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Experimentieren statt resignieren

ProClim Flash 78

Das Projekt «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» beschreitet mit einem innovativen Konzept neue Wege, um einen Transformationsprozess zu initiieren. 52 Pilotbetriebe testen im «Freiluftlabor Graubünden» klimarelevante Massnahmen in der Praxis.

Im Zentrum des Projekts «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» steht die Co-Creation von Wissen und praktischer Umsetzung, um transformative Lernprozesse anzustossen.
Bild: Giorgio Hösli

Text: , Flury & Giuliani

In der Theorie steht der Landwirtschaft eine breite Palette an Möglichkeiten für mehr Klimaschutz zur Verfügung. Für eine effektive, flächendeckende Umsetzung von klimarelevanten Massnahmen fehlt ihr allerdings Wissen zu deren Praktikabilität und Skalierbarkeit. Das 2020 von verschiedenen landwirtschaftlichen Akteurinnen und Akteure lancierte und vom Kanton finanzierte Projekt «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» setzt hier an: Es untersucht während zehn Jahren, welche Klimaschutz-und Anpassungsmassnahmen im Bergkanton sinnvoll sind, und wie die Gesamtheit der Betriebsleitenden motiviert und befähigt werden kann, einen Transformationsprozess in Richtung einer klimaneutralen Landwirtschaft zu vollziehen.

Innovativer Ansatz ist nötig

Vorgängige Klimaprojekte zeigen, dass keine «one-fits-it-all»-Lösung zur Senkung von Treibhausgasen in der Landwirtschaft existiert. Die Handlungsoptionen der Betriebe variieren je nach Standort, Grösse oder Produktionssystem. Ausserdem sind die Wirkungsketten von Einzelmassnahmen in der Landwirtschaft schwer quantifizierbar und nicht verständlich für die Praxis aufgearbeitet. Entsprechend setzt die Projektleitung nicht auf gängige Fördermechanismen sondern auf neue Strategien, um transformative Lernprozesse anzustossen: Im Zentrum des Projekts steht die Co-Creation von Wissen und praktischer Umsetzung. Ein umfassendes Ausbildungsprogramm, Arbeitskreise sowie die gemeinsame Arbeit an Klimaprojekten sollen den Dialog und das gegenseitige Verständnis fördern und das erarbeitete Wissen bei möglichst vielen landwirtschaftlichen Akteuren verankern.

Lernen, testen, verstehen, anpassen

Während den ersten fünf Projektjahren findet ein Experiment auf zwei Ebenen statt. Im «Freiluftlabor Graubünden» testen 52 Pilotbetriebe mit Hilfe von Beratenden und Forschenden innovative klimarelevante Massnahmen auf ihren Höfen. Gleichzeitig erfordert die komplexe Organisation mit vielen Beteiligten und unterschiedlichen Einzelprojekten auf Ebene des Projektmanagements Lernbereitschaft, Flexibilität und Anpassungsvermögen. Zwei Jahre nach Start des Projekts zeigen sich erste Erfolge aber auch Herausforderungen – auf Projektsteuerungsebene und in den Pilotprojekten.

Die Motivation der Mitwirkenden ist hoch, ebenso wie ihre Erwartungen ans Projekt. Die Pilotbetriebe möchten wissen, wie viel Treibhausgase sie mit Hilfe ihrer Massnahmen reduzieren. Der Kanton als Auftraggeber erwartet Erkenntnisse zu Instrumenten und Rahmenbedingungen, die für eine klimafreundliche Landwirtschaft nötig sind. Gleichzeitig zeigt der Austausch mit Forschenden, dass die Analyse von Einzelmassnahmen in der Praxis schwierig ist.

Diese unterschiedlichen Erwartungen zu managen und Frustrationen zu verhindern, ist eine herausfordernde Aufgabe. «Der Austausch im Projektleitungsteam hilft. Ausserdem setzen wir auf ehrliche und transparente Kommunikation», erklärt Co-Projektleiter Gianluca Giuliani. Neben der projektinternen Kommunikation ist auch die Information von weiteren Betrieben und der Bevölkerung wichtig. Sie vermittelt ein positives Bild der klimafreundlichen Landwirtschaft und legt den Grundstein für den Aufbau künftiger Märkte für klimaschonende Produkte und Dienstleistungen. Ein zur Förderung des Dialoges neu konzipiertes Gefäss ist der bereits zwei Mal ausgetragene «Klimagipfel». Mit einem Mix aus Referaten, Podiumsdiskussionen und Erfahrungsaustausch stiess er auf gute Resonanz – auch über die Kantonsgrenze und das Projekt hinaus.

Vielfältige Herausforderungen

Komplex gestaltet sich auch die Umsetzung der Projekte in den Pilotbetrieben. In einem Gemeinschaftsprojekt wird der Anbau verschiedener Speiseleguminosen auf drei Höhenstufen getestet. «Im ersten Jahr des Anbaus kämpften wir mit hohem Beikrautdruck und der Vergilbung der Blätter bei den Trockenbohnen. Zudem sind die benötigten Aussaatmengen höher als erwartet und ein wichtiger Kostenfaktor», berichtet Valérie Cavin aus Malans. Auch im Anbau der Speiseackerbohnen auf dem Hof von Marcel Heinrich im Albulatal ist die Beikrautunterdrückung herausfordernd. Dank mehrjähriger Erfahrung und stetiger Optimierung des Anbauverfahrens (z. B. mit Untersaaten) konnten die Leguminosen aber mittlerweile als Bestandteil der Fruchtfolge etabliert werden. Andere Betriebe sind mit bestehenden Auflagen konfrontiert. Um die geplanten Biogasanlagen auf den Betrieben von Anna und Marting Gredig, Paul Fry und Heimo Degonda optimal nützen zu können, müssen die Strom- und Wärmeproduktion sowie die Nährstoffverwertung und Zuführung des Ausgangsmaterials optimiert werden. Die Standortwahl einer solchen Anlage ist folglich aus technischer Sicht nicht einfach, muss aber gleichzeitig kompatibel mit dem Raumplanungsgesetz sein.

Erfolge spornen an

Andere Massnahmen entfalten bereits nach einjähriger Umsetzung ihre Wirkung. «Durch die Anwendung von Komposttee im Weinbau hat sich das Wachstum und die Blattfarbe positiv verändert », erklärt Irene Grünenfelder aus Jenins. Auch Susane Grest aus Jenaz beobachtet auf Parzellen mit regenerativen Verfahren bessere Trockenheitstoleranz, mehr Bodelebewesen und höhere Widerstandskraft der Pflanzen. Am häufigsten berichten die Betriebe allerdings von positiven gesellschaftlichen Nebeneffekten. Drei Viertel der Pilotbetriebe geben in einer Umfrage an, dass durch Gespräche mit Berufskolleginnen und Konsumenten eine Sensibilisierung möglich ist. Diese Erfolge sind wichtig, um die Motivation zu erhalten und weiterzugeben. Gleichzeitig liefern auch «Misserfolge» wichtige Erkenntnisse. «Beharrlichkeit ist wichtig. Nur durch Ausprobieren und Lernen von allen Beteiligten auf allen Ebenen kann der Transformationsprozess stattfinden», resümiert Initiant und Co-Projektleiter Claudio Müller.

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Sibyl Huber studierte Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich mit Promotion im Fachgebiet für Raum- und Landschaftsplanung, Mitarbeiterin für Agrar- und Regionalökonomische Beratung bei Flury & Giuliani und im Projektleitungsteam des Projektes «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden».

Im Zentrum des Projekts «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» steht die Co-Creation von Wissen und praktischer Umsetzung, um transformative Lernprozesse anzustossen.
Im Zentrum des Projekts «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» steht die Co-Creation von Wissen und praktischer Umsetzung, um transformative Lernprozesse anzustossen.Bild: Giorgio Hösli

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