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«Diese Technologie kann zu einer nachhaltigen Kern­energie­versorgung beitragen»

Carte Blanche für Andreas Pautz, Paul-Scherrer-Institut

04.10.2022 – Transmutex stellt ein interessantes Konzept für die sichere und nachhaltige Nutzung der Kernenergie vor. Es gilt aber, einige technologische Herausforderungen speziell bei Beschleuniger- und Brennstofftechnologie zu meistern.

Andreas Pautz
Bild: zvg

In diesem Text reagiert Andreas Pautz auf den Artikel von Maurice Bourquin «Thorium weckt Hoffnung auf eine gelassenere Klimazukunft». Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.

Für die Erreichung der Pariser Klimaziele wird sich die weltweite Stromproduktion bis 2050 verdoppeln und weitgehend aus CO2-armen Energieträgern speisen müssen. Kernkraftwerke können in diesem Energiemix eine wichtige Rolle spielen. Gemeinsame Studien des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) mit dem World Energy Council prognostizieren, dass die Kernenergie um 2050 einen Anteil zwischen 10 und 17 Prozent an der weltweiten Stromerzeugung haben wird; derzeit liegt sie bei etwa 11 Prozent. Bei einer Verdopplung der Stromerzeugung würde die Kernkraftwerksflotte damit von heute etwa 400 Anlagen auf 800 bis 1200 Kraftwerke (bei einer Anlagengrösse von 1’000 MW) im Jahr 2050 anwachsen.

Neue Kraftwerke könnten langlebigen radioaktiven Abfall reduzieren

Der Betrieb der heutigen Schweizer Kernkraftwerke genügt höchsten Sicherheitsstandards, deren Einhaltung von der Schweizer Nuklearaufsicht ENSI streng überwacht wird. Allerdings generieren die Kraftwerke abgebrannte Kernbrennstoffe, für deren Entsorgung das Konzept der geologischen Tiefenlagerung weithin anerkannt als die beste Lösung gilt. Der sichere Einschluss der langlebigen radioaktiven Abfälle muss jedoch über mehrere hunderttausend Jahre wissenschaftlich abgesichert sein.

Weltweit arbeiten Teams an sogenannten Generation-IV-Reaktoren, mit denen die Mengen zukünftigen langlebigen radioaktiven Abfalls massiv reduziert werden sollen. Das Genfer Start-up Transmutex geht technologisch noch über die Generation-IV hinaus und setzt dabei auf folgende Elemente: Ein Teilchenbeschleuniger treibt die für die Kernspaltung notwendige nukleare Kettenreaktion an (Accelerator Driven System (ADS), zu Deutsch: Beschleuniger-getriebenes System). Der Reaktor selbst wird mit flüssigem Blei oder einem Blei-Wismut-Gemisch gekühlt und nutzt Thorium als Brennstoff. Damit unterscheidet sich das Konzept deutlich von den aktuellen Kernkraftwerken: Diese nutzen eine selbsterhaltende Kettenreaktion, um Energie zu erzeugen, werden mit Wasser gekühlt und verwenden Uran als Brennstoff.

Maurice Bourquin beschreibt eindrücklich die Vorteile dieser technologischen Neuerungen: Thorium erzeugt bei der Spaltung deutlich weniger langlebige radioaktive Elemente, insbesondere kaum sogenannte «Minore Aktinide». Als Brennstoff könnten sogar existierende Abfälle aus dem Betrieb herkömmlicher Kernkraftwerke zum Einsatz kommen. Durch das kombinierte Verbrennen mit Thorium «transmutieren» – verwandeln sich – diese in viel kurzlebigere Spaltprodukte. Der Sicherheitsnachweis für ein Endlager müsste entsprechend nur noch für viel kürzere Zeiträume erbracht werden. Die Wärmeabfuhr mit Blei erfolgt bei Atmosphärendruck und nicht bei hohem Druck, wie es bei Wasser der Fall ist (bis zu 150-fachem Atmosphärendruck). Nach dem Runterfahren des Reaktors kann dieser passiv, d.h. ohne externe Elektrizitätszufuhr und ohne aktive Elemente wie Pumpen gekühlt werden. Und ein Beschleuniger kann im Störfall sehr schnell abgeschaltet werden. Dadurch stoppt die Kettenreaktion unverzüglich.

Ähnliche technologische Herausforderungen wie bei Generation-IV-Reaktoren

Meines Erachtens birgt das Konzept von Transmutex erhebliches Potential. Aus physikalischer Sicht ist die Transmutation ein gut verstandener Prozess, den sich auch Generation-IV-Reaktoren zunutze machen. Einige technologische Herausforderungen gilt es zu meistern:

  • Die Erfahrung bei Herstellung und Einsatz von Thorium-basierten Brennstoffen ist beschränkt – im Gegensatz zu Uran. Aus meiner Sicht kann das Ziel der Abfallminimierung prinzipiell sowohl mit einem Uran- als auch mit einem Thorium-basierten geschlossenen Brennstoffkreislauf erreicht werden.
  • Die benötigte Beschleunigertechnologie ist anspruchsvoll, aber grundsätzlich technisch machbar. Der Projekterfolg wird von der Markteinführung des Reaktors und der Kopplung an den Beschleuniger bestimmt werden. Letztere wurde noch nicht demonstriert – gegenwärtig gibt es dazu allenfalls Experimente in China.
  • Bleigekühlte Reaktoren sind in der Entwicklung fortgeschritten und gehören zu den sichersten unter den Generation-IV-Reaktorentwicklungen. Erste Prototypen werden vor Ende des Jahrzehnts in Betrieb gehen und möglicherweise zwischen 2035 und 2040 Serienreife erreichen.
  • Der zusätzliche Sicherheitsgewinn durch einen Beschleuniger ist vorhanden. Doch auch für die meisten Generation-IV-Reaktorkonzepte ohne Beschleuniger ist die Gefahr eines sog. Reaktivitätsstörfalls (d.h. eines exponentiellen Leistungsanstiegs in sehr kurzer Zeit) praktisch gebannt. Der grosse Vorteil von ADS liegt in ihrem (bezogen auf die Reaktorleistung) deutlich höheren Transmutationspotential gegenüber Generation-IV-Reaktoren.
  • Es bleibt zu zeigen, wie Transmutex das Partitioning von Brennstoffen technisch lösen will, also die chemische Separation von Spaltprodukten, Plutonium/Uran, und Minore Aktiniden und die anschliessende Fertigung von recyceltem Brennstoff.

Die ADS-Technologie kann eine wichtige Rolle für eine CO2-arme Energieerzeugung spielen und würde sich z.B. hervorragend in ein gesamteuropäisches Kernenergiekonzept mit einer Kreislaufwirtschaft für nukleare Brennstoffe bei um Grössenordnungen reduzierten Mengen langlebigen Abfalls einfügen. Voraussetzung ist, dass die Diskussion um die Energieerzeugung technologieoffen stattfindet, stabile politische und finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen werden, und vor allem nukleare Kompetenzen wieder verstärkt gefördert werden.

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Andreas Pautz ist Professor an der Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) und Direktor des Bereichs Nukleare Energie und Sicherheit am Paul-Scherrer-Institut (PSI).

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