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Zunehmendes Energie­-Ungleichgewicht heizt Erde auf

ProClim Flash 76

Der Energiegehalt des globalen Klimasystems nimmt massiv und immer schneller zu, was die Erwärmung weiter antreibt. Diese gravierenden Veränderungen dokumentiert der neueste IPCC-Bericht anhand von Messreihen von Satelliten und Bodenstationen sowie Ozeansondierungen.

Die Grafik zeigt die Energieflüsse im globalen Klimasystem in Watt pro Quadratmeter. Zwischen der von der Erde aufgenommenen Sonnenenergie (einfallende minus reflektierte Sonnenstrahlung an der Atmosphärenobergrenze) und der abgestrahlten thermischen Wärmeenergie in den Weltraum resultiert aktuell ein Ungleichgewicht von ca. 0,7 W/m^2. Dies hat zur Folge, dass die Energie im Erdsystem zunimmt und sich die Erde erwärmt.
Bild: IPCC 2021/WGI/Fig.7.2, basierend auf Wild et al. (2015), Climate Dynamics

Text: Martin Wild, ETH Zürich

Das Klima der Erde wird primär durch die absorbierte Sonnenenergie und die Abgabe dieser Energie in Form von thermischer Wärmestrahlung zurück in den Weltraum bestimmt (siehe Grafik). Geht diese Energiebilanz auf, das heisst wird exakt gleich viel Sonnenenergie vom Klimasystem aufgenommen wie Wärmeenergie abgestrahlt, so ist das Klimasystem im Gleichgewicht: Die durchschnittliche Temperatur auf der Erde bliebe in diesem Zustand konstant. Doch auch schon kleinste Ungleichgewichte haben Auswirkungen auf den Energiegehalt und damit auf die Temperaturen auf der Erde. Klimamodelle zeigen, dass für den Klimawandel, wie wir in heute erfahren, ein Ungleichgewicht zwischen absorbierter und abgestrahlter Energie von gerade einmal einem Viertelprozent nötig ist.

Kleines Ungleichgewicht, grosser Energieüberschuss

Eine Abweichung von einem Viertelprozent klingt nicht nach viel, doch betrachtet man die absoluten Zahlen, so wird deutlich, um welch gewaltige Energiemenge es sich dabei handelt: Die jährliche überschüssige Energie beträgt 12 Zetajoules (also 12 mal 1021 Joules) – dies entspricht etwa 400 Terawatt und damit ungefähr der 500 000-fachen Energiemenge, welche ein durchschnittliches Schweizer Atomkraftwerk produziert. Dieses Ungleichgewicht ist die fundamentalste Grösse, um den Klimawandel zu charakterisieren und quantifizieren. Denn im Gegensatz zur Messung der globalen Temperatur an der Erdoberfläche hat die Energiebilanzbetrachtung den Vorteil, dass sie weniger starken Schwankungen unterworfen ist und damit Veränderungen besser erkennbar macht.

Das Monitoring dieser Energieflüsse hat deshalb eine hohe Priorität. Seit den 1980er Jahren gibt es Projekte, um den Energieaustausch zwischen Erde und Weltraum mit Satelliten aus dem All zu messen, angefangen mit dem «Earth Radiation Budget Experiment (ERBE)». Kontinuierlich aus dem Weltall gemessen wird dieser Energieaustausch jedoch erst seit der Jahrtausendwende mit der Mission «Clouds and the Earth’s Radiant Energy System (CERES)» der NASA. Die Messgenauigkeit der Energieflüsse von den Satelliten aus, die sich im Bereich von ein bis zwei Prozenten bewegt, reicht allerdings nicht aus, um Ungleichgewichte von einem Bruchteil eines Prozentes in ihrer absoluten Grösse zu erfassen. Die Satellitenmessungen erlauben es jedoch, die Veränderungen dieses Ungleichgewichts zu messen.

Tausende Bojen messen Energieeintrag in Ozeanen

Um den Absolutwert des Ungleichgewichts zu ermitteln, benötigen wir in der Klimaforschung ein komplementäres Messsystem. Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass 93 Prozent der zusätzlich aufgenommenen Energie in den Ozeanen gespeichert wird. Mit Hilfe von Tausenden von Messbojen, die mehrmals pro Monat in die Tiefen der Ozeane hinuntergelassen werden, können vertikale Temperaturprofile erstellt werden. Diese ermöglichen es, die Energieakkumulation in den Ozeanen zu bestimmen und damit in erster Näherung die Grösse des Ungleichgewichts zu berechnen.

Der neuste Klimabericht schätzt anhand der Temperaturmessungen in den Ozeanen, dass sich seit den 1970er Jahren 435 Zetajoules an Energie im Klimasystem akkumuliert haben. Zudem haben wir festgehalten, dass die Zunahme in den letzten Jahrzehnten immer schneller voranschreitet.

Der Auslöser für die Energieakkumulation ist der anthropogen verursachte Treibhauseffekt, der indirekt auch eine verstärkte Absorption von Solarstrahlung bewirkt: Denn die höheren Temperaturen führen mittels positiver Rückkopplung zu einer Reduktion von Wolken und Eisflächen, wodurch unser Planet «dunkler» wird und somit mehr Sonnenenergie absorbiert. Dadurch wärmt sich das Klimasystem weiter auf. Diese Zunahme der absorbierten Sonnenenergie im Klimasystem zeigt sich sowohl in Klimasimulationen als auch in den Beobachtungen des CERES-Satellitenprogramms.

Veränderungen auch an der Erdoberfläche messbar

Veränderungen in den Energieflüssen sind jedoch nicht nur aus dem Weltraum oder in den Tiefen der Ozeane erkennbar, sondern auch in unserer unmittelbaren Umgebung. Der neueste Klimabericht zeigt z. B. auf, dass die Sonneneinstrahlung an der Erdoberfläche über die letzten Jahrzehnte nicht einfach konstant war, sondern substanzielle dekadische Schwankungen durchlief. Viele Messstationen verzeichneten eine weltweite Abnahme der Sonnen­einstrahlung von den 1950er Jahren bis in die 1980er Jahre hinein, ein Phänomen, das unter dem Begriff «global dimming» bekannt wurde. Dies geschah aufgrund der weltweit zunehmenden Luftverschmutzung in dieser Periode, wobei die damit verbundenen Staubpartikel, auch Aerosole genannt, in der Atmosphäre die Sonneinstrahlung immer mehr abschirmten. Seit der erfolgreichen Implementierung von Luftreinhaltemassnahmen in den 1980er Jahren vorab in den Industrieländern zeigte sich vielerorts eine Trendumkehr, hin zu wieder mehr Sonneneinstrahlung. Diese Erkenntnisse basieren zu einem grossen Teil auf Daten, die an der ETH Zürich im Globalen Energiebilanzarchiv (GEBA) gesammelt werden (siehe hierzu auch den Beitrag von GCOS Schweiz in der aktuellen Ausgabe).

Doch was bedeuten diese Veränderungen der Sonneneinstrahlung an der Erdoberfläche für den Klimawandel? Wie der neuste Klimabericht dokumentiert, haben sie Auswirkungen auf eine Vielzahl von klimarelevanten Aspekten, die unsere Lebensgrundlagen unmittelbar betreffen, wie z. B. auf die globalen Erwärmungsraten, auf die Intensität des globalen Wasserkreislaufs, des Gletscherrückgangs oder des Pflanzenwachstums mitsamt zugehöriger Kohlenstoffspeicherung. Die Abnahme der Sonneneinstrahlung während der 1950er bis 1970er Jahre konnte die Auswirkungen des zunehmenden Treibhauseffekts noch einigermassen kaschieren, so dass das volle Ausmass des Treibhauseffekts erst nach der Trendumkehr in der Sonneneinstrahlung seit den 1980er Jahren sichtbar wurde. So haben sich die alpinen Gletscher zum Beispiel erst seit den 1980er Jahren zurückgezogen, nachdem sie sich unter dem Einfluss des Dimmings in den Jahrzehnten davor kaum verändert haben.

Die umfassenden Veränderungen in den Energieflüssen im Klimasystem, wie sie im neuesten Klimabericht aufgezeigt werden, bilden den fundamentalen Antrieb des Klimawandels, wie wir ihn heute immer stärker erfahren. Deshalb ist das Monitoring dieser Energieflüsse wichtig, denn es trägt zu einem besseren Verständnis des Klimawandels und dessen Quantifizierung bei. Es bleibt jedoch eine Herausforderung, dieses aufwändige Monitoring auch längerfristig aufrecht zu erhalten. Die CERES-Mission neigt sich langsam dem Ende zu – glücklicherweise steht mit der NASA-LIBERA-Mission ein Nachfolgeprojekt bereit, das ab 2026 die Energieflussmessungen aus dem Weltall weiterführen soll, und bei dem wir von der ETH Zürich auch weiter involviert sind.

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Martin Wild ist Professor am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. Beim Sechsten Sachstandsbericht des IPCC war er ein Hauptautor bei den Kapiteln über den Energiehaushalt der Erde, Klima-Rückkoppelungen und Klimaempfindlichkeit.

  • Die Grafik zeigt die Energieflüsse im globalen Klimasystem in Watt pro Quadratmeter. Zwischen der von der Erde aufgenommenen Sonnenenergie (einfallende minus reflektierte Sonnenstrahlung an der Atmosphärenobergrenze) und der abgestrahlten thermischen Wärmeenergie in den Weltraum resultiert aktuell ein Ungleichgewicht von ca. 0,7 W/m^2. Dies hat zur Folge, dass die Energie im Erdsystem zunimmt und sich die Erde erwärmt.
  • Martin Wild ist Professor am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. Beim Sechsten Sachstandsbericht des IPCC war er ein Hauptautor bei den Kapiteln über den Energiehaushalt der Erde, Klima-Rückkoppelungen und Klimaempfindlichkeit.
  • Die Grafik zeigt die Energieflüsse im globalen Klimasystem in Watt pro Quadratmeter. Zwischen der von der Erde aufgenommenen Sonnenenergie (einfallende minus reflektierte Sonnenstrahlung an der Atmosphärenobergrenze) und der abgestrahlten thermischen Wärmeenergie in den Weltraum resultiert aktuell ein Ungleichgewicht von ca. 0,7 W/m^2. Dies hat zur Folge, dass die Energie im Erdsystem zunimmt und sich die Erde erwärmt.Bild: IPCC 2021/WGI/Fig.7.2, basierend auf Wild et al. (2015), Climate Dynamics1/2
  • Martin Wild ist Professor am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. Beim Sechsten Sachstandsbericht des IPCC war er ein Hauptautor bei den Kapiteln über den Energiehaushalt der Erde, Klima-Rückkoppelungen und Klimaempfindlichkeit.Bild: zvg2/2

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Dr. Martin Wild
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Institut für Atmosphäre und Klima (IAC)
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8092 Zürich


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