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Biomasse: vielseitig einsetzbar, aber nur begrenzt verfügbar

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Im zukünftigen schweizerischen Energie- und Rohstoffsystem spielt Biomasse eine wichtige Rolle. Sie kann als Energie- oder Kohlenstoffquelle aber auch zur CO2-Sequestrierung verwendet werden. Doch welche Anwendung ergibt am meisten Sinn?

Verhältnis von heutigem Primärenergieverbrauch zum zusätzlich nutzbaren Biomassepotenzial. 53 Petajoule Biomasse werden heute bereits energetisch genutzt und tragen 7 Prozent zur Deckung des gesamten Primärenergiebedarfs bei. Das noch zusätzlich nutzbare Biomassepotenzial beträgt 44 Petajoule und besteht zu mehr als der Hälfte aus Mist und Gülle. Quelle: Brethauer und Studer (2021). Grafik: Michael Hans-Peter Studer

Text: , Berner Fachhochschule

Fossile Ressourcen wie Erdöl und Erdgas sind in der heutigen Gesellschaft sowohl die dominierenden Energieträger als auch die wichtigsten Kohlenstoffquellen für die Produktion von Chemikalien. Aufgrund der endlichen Verfügbarkeit dieser Rohstoffe und ihrer Klimaschädlichkeit ist ein Wechsel auf eine umweltverträgliche erneuerbare Rohstoffbasis unumgänglich. Welche Rolle Biomasse dabei in der Schweiz spielen könnte, wird in diesem Artikel beleuchtet.

Hohes Potenzial beim Einsatz als Kohlenstoffquelle

Eine erste Einschätzung der möglichen Rolle von Biomasse bei der Energiewende liefert der Vergleich des heutigen Energie- und Rohstoffbedarfs mit dem vorhandenen Biomassepotenzial. Der jährliche Primärenergiebedarf der Schweiz beträgt circa 1'000 Petajoule, von denen 76 Prozent durch fossile Energieträger gedeckt werden (siehe Abbildung unten).1 Neben der Energieversorgung werden diese fossilen Rohstoffe auch als Kohlenstoffquelle für die Herstellung von organischen Chemikalien eingesetzt. Die jährlich in der Schweiz verwendeten Chemikalien enthalten insgesamt circa 1 Mio. Tonnen Kohlenstoff, was einem zusätzlichen Verbrauch von 16 Prozent (1,5 Mio. Tonnen) des energetischen Erdölbedarfs entspricht.2

Das Primärenergiepotenzial von nachhaltig nutzbarer, nicht-essbarer Biomasse ist mit knapp 100 Petajoule pro Jahr im Vergleich zum heutigen Energieverbrauch sehr klein.3 Etwas mehr als die Hälfte des Potenzials wird bereits energetisch genutzt (siehe Abbildung unten), so dass Biomasse zusätzlich maximal 5 Prozent zur heutigen Energieversorgung beitragen könnte. Das bisher ungenutzte Biomassepotenzial enthält circa 3 Millionen Tonnen Kohlenstoff,4 also 3-mal so viel wie die importierten Chemikalien.

Biomasse ist ein vielseitig einsatzbarer Rohstoff

Wie soll nun aber das knappe Gut Biomasse am besten eingesetzt werden? Grundsätzlich kann Biomasse als Energie- oder Kohlenstoffquelle aber auch zur CO2-Sequestrierung verwendet werden.2, 5 Trockene Biomasse kann als Brennstoff für die Herstellung von Wärme und Strom eingesetzt werden. Feuchte Biomassefraktionen wie Gülle – die mit 24 Petajoule das grösste bisher nicht genutzte Biomassepotential darstellt (siehe Abbildung unten) – müssen vor der energetischen Nutzung z.B. zu Methan umgesetzt werden.

Des Weiteren kann Biomasse als Kohlenstoffquelle zur Defossilisierung der organischen Chemikalien genutzt werden. In der sogenannten «drop-in» Strategie wird Biomasse zu den Grundchemikalien der heutigen Petrochemie umgewandelt. Hierfür wird trockene Biomasse thermochemisch zu Synthesegas umgewandelt, das zu Methanol oder synthetischem Naphtha weiterverarbeitet wird. Mit der hydrothermalen Vergasung von feuchter Biomasse kann zudem Methan als Ersatz für fossiles Erdgas hergestellt werden. Alternativ kann Methan auch biochemisch über die anaerobe Vergärung von Gülle hergestellt werden. Nach der selektiven Entfernung von CO2 aus dem Biogas wird reines Methan in das Erdgasnetz eingespeist. Andere biochemische Umwandlungen basieren auf der mikrobiellen Umsetzung von Zuckern, die aus der Biomasse freigesetzt wurden. Die möglichen Produkte wie z.B. Ethanol oder Bernsteinsäure würden den Startpunkt für neue Syntheserouten und gegebenenfalls für neue Produktportfolios in der chemischen Industrie legen – was als Emerging Strategie bezeichnet wird.

Der dritte mögliche Einsatzbereich von Biomasse ist in Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (carbon capture and storage, CCS), da Pflanzen beim Wachstum CO2 aus der Atmosphäre binden. Wird Biomasse verbrannt, kann gasförmiges CO2 in viel höherer Konzentration als in der Umgebungsluft und damit energieeffizienter aus den Brenngasen abgeschieden und im Untergrund gespeichert werden. Alternativ kann der in der Biomasse vorhandene Kohlenstoff in eine biologisch nicht mehr abbaubare Form wie Pflanzenkohle überführt und als Feststoff gelagert werden.

Die vielen Einsatzmöglichkeiten der Biomasse können nun im Kontext des Energie- und Rohstoffsystems als Ganzes (also mit allen erneuerbaren Alternativen) nach ökologischen und ökonomischen Kriterien verglichen werden. Zwei Beispiele für einen darauf basierenden sinnvollen Einsatz von Biomasse sind im Folgenden gegeben.

Strom aus Biomasse als Regelenergie

Der Ersatz von Atomstrom (90 Petajoule pro Jahr) wird mehrheitlich über den Zubau von Photovoltaik und Windkraftanlagen erfolgen, da das Biomassepotenzial dafür viel zu klein ist. Um die damit verbundenen Lastschwankungen auszugleichen, werden jährlich 3,1 Petajoule Regelenergie benötigt.6 Diese könnte mit schnell hochfahrbaren mit biogenem Methan betriebenen Kraftwerken bereitgestellt werden. Idealerweise sollten diese Anlagen mit Technologien für CCS ausgestattet sein, um negative CO2-Emissionen zu ermöglichen.

Biomasse als Kohlenstoffquelle für die Chemikalien­produktion

Als erneuerbare Kohlenstoffquelle steht neben Biomasse nur noch CO2 und recycelter Kunststoff zur Verfügung, wobei letzterer nur 10 Prozent des globalen C-Bedarfs decken kann. Die Nutzung von CO2 zur Herstellung von Chemikalien benötigt zwingend auch erneuerbaren Wasserstoff, der über die Elektrolyse von Wasser gewonnen wird. Die dafür erforderliche Menge an elektrischer Energie wirkt sich negativ auf die Energiebilanz aus. Wird z.B. Methanol aus CO2 synthetisiert, welches direkt aus der Luft abgeschieden wird, ist der Energiebedarf fast 7-mal so hoch wie bei der Herstellung aus Biomasse.7 Dies wirkt sich negativ auf die Produktionskosten aus.

In einer Fallstudie, in der die Gesamtkosten der Umstellung der chemischen Produktion auf erneuerbare Rohstoffe minimiert wurden, wurde das gesamte zur Verfügung stehende Biomassepotenzial Deutschlands verwendet und nur mit dem notwendigen Minimum an CO2 als Kohlenstoffquelle ergänzt.8 Auch aus ökologischer Sicht ist die stoffliche der energetischen Nutzung vorzuziehen, da die Herstellung von Chemikalien im Vergleich zur Verbrennung zur Wärmegewinnung pro Einheit an eingesetzter Biomasse bis zu 2,4-mal mehr fossiles CO2 ersetzt.9

Weitere Studien notwendig

Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit sollte Biomasse wohlüberlegt dort eingesetzt werden, wo der grösste Nutzen erwartet werden kann. Dies sollte in weiteren wissenschaftlichen Studien sorgfältig quantifiziert werden, um Fehlinvestitionen und die langfristige Blockierung von Biomassepotenzialen in ungünstigen Nutzungsformen zu verhindern.

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Michael Hans-Peter Studer ist Professor für Agrar-, Forst- und Energietechnik an der Berner Fachhoch­schule. In seiner Forschung befasst er sich mit der Entwicklung von Technologien, um nicht essbare Biomasse mit Hilfe von mikrobiellen Konsortien in hochwertige Chemikalien und Energieträger umzuwandeln.

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Referenzen

[1] Bundesamt für Energie BFE (2020) Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2019. Bern.

[2] Brethauer S, Studer MH (2021) Towards Net Zero Greenhouse Gas Emissions in the Energy and Chemical Sectors in Switzerland and Beyond - A Review. Chimia 2021, 75 (9): 788-799.
https://doi.org/10.2533/chimia.2021.788

[3] Thees O, Burg V, Erni M, Bowman G, Lemm R (2017) Biomassepotenziale der Schweiz für die energetische Nutzung, Ergebnisse des Schweizerischen Energiekompetenzzentrums SCCER BIOSWEET. Birmensdorf.

[4] Burg V, Bowman G, Erni M, Lemm R, Thees O (2018) Analyzing the potential of domestic biomass resources for the energy transition in Switzerland. Biomass and Bioenergy: 111, 60.
https://doi.org/10.1016/j.biombioe.2018.02.007

[5] Brethauer S, Riediker M, Thees O, Studer MHP (2021) Die Rolle von Biomasse im zukünftigen schweizerischen Energie- und Rohstoffsystem. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen 2021, 172 (1): 7–15. doi: 10.3188/szf.2021.0007.

[6] BKW (2022) Schriftliche Auskunft von Jan Irmer, BKW Energie AG: Im Jahr 2021 benötigte Swissgrid insgesamt 1,8 PJ positive und 1,3 PJ negative Regelleistung (Sekundär- und Tertiärregelleistung wurden addiert).

[7] Gabrielli P, Gazzani M, Mazzotti M (2020) The Role of Carbon Capture and Utilization, Carbon Capture and Storage, and Biomass to Enable a Net-Zero-CO2 Emissions Chemical Industry. Industrial & Engineering Chemistry Resesearch 2020, 59: 7033 – 7045.
https://doi.org/10.1021/acs.iecr.9b06579

[8] Geres R, Kohn A, Cornelius Lenz S, Ausfelder F, Bazzanella A, Möller A. (2019) Roadmap Chemie 2050: Auf dem Weg zu einer treibhausgasneutralen chemischen Industrie in Deutschland: eine Studie von DECHEMA und FutureCamp für den VCI. DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. Frankfurt am Main.

[9] Studer M, Poldervaart P (2017) Neue Wege zur holzbasierten Bioraffinerie. Thematische Synthese im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP 66 «Ressource Holz». Bern.

Verhältnis von heutigem Primärenergieverbrauch zum zusätzlich nutzbaren Biomassepotenzial. 53 Petajoule Biomasse werden heute bereits energetisch genutzt und tragen 7 Prozent zur Deckung des gesamten Primärenergiebedarfs bei. Das noch zusätzlich nutzbare Biomassepotenzial beträgt 44 Petajoule und besteht zu mehr als der Hälfte aus Mist und Gülle. Quelle: Brethauer und Studer (2021). Grafik: Michael Hans-Peter Studer
Verhältnis von heutigem Primärenergieverbrauch zum zusätzlich nutzbaren Biomassepotenzial. 53 Petajoule Biomasse werden heute bereits energetisch genutzt und tragen 7 Prozent zur Deckung des gesamten Primärenergiebedarfs bei. Das noch zusätzlich nutzbare Biomassepotenzial beträgt 44 Petajoule und besteht zu mehr als der Hälfte aus Mist und Gülle. Quelle: Brethauer und Studer (2021). Grafik: Michael Hans-Peter Studer

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