Vitamin B12 durchleuchten und bisher unbekannte Formen des Stoffwechsels in der Zelle aufdecken.

Findet Ihre Forschung direkte Anwendung in der Praxis?

Wir sind eines von weltweit zwei Referenzlabors für diese schwer zu diagnostizierenden Leiden. Die Symptome sind vielfältig und reichen von neurologischen Störungen über Veränderungen des Blutbildes bis zur vollständigen Erblindung der Patienten. Wird der Defekt allerdings gleich nach der Geburt erkannt, stehen die Chancen gut, dass dank der passenden Behandlung viele Symptome nicht entstehen. Wir befassen uns auch mit der Lebensqualität der Patienten, die eine strenge Diät einhalten müssen und auch unter anderen Einschränkungen leiden. Dazu haben wir eigens einen Fragebogen entwickelt.

Wo sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Ihrer Forschung und personalisierter Gesundheit?

Die beiden Krankheiten sind äusserst vielschichtig. Die Umwandlung des Vitamin B12 erfolgt in mehreren Schritten, und jeder kann fehlerhaft verlaufen. Es ist möglich, dass das Enzym selber defekt ist, oder dass der Co-Faktor nicht funktioniert. Auch kommt es darauf an, welches Protein betroffen ist oder auch, welche Mutation im Protein vorliegt. Das Protein selber kann instabil und daher in seiner Funktion beeinträchtigt sein, oder es wird gar nicht gebildet. Die Behandlung muss auf die genauen Ursachen der Krankheit abgestimmt werden und ist daher extrem personalisiert. Wenn beispielsweise das Enzym noch eine Restaktivität aufweist, kann es durch direkt in den Muskel gespritzte hohe Gaben von Vitamin B12 stabilisiert werden, sodass keine oder weniger starke Krankheitssymptome auftreten. Diese Behandlung bleibt aber im Fall eines gänzlich inaktiven Enzyms wirkungslos.

In welchen Bereichen sind Fortschritte unabdingbar, damit sich die personalisierte Gesundheitsversorgung weiter entwickeln kann?

Zusammenarbeit ist unerlässlich! Wir müssen die Daten teilen, denn sonst kann die Forschung nicht auf genügend Fallzahlen dieser sehr seltenen Krankheiten zurückgreifen. Wir haben dazu ein Register entwickelt, um weltweit alle Fälle zu erfassen. Dabei ist es zwingend, die Fälle einheitlich, d.h. nach übereinstimmenden Kriterien, digital einzugeben. Nur so wird es möglich sein, die verschiedenen «-omics» zu verstehen und die einzelnen Patienten optimal zu behandeln.

September 2018