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«Geographie muss end­lich Schwer­punkt­fach werden»

Carte Blanche von Sibylle Reinfried, PH Luzern

24.08.2021 – In der laufenden Reform der gymnasialen Maturität sollen Interdisziplinarität und Nachhaltigkeitsbildung stärker in den Unterricht eingebunden werden. Im Fach Geographie sind beide Aspekte schon heute verankert. Es sollte deshalb zukünftig ein Schwerpunktfach werden und genug Unterrichtszeit erhalten.

Sibylle Reinfried
Bild: GeoEduc

Der Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.

Dem Gymnasium wird oft nachgesagt, es bereite die Schülerinnen und Schüler zu wenig auf die sich heute schnell verändernde Welt vor. Gefragt ist mehr Interdisziplinarität und eine institutionelle Verankerung von Nachhaltigkeitsbildung, wie es von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung gefordert wird.

In der zurzeit laufenden Reform des Maturitätsanerkennungsreglements (MAR), welches die Bedingungen für die gymnasiale Maturität und den prüfungsfreien Zugang zu den universitären und pädagogischen Hochschulen festlegt, wird deshalb gefordert, Interdisziplinarität und Bildung für nachhaltige Entwicklung strukturell im Ausbildungsgang zu verankern.

Diese Forderungen werden in mancher Hinsicht heute schon durch das Schulfach Geographie erfüllt: Denn das Fach ist in seinem Kern interdisziplinär angelegt und repräsentiert nachhaltiges Denken beispielhaft. Es versteht sich als Brückenfach zwischen den Natur- und Sozialwissenschaften und zeigt deren Perspektiven auf die grossen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auf.

Zusammenhänge aufzeigen

Dabei geht es um Themen wie etwa den Klimawandel, die Überalterung unserer Gesellschaft oder geopolitische Konflikte. Das Fach macht Zusammenhänge verständlich, legt Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten offen und schafft so die Grundlagen für verantwortungsbewusstes gesellschaftliches und politisches Handeln. Fast alle 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030, mit denen eine lebenswerte zukünftige Welt gestaltet werden soll, werden im Fach Geographie abgedeckt.

So zum Beispiel das Ziel, den Klimawandel und seine Auswirkungen zu bekämpfen. Das Thema wird im Geographieunterricht vernetzt, zukunftsorientiert und mit lokaler und globaler Perspektive behandelt. Der Raumbezug ist eine besondere Stärke des Fachs: Auf globaler Ebene wird zum Beispiel den Ursachen des CO2-Ausstosses nachgegangen und auf nationaler und lokaler Ebene werden Fragen analysiert, wie etwa: Was bedeutet der Klimawandel für die Nutzung der Schweizer Gewässer? Was bedeutet er für den Hochwasserschutz in der eigenen Schulgemeinde? Wie muss die Planung in der eigenen Stadt angepasst werden, wenn Hitzesommer zur Normalität werden?

Geographie soll Schwerpunktfach werden

Die Bedeutung des Geographieunterrichts ist in der Diskussion um das neue MAR zum Glück unbestritten. Es soll obligatorisch bleiben und wird weiterhin als Grundlage der gymnasialen Ausbildung gesehen. In den Expertenvorschlägen ist die Geographie neu als Schwerpunktfach vorgesehen. Dies sollte unbedingt so umgesetzt werden.

Die Vorschläge der Expertinnen und Experten haben aber einen Pferdefuss: Zur Strukturierung des Fächerangebots werden Schwerpunktfächer neu in Form von Fächerbereichen ausgewiesen, so zum Beispiel der Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften (GSW) mit den Fächern Geographie, Geschichte, Philosophie, Religion, Pädagogik und Psychologie sowie Wirtschaft und Recht. Demgegenüber steht der Fächerbereich MINT (Mathematik, Biologie, Chemie, Informatik, Physik).

Die geplante Einordnung der Geographie in GSW führt zu einer einseitigen Wahrnehmung des Fachs als Sozialwissenschaft und verschleiert seine Bedeutung als Naturwissenschaft. Die Zuteilung der Geographie zu GSW ist aus fachlicher Sicht insofern unbefriedigend, als dass die Hälfte der wissenschaftlichen Grundlagen des Fachs aus den Geowissenschaften stammen, die sich mit den naturwissenschaftlichen Aspekten des Systems Erde und den Wechselwirkungen im System Mensch-Erde befassen. Es wäre deshalb angezeigt, das Fach als Brückenfach zu platzieren, weil ein kompetenter Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit einen natur- und sozialwissenschaftlich übergreifenden Zugang verlangt.

Mehr Unterrichtszeit

Momentan sieht es jedoch danach aus, dass die Einteilung als Brückenfach eher Wunschdenken als Realität ist. Umso mehr sollten die Reformverantwortlichen anerkennen, dass die angestrebten transversalen Ziele «Interdisziplinarität», «Bildung für nachhaltige Entwicklung» und «Politische Bildung» heute schon im Fach Geographie Realität sind. Es ist an der Zeit, der Geographie den Stellenwert zu verschaffen, den sie verdient, nämlich mit genügend Unterrichtszeit ausgestattet und als Schwerpunktfach etabliert zu werden.

Sibylle Reinfried war Professorin an der Pädagogischen Hochschule Luzern für Geographie und Geographiedidaktik und leitet eine eigene Firma für fachdidaktische Beratung in der geowissenschaftlichen Bildung. Sie ist Mitglied der Kommission für Nachwuchsförderung SCNAT.

Autoren: Prof. Dr. Sibylle Reinfried, PH Luzern

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