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Stimmen der Forschung zu Nachhaltigkeits­transformationen

In Gesprächen mit Forschenden vertieften wir spezifische Aspekte von Forschung zu Nachhaltigkeitstransformationen. Im Folgenden sind Kernaussagen zusammengefasst.

Claudia Keller: Es ist die Dringlichkeit von Themen wie Klimawandel und Biodiversitätskrise, die viel Platz in meinem Bewusstsein eingenommen hat. Das persönliche Engagement, z.B. in der solidarischen Landwirtschaft sowie das Bedürfnis, dies mit meiner Forschung zu verbinden, ist wichtiger geworden (u.a. durch Erfahrung der Pandemie).
Die Bewegung der Transformationsforschung bietet einen breiten Ansatz um diese Herausforderungen anzugehen. Als Literaturwissenschaftlerin mit kulturwissenschaftlichem Schwerpunkt sehe ich in erzählenden Texten eine Möglichkeit, Wissen, das uns natürlich erscheint, kritisch zu hinterfragen und andere Denkstile zu vermitteln. Da wird Literatur transformativ.


Anne Zimmermann: Die Frage nach der Motivation ist zentral – wenn man sich die nicht stellt, kann man keine gute Forschung zu Nachhaltigkeitstransformationen machen. Wir stehen multiplen Krisen gegenüber, Armut, Krieg, Klimawandel, Verlust der Biodiversität etc. Für mich ist nicht die Angst die Motivation, sondern der Umstand, dass das, was ich liebe, vom Verschwinden bedroht ist. Da fühle ich mich verpflichtet, etwas zu tun, im Leben und in der Forschung.


Olivier Ejderyan: Mein Interesse für Transformation und Transformationsforschung hat seinen Anfang genommen mit meinem Interesse für Veränderung Richtung mehr Nachhaltigkeit und mehr Gerechtigkeit – das gehört für mich zusammen. Was mein Interesse auch initiiert hat, ist die Frage, warum wir plötzlich angefangen haben von Transformation sprechen, in Kontrast zum Beispiel zu Nachhaltigkeit. Es ist ein Wort, in das sich meine Arbeit einbettet, in dem ich mich wiederfinde, aber es ist auch ambivalent und ich betrachte es kritisch, sehe es manchmal gar als leeres Gefäss. Mich beschäftigen Fragen wie «Transformation von was zu was?», «Wer macht da mit?», «Welches Verständnis aber auch welche Praktiken stecken hinter dem Begriff?», «Warum braucht es diese neue Terminologie?», «Was für neue Spielräume werden dadurch eröffnet aber auch geschlossen?» In meiner Arbeit gestalte ich diese Transformationsprozesse mit, aber ich betrachte sie auch immer ein bisschen kritisch.


Basil Bornemann: Der Transformationsdiskurs kam im Zuge meiner Promotion zu Politikintegration im Kontext von Nachhaltigkeitsstrategien auf. Damit stellte sich die Frage, was denn genau mit Transformation verbunden ist und welche Differenz der Begriff markiert; welche anderen Praktiken, anderen Vorstellungen von gesellschaftlicher Gestaltung und welche Vorstellungen von Governance mit dem Einzug der Transformation in Nachhaltigkeitsdenken einhergehen. Diese Überlegungen waren Ausganspunkt meiner Auseinandersetzung mit Transformation. Ich habe diesen Begriff einerseits übernommen, aber andererseits auch Distanz dazu eingenommen und ihn erst einmal als leere Hülle begriffen, die mit Inhalt zu füllen ist. Dieses Füllen geschieht dann über Beobachtungen, wie der Begriff in der Gesellschaft verwendet wird und die kritische Reflexion darüber. Ich würde jetzt aber nicht behaupten, dass ich diesen Begriff in scharfem Kontrast dazu verwende, was vorher im Nachhaltigkeitsdiskurs eine Rolle gespielt hat. Für mich hatte Nachhaltigkeit immer einen umfassenden, integrativen und tiefgreifenden Wandel zum Ziel, so ist der Neuwert des Transformationsbegriffes einigermassen beschränkt. Es ist eher so, dass der Begriff bestimmten Elementen der Nachhaltigkeit – dem besonders umfassenden Charakter, der Betroffenheit des Globalen Südens wie auch des Globalen Nordens, der Nicht-Abgeschlossenheit bzw. Offenheit von Entwicklungen – Nachdruck verleiht bzw. sie neu akzentuiert, aber er hat in meinen Augen nicht so einen paradigmatischen Neuigkeitswert.


Nikolina Fuduric: Ich kam an einen Punkt in meinem Job – ich glaube es war im Jahr 2016, ich hatte eine unbefristete Professur – wo ich müde und uninspiriert war. Ich sah keine Wirkung von meinem Job in der Gesellschaft. Ich begann verschiedenes zu lesen, u.a. über Systemdenken. Ich erkannte, warum ich so müde war, und zwar weil ich die Vernetzungen nicht (mehr) sah, weil ich mich in Strukturen bewegte, die den Blick fürs grosse Ganze nicht unterstützen. Ich nahm ein Jahr Auszeit, las viel, befasste mich mit den philosophischen «Warum?»-Fragen, dachte darüber nach, warum wir Bildung und Forschung machen? Ich setzte mich damit auseinander, dass ich etwas bewirken und transformieren kann. Ich ging zurück in meinen Job und wollte auf Sustainable Marketing fokussieren und stellte fest, dass in dem Feld ein riesiges Chaos herrschte.

Ich dachte: Wir sind in einer dringenden Situation in der Welt, wir sind alle beteiligt und müssen was tun! Und ich habe mich daran gemacht, Ordnung in das Feld Sustainability Marketing zu bringen, weil das Voraussetzung für Wirkung ist.

Obwohl wir viel über Interdisziplinarität sprechen, haben wir an unseren Hochschulen eigentlich wenig Möglichkeiten, uns effektiv interdisziplinär zu vernetzen und in die gemeinsame Forschung zu gehen, weil das System es nicht unterstützt. Durch die momentanen Anreizsysteme sind wir so instrumentalisiert und ökonomisiert und haben den Blick verloren für das Wesentliche und für die Gründe warum wir etwas tun. Deshalb habe ich begonnen, Kolleg:innen zusammenzubringen, die zu Nachhaltigkeit arbeiten. Wir haben den Sustainability Salon gegründet an unseren acht Hochschulen der FHNW. Wir tauschen uns regelmässig online aus. Wir hatten einen gewissen Aktivismus und haben so eine kleine Bewegung geschaffen. Aus der Kerngruppe des Sustainability Salon heraus entstanden interdisziplinäre Projekte und wir haben eben gerade Geld von der Direktion bekommen um einen Sustainable Navigator zu entwickeln. Der Navigator zeigt, wo Leute zu Sustainability und Diversity forschen, um sich schnell zu finden. Wir wollen auch gesellschaftliche Akteur:innen einbeziehen, auch sie sollen diesen Navigator nützen.

Forschungen zu Nachhaltigkeitstransformationen vermitteln oft die Dringlichkeit vom Verzicht - Verzicht aufs Auto, aufs Fleischessen, aufs Fliegen, usw. Wie vermittelt man Verzicht?

Anne Zimmermann: Verzichten ist schwierig in einer Gesellschaft, wo das «nicht genügen» der Motor der Gesellschaftsentwicklung ist. Verzicht ist negativ konnotiert. Wir sollten uns überlegen, was der Wert unseres Lebens ausmacht und das Augenmerk darauf richten. Wir können uns in der Gemeinschaft in Verzicht üben, da fällt das leichter, das nimmt die Angst davor.

Transformationsprozesse bringen aber auch immer Verlierer:innen mit sich, oder Menschen die diesen Prozessen skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen, weil sie ihre Lebensentwürfe, Werte oder Identitäten dadurch bedroht sehen. Wie kann man mit ihnen umgehen?

Anne Zimmermann: Es ist fundamental, diesen Personen zuzuhören. «Deep Listening», das heisst, sich selbst und seine Ideen zurückzunehmen und wirklich zuzuhören. Man muss zuhören, sie ernst nehmen und anerkennen was sie sagen.


Wenn Forschung Veränderungen in Richtung mehr Nachhaltigkeit erzielen möchte: Wie können Zielbilder erreicht werden? Wie vermittelt man Verzicht?

Claudia Keller: Diese Fragen beschäftigen mich auch. Es stellt sich die Frage nach Verzicht versus Freude. Amitav Gosh hat ja gezeigt (The Great Derangment, 2016), dass literarische Texte nicht nur harmlos sind, denn sie können das Auto als Symbol der Freiheit darstellen, die Freude am Verbrennen von fossilen Brennstoffen transportieren. Die Aufgabe der Literaturwissenschaften ist es bspw. auch zu schauen, welche Form von Freude durch Texte vermittelt wird. Wenn andere, alternative Formen von Freude verhandelt werden, kann das Reflexion und Transformation anregen, indem eine andere Erfahrung geboten wird.

Gibt es Narrative, die auch aktiv die «Verlierer:innen» von Nachhaltigkeitstransformationen thematisieren?

Claudia Keller: Die Literatur schlägt sich gerne auf die Seite der menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen, die vom dominierenden Diskurs marginalisiert werden. Jeremias Gotthelf zum Beispiel fragt nach dem Preis der sozialökonomischen Transformationen während der Industrialisierung. Und in Judith Herrmanns Roman «Daheim» hat einer der Protagonisten eine riesige Schweinezucht und die Autorin beschreibt diese Figur, ohne sie zu verurteilen. Es ist eine Stärke der Literatur, dass man das Schräge, nicht so Passende auf eine nicht-wertende Weise thematisieren kann.


Wie vermittelt man Verzicht?

Nikolina Fuduric: Mit Freude!! Es muss Freude und Inspiration sein, diese Katastrophen-Narrative bringen nichts. Wir haben Forschung, die das belegt. Wir müssen Narrative ändern. Wir konsumieren mehr als wir müssen, weil wir eine Leere füllen möchten. Ich glaube die Narrative müssen dieser Leere was entgegensetzen: Freundschaft, Zusammenhalt, Freude, Inspiration, Ästhetik. Auf Englisch sagt man «until you become aspirational». Anstatt uns vorzuhalten, was wir nicht tun sollten, sollten wir anstrebenswerte Lösungen schaffen. Dabei hilft es u.a., Storyboards und Gamification einzusetzen und mit der Kunst zusammenzuarbeiten.

Wie gehen Sie mit Skeptiker:innen/ Verlierer:innen in Transformationsprozessen um?

Nikolina Fuduric: Diese Menschen sind Teil unseres Systems und sie können ihre Jobs verlieren. Es ist sehr wichtig, dass wir das wahrnehmen. Auch hier ist Systemdenken angesagt, man muss das grosse Ganze sehen und Respekt haben vor anderen Meinungen und Lebensumständen.
Persönlich gehe ich damit so um, dass ich meine Sphäre von Einfluss wahrnehme. Ich nehme meine Sphäre von Einfluss nicht so wahr, allen gerecht zu werden, sondern zu schauen, wo ich am meisten wirken kann. Ich habe mich bewusst entschieden, nicht auf Konsumverhalten zu fokussieren, sondern Firmen zu helfen nachhaltiger zu werden, weil ich da grössere Wirkung erzielen kann.
Und ich hoffe, dass unsere Gesellschaft für diese Menschen, die ihre Jobs verlieren, da ist und sie unterstützt. Das brauchten wir während der industriellen Revolution, das brauchten wir in den USA als NAFTA unterschrieben wurde, das brauchen wir heute. Das ist eine moralische Frage. Wir dürfen Menschen nicht zurücklassen.

In der Nord-Süd Forschung stellt sich immer auch die Frage der Kulturabhängigkeit/-spezifität. Wie wird mit der Transformation in anderen Regionen umgegangen? Wie können wir von diesen Lernen?

Anne Zimmermann: Der Begriff der Transformation ist stark vom Norden geprägt und hat eine politische Dimension. Es wäre gut, wenn man den Forschungsprozess mal umdrehen würde, so dass Wissenschaftler:innen aus dem Globalen Süden im Norden forschen oder dass sie auswählen können, mit wem aus dem Globalen Norden sie gerne zusammenarbeiten möchten. Wir bräuchten diese Umkehrung. Transformation bedingt auch Offenheit für andere wissenschaftliche Normierungen, Offenheit gegenüber Konzepten wie beispielsweise Pachamama* oder Ubuntu**.

* Pachamama bezeichnet die personifizierte Mutter Erde, welche Leben schenkt, nährt, schützt und rituell kommuniziert. Pachamama wirkt identitätsstiftend für Teile der indigenen andinen Gesellschaften Lateinamerikas und wird heute auch als Basis für sozialpolitischen Widerstand und als Hoffnung auf ein gutes Leben angesehen.
**Ubuntu ist eine Lebensphilosophie aus dem südlichen Afrika, welche von den Konzepten der Menschlichkeit und Nächstenliebe getragen wird und das Bewusstsein bezeichnet, dass man Teil eines größeren Ganzen ist.

Anne Zimmermann: Der Unterschied ist historisch geprägt. Während bei der transdisziplinären Forschung immer noch viel Gewicht auf der Disziplinarität liegt, wird diese bei der transformativen Forschunng weniger wichtig. Bei transformativer Forschung liegt der Fokus auf dem (Veränderungs-) Prozess selbst.

Ist der Fokus auf das transformative Lernen eine «Errungenschaft», welche durch die Begrifflichkeiten der Transformation vorangebracht worden sind? Oder hätte man sich auch einfach auf das in der transdisziplinären Forschung stark thematisierte Gegenseitiges Lernen (mutual learning) berufen können?

Anne Zimmermann: Für mich ist gegenseitiges Lernen ungenügend. Gemeinsames Lernen ist wichtig aber gegenseitiges Learning bedeutet nicht unbedingt, dass man bereit ist, sich zu verändern. Wegen der Dringlichkeit der Situation muss man jedoch weiter gehen. Transformatives Lernen impliziert auch die Bereitschaft, sich selbst zu verändern: nicht einfach nur von anderen «dazu zu lernen» sondern bereit sein, die eigene Perspektive radikal in Frage zu stellen und zu verändern. Das bedeutet auch eine Bereitschaft zum Verlernen.

Bei der Einordnung der Begriffe und Forschungsansätze, die im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitstransformationen gebraucht werden, gehen wir kurz auf die Innovationsforschung ein. Von welchen Innovationskonzepten seid Ihr am meisten geprägt? Wo seht Ihr die Verbindungsstellen zwischen Innovationsforschung und Transformationsforschung bzw. transformativer Forschung?


Olivier Ejderyan: Wenn es um Ansätze geht, die explizit den Zusammenhang zwischen Innovation und Transformation thematisieren, sind es die theoretischen Ansätze der SPRU Schule aus England (Science Policy Research Unit, University of Sussex) die mich geprägt haben, vor allem die Arbeit von Andy Sterling. Das sind eigentlich Ansätze zur Transformationsforschung die von der Innovationsforschung herkommen und so gibt es für mich da einen klaren Zusammenhang. Es gibt auch Schulen von Transformationsforschung die aus anderen Richtungen kommen, z.B. von den Development Studies oder der Transdisziplinären Forschung.
Für mich sind diese Ansätze stark miteinander verbunden denn es sind auch kritische Ansätze, die sowohl Innovationsprozesse sowie auch Transformation aus der Distanz anschauen. Für mich ist die Transformationsforschung auch eine Art, Innovationsforschung zu mainstreamen. In der Forschung ist Transformation auch ein akademisch-politisches Projekt: Es ist eine Art sich zu positionieren, gewisse Forschungslandschaften in Anspruch zu nehmen oder sich in Feldern zu positionieren, wo die Innovationsforschung bis jetzt vielleicht weniger tätig war. Meiner Ansicht nach kann Transformationsforschung auf der akademisch-politischen Ebene und in der Auseinandersetzung mit public-private partnerships einen Bezug zu Innovation schaffen, so dass auch nicht-akademische Akteur:innen ein Interesse dafür finden und Transformation als Driver für Innovation wahrgenommen wird. In diesem Sinne ist es eine Art, unterschiedliche Welten zusammenzubringen.


Basil Bornemann: Ich würde das auch in diese Richtung sehen. Transformation ist ein Diskurs, mit dem man es schafft, verschiedene innovationsorientierte Akteur:innen aus Wissenschaft und Praxis abzuholen und im Nachhaltigkeitsdiskurs und im Nachhaltigkeitsdenken einzugemeinden und so Anschlussfähigkeit zu schaffen und in den Mainstream zu kommen. Für mich ist Transformation irgendwie allgemeiner gefasst, es ist die allgemeine Klammer. Gesellschaftliche Transformationsprozesse hin zu Nachhaltigkeit beinhalten Innovation, aber sie umfassen auch weitere Prozesse und Aktivitäten die für Transformationsprozesse relevant sind. Gesellschaftliche Transformationen beinhalten auch eine Transformation von Governance. Für mich geschah der Zugriff auf Transformation eigentlich immer über Governance und Innovation.


Olivier Ejderyan: Das Feld der «Sozialen Innovationen» ist in der Transformationsforschung sehr stark verbreitet aber es ist auch ein ambivalentes Konzept: Der Fokus liegt einerseits auf sozialen Prozessen und dient als Gegengewicht zur Idee, dass alles mit «technical fixes», also mit technologischen Ansätzen zu lösen ist. Andererseits kommen die gewünschten Veränderungen von einer normativen Perspektive her, d.h. gewünschte Veränderungen werden als Innovation dargestellt. Aber es stellt sich dann auch die Frage, welche Prozesse zugelassen werden, wie sie gesteuert werden, etc., dies alles hat einen Einfluss auf Praktiken.

Wer managet denn die sozialen Innovationen?

Olivier Ejderyan: Vielleicht ist framen ein besseres Wort. Ich denke da insbesondere an finanzielle Unterstützung, Flagship-Projekte etc. Aber vielleicht hat es eher mit Legitimationsprozessen zu tun als mit managen.

Olivier Ejderyan: «Seeds of Good Anthropocenes» ist ein Innovationsansatz, welcher Veränderung viel weniger linear darstellt als zum Beispiel der Transitionsbegriff, der «von der Nische zum Mainstream» ausgeht (vgl. Geels 2011). Bei «Seeds of Good Anthropocenes» herrscht die Idee vor, dass verschiedene Samen – also verschiedene Einzelinitiativen – gestreut werden die dann heranwachsen – also ein Upscale erfahren und so transformieren. Dieser Ansatz ist natürlich weniger attraktiv für politische Entscheidungsträger, da Innovation so weniger steuerbar ist. Aber es ist ein Konzept, dass sich in gewissen Kreisen etabliert hat und einen Bogen zwischen unterschiedlichen Welten schafft, wie zum Beispiel zwischen Forschung, Aktivismus und alternative Formen von Unternehmertum.


Basil Bornemann: Da wäre noch ein kritischer Punkt als Ergänzung zum dominanten Denken von Nische-Innovation-Regime-Transition (vgl. Geels 2011) hinzuzufügen: Der Grund warum man vielleicht auf den Begriff der Transformation umschwenkt ist, dass das da eine Reihe von kritischen Perspektiven reinkommen, das wird zum Teil auch unter dem Begriff «Exnovation» diskutiert. Der Übergang zum Transformationsbegriff beinhaltet eine Öffnung, welche Fragen des Widerstandes, Machtprozesse und so weiter leichter thematisierbar macht. Ausserdem erlaubt er, andere Akteur:innen, soziale Bewegungen und politische Prozesse, welche im Feld der Innovation und der Nachhaltigen Entwicklung vielleicht eher aussenvor geblieben sind, stärker mitzudenken, auch wenn dies nicht der Mainstream ist. Vielleicht gibt es auch eine Entwicklung, die besagt, dass man sich eben auf die Kraft dieser Akteur:innen verlassen kann, so auch im Bereich dieser «Global Governance», wo zivilgesellschaftliche Akteur:innen plötzlich eine zentrale Funktion bekommen wenn es darum geht, die Innovationsprozesse auf der Governance-Ebene am Laufen zu behalten und einzufordern. Vielleicht ist es auch ein Übergang zu einem inklusiveren Modell, welches nicht nur normativ gedacht wird, sondern sich auch anhand all den Schwierigkeiten und kritischen Punkten herausbilden lässt.

Basil Bornemann: Ich sehe meine Rolle in der Aufklärung, Unterstützung und in der Reflexion von Wissen und Praktiken von Wissenschafts- und Praxisakteur:innen. Das klingt vielleicht nach einem alten Wissenschaftsverständnis, aber aus der Praxisperspektive geht es in der Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen schon oft um die Validitätsfrage. Ich sehe meine Rolle in einer kritischen Distanz, als ein kritisches Begleiten von Transformationsprozessen und im Nachdenken darüber, welche Art von Wissen wir überhaupt reinbringen.

Wo ich dann selber ins Nachdenken komme, ist bei der Frage, was es denn überhaupt heisst, eine kritische Rolle einzunehmen. Wie kann ich eine kritische Rolle einnehmen und meinen «Auftrag» der Aufklärung erfüllen, ohne die Transformation mit der kritischen Haltung zu ersticken? Das ist ein Punkt der für mich mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Wie macht man transformative Forschung und bleibt dabei kritisch? Vielleicht ist es die Position, externe und interne Kritik in produktiver Weise miteinander zu verbinden: Einerseits können wir kritische Impulse von der Wissenschaft (normative Massstäbe, best-practice, etc.) in die Praxis reintragen und übersetzen. Andererseits versuchen wir zu verstehen, welches die kritischen Artikulationen sind, die sich in einem Praxisfeld zum Beispiel in kantonalen Verwaltungen oder im Feld der Ernährungspolitik ergeben und ihrerseits wissenschaftliche Perspektiven herausfordern. Diese Perspektiven gilt es dann so miteinander zu verbinden, dass Kritik anschlussfähig und im Feld dann transformativ wird.


Nikolina Fuduric: Als Forschende möchte ich Ordnung schaffen in einem grossen System, damit sich die Leute daran orientieren können, damit im Marketing nicht nur über Produkte und Greenwashing nachgedacht wird. Dafür habe ich einen Sustainability Marketing Canvas entwickelt. Ich bin Aktionsforscherin und mag es, Probleme zu lösen. Ich habe mehrere Rollen: Sense-maker und Hebamme. Ich bin eine Aussenseiterin (aus der Pharma/Chemieindustrie kommend habe ich meine Dissertation erst mit 41 abgeschlossen) und so kann ich gut Ungewohntes machen und den Status Quo von Forschungszwecken,- und Prozessen herausfordern.

Aber ehrlich gesagt finde ich meine Rolle im Klassenzimmer und in Weiterbildungen mit Managern ebenso wichtig: Auch da bin ich Sense-maker und Hebamme, aber auch Challenger, indem ich frage: «Seid ihr sicher, dass ihr genug tut? Nehmt Ihr Euren Einflussbereich wahr?»

Ich möchte so gerne Bildung transformieren. Ist es unsere Aufgabe als Bildungsinstitution, junge Menschen auszubilden, damit sie funktionieren als Werkzeug einer neoliberalen Gesellschaft? Oder brauchen wir junge gesunde Menschen, die auch nach Transformation streben, die nach Wirkung suchen? Wir sind auf einer Kippe, wir kommen zu einer neuen Philosophie von Bildung und zu einer neuen Philosophie der Arbeit. Wir als Bildungsinstitutionen sollten auf diesen Trend eingehen.


Olivier Ejderyan: Ich sehe meine Rolle ziemlich klar als kritischer Begleiter, der diese Prozesse als wichtig ansieht aber auch merkt, dass gewisse Risiken damit einhergehen, Risiken die antizipiert werden müssen. Diesbezüglich hat man als Forschende:r vielleicht auch mehr Verantwortung als andere am Prozess beteiligte Akteur:innen, welche vielleicht nicht über die Tools verfügen, um diese Risiken zu antizipieren und zu erforschen.

An welche Risiken denken Sie da konkret?

Olivier Ejderyan: Ich denke da an die Entpolitisierung gewisser Prozesse, an das Risiko, dass gewisse Fragen, die eigentlich wichtig wären, gar nicht mehr aufgenommen werden. Mit der Entpolitisierung geht auch das Stumm-Machen von gewissen Kategorien von Akteur:innen einher, aber auch von gewissen Forschungspraktiken; ich denke da an qualitative Forschung, an ethnographische Methoden zum Beispiel. Diese Art von Forschung braucht Zeit, aber da ja alles immer schneller gehen und messbar sein muss wird sie zur Seite geschoben, oder aber es muss in zwei Wochen erledigt werden. Es ist ein bisschen paradox, weil solche Methoden einerseits immer mehr aufgenommen werden, gleichzeitig aber auch verwässert und standardisiert werden – ich denke da an das Interviewen. Naturwissenschaften nehmen solche Methoden auf, aber passen sie für gewisse Prozesse an oder machen sie passend, das sehe ich oft in inter-und transdisziplinären Projekten.

Die Interviews wurden auf Deutsch geführt.

Im Gespräch mit:

Claudia Keller

Claudia Keller, Dr., Deutsches Seminar UZH

Claudia Keller beschäftigt sich u.a. mit Nachhaltigkeitstransformationen in Erzählungen (Link) aus wissenschaftshistorischer Perspektive und mittels literaturwissenschaftlicher Analyse. Sie engagiert sich zudem in der solidarischen Landwirtschaft (Link) und ist journalistisch tätig (Bsp Link).

Anne Zimmermann

Anne Zimmermann, Dr., Associated Senior Research Scientist am CDE

Anne Zimmermann beschäftigt sich seit ihrem Studium mit Aspekten der Nachhaltigkeitstransformationen, insbesondere im Kontext der Nord-Süd Forschung. Sie widmet sich u.a. Fragen der Bildung zu Nachhaltigkeit (vgl. saguf Arbeitsgruppe). Zurzeit ist sie für das Projekt «TRACCskills – Transformational, cross cutting people skills for the SDGs» aktiv.

Basil Bornemann

Basil Bornemann, Dr., Departement Gesellschaftswissenschaften, UniBas

Basil Bornemann engagiert sich seit fast zehn Jahren an der Uni Basel im Fachbereich Nachhaltigkeit. Er hat einen interdisziplinären umweltwissenschaftlichen Hintergrund, wobei er sich bereits während des Studiums auf sozialwissenschaftliche Fragen und Nachhaltigkeit spezialisiert hat. Aktuelle Projekte finden Sie unter diesem Link.


Olivier Ejderyan

Olivier Ejderyan, Dr., Departement für Agrar- und Ernährungssysteme, FIBL

Olivier Ejderyan ist Humangeograph, der sehr oft in anderen Disziplinen oder transdisziplinär gearbeitet hat. Er leitet die Gruppe «Gesellschaft & Innovation» die ein Transformation Lab betreibt mit dem Ziel, eine Transformation Roadmap für die Schweizer Landwirtschaft mitzugestalten.

Nikolina Fuduric

Nikolina Fuduric, Prof. Dr., Institute for Competitiveness and Communication, FHNW

Nikolina Fuduric ist Mitgründerin des FHNW Sustainability Salon und befasst sich mit Transformation in der Wirtschaft und Bildung. Sie entwickelte den Sustainability Marketing Canvas und engagiert sich in der Entwicklung eines Sutainable Navigator für die FHNW und ihre Anspruchsgruppen.