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Gilles Antoniazza horcht Bergflüsse ab

Prix Schläfli 2024 Geowissenschaften: Hochwasser Ereignisse in Alpenflüssen können grossen Schaden anrichten. Gilles Antoniazza liefert mit seiner Doktorarbeit neue Ansätze, um besser zu verstehen, wie Geröllfracht transportiert wird. Dafür wird er mit dem Prix Schläfli in Geowissenschaften ausgezeichnet.

Prix Schläfli 2024 / Gilles Antoniazza
Bild: Maxime Mellina

Astrid Tomczak-Plewka

Am Anfang dieser Geschichte steht Einstein. Nicht Albert Einstein, sondern sein Sohn Hans Albert. In den 1930er Jahren widmete er sich dem Geschiebetrieb – Gerüchten zufolge entgegen den Ratschlägen seines berühmten Vaters. Ob wahr oder nicht: Einstein junior ebnete den Weg für die Erforschung der quantitativen Geomorphologie. Bis heute ist Geschiebe in Flussbetten eines der am schwersten fassbaren geophysikalischen Phänomenen. Ein Grund dafür liegt darin, dass Gebirgsflüsse bei Hochwasser weitgehend instabil sind und nicht gefahrlos betreten werden können. Aber auch der Geschiebeprozess an sich ist komplex: das Zusammenspiel von hydraulischen Kräften und Steinen unterschiedlicher Grösse führt zu vielschichtigen Dynamiken. Das erschwert Vorhersagen.

Einer, der angetreten ist, Einsteins Erbe fortzuführen, ist Gilles Antoniazza. Seine Freizeit verbrachte er schon als Kind an einem kleinen Fluss bei Yvonand (Waadt), wo er aufgewachsen ist. «Ich war oft in der Gegend wandern. Mit meinem Vater ging ich dort fischen, als Familie und mit Freunden grillierten wir oft am Fluss», erinnert er sich. Das Interesse für Naturwissenschaften wurde ihm quasi in die Wiege gelegt, sein Vater war Biologe und passionierter Ornithologie. Trotzdem spielte Gilles zunächst mit dem Gedanken, eine ganz andere Richtung einzuschlagen und Französisch oder Literatur zu studieren. Sein Geografie-Lehrer im Gymnasium begeisterte ihn aber für sein Fach, und so wählte Gilles schon für seine Maturaarbeit ein Thema, das ihn bis heute begleitet: die Dynamik von Wasserläufen.

«Immense praktische Relevanz»

Dahinter steckt nicht einfach abstrakte akademische Wissbegierde: Geschiebetransporte können Überschwemmungsrisiken erhöhen und Wasserkraftwerke beschädigen, aber sind auch wichtig für die Fluss-Ökologie. Deshalb sind Methoden gefragt, welche den Geschiebetransport nicht nur erfassen, sondern auch möglichst präzise voraussagen. Diesem Problem hat sich Antoniazza in seiner Doktorarbeit an der Universität Lausanne gewidmet, für die er jetzt mit dem diesjährigen Prix Schläfli in Geowissenschaften ausgezeichnet wird. «Er liefert die erste anatomische Analyse der Herkunft des Geschiebes und seiner Bewegung durch ein alpines Flussgebiet» wie sein Betreuer Stuart Lane von der Universität Lausanne hervorhebt. Antoniazza hat dafür im «Vallon de Nant» im Kanton Waadt auf einer Fläche von 13.4 Quadratkilometern Sonden installiert, um den Lärm, den der Sedimenttransport verursacht, seismisch zu erfassen . «In Flussbecken gibt es zwei Quellen für diesen Lärm», erklärt Antoniazza. «Einerseits das Fliesswasser, andererseits der Geschiebetransport». Diese erzeugen jedoch verschiedene Frequenzen, wodurch sie unterscheidbar sind. Die wichtigste Erkenntnis: die Einzugsgebiete von Bergen scheinen relativ ineffektiv darin zu sein, während eines einzelnen Hochwasserereignisses grobes Sedimentmaterial abzutransportieren. «Es braucht viele Ereignisse, damit der Transport über weite Strecken stattfindet», sagt Antoniazza. «Was wir dann sehen, ist das Resultat einer langen Geschichte.» Im Umkehrschluss heisst das auch: um potenziellen Schäden durch Geschiebetransport bei alpinen Flussläufen vorzubeugen, reicht es nicht, hydraulische Berechnungen zu machen. «Seine Arbeit ist von immenser praktischer Relevanz, da sie die Grundlagen der Sedimentmodellierung im Flussbau in Frage stellt, die für eine nachhaltige Brückenplanung, den Schutz vor Hochwasserrisiken und die Verbesserung der ökologischen Integrität degradierter Flüsse erforderlich ist», schreibt sein Betreuer.

Startup für die Vermessung von Gewässern

«Wir sind noch weit von einer perfekten Methode zur Voraussage von Geröllverschiebungen entfernt», sagt Antoniazza. «Aber wir haben zum ersten Mal ein System, das für alle erschwinglich und zugänglich ist.» Ein Sensor kostet ein paar Tausend Franken, die Installation erfordert aber viel Fachwissen. Fachwissen, das Antoniazza und drei seiner Kollegen mit einem Startup bereitstellen, das sie letzten Sommer gegründet haben. «Das Interesse ist ermutigend», sagt Antoniazza. Zurzeit sieht er denn seine Zukunft auch eher ausserhalb der akademischen Welt – nicht zuletzt wegen der unsicheren Anstellungsbedingungen in den Hochschulen. Ausserdem möchte Antoniazza gerne in seiner Heimat bleiben – er lebt er mit seiner Frau und dem gemeinsamen 15-monatigen Sohn in Grandson. Noch immer verbringt er seine Freizeit am liebsten in der Natur – viel Zeit bleibt ihm allerdings nicht, seit er Vater geworden ist. Aber er nimmts locker, hat er doch eine Outdoor-Erfahrung gemacht, von der er noch etwas zehren kann: Zwischen seinem Master-Abschluss und seiner Doktorarbeit hat er sich ein Jahr Zeit genommen, um von Mexiko nach Kanada zu wandern. Ein paar Flussläufe hat er dabei auch durchquert.

Dazu gehört

Prix Schläfli 2024 / Winners

Prix Schläfli 2024 für die vier besten Dissertationen in den Naturwissenschaften

Julia Reisenbauer (Chemie), Gabriel Jorgewich-Cohen (Biologie), Jonathan Gruber (Mathematik) und Gilles Antoniazza (Geowissenschaften) werden für Erkenntnisse im Rahmen ihrer Dissertationen mit dem Prix Schläfli 2024 ausgezeichnet. Die Akademie der Naturwissenschaften

Bild: SCNAT

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