Austausch zwischen Wissenschaft und Verwaltung
Zwei Vertreterinnen aus Wissenschaft und Verwaltung reflektieren ihre Zusammenarbeit im Rahmen des Reallabors «Wissensdialog Nordschwarzwald 2015–2020» in einer Nationalparkregion. Dieser Erfahrungsaustausch hilft uns, darüber nachzudenken, welche Rollen Wissenschaftler:innen in Nachhaltigkeitstransformationen einnehmen können und welche Beiträge der Wissenschaft für andere Anspruchsgruppen hilfreich sind.
Reallabor «Wissensdialog Nordschwarzwald» (WiNo)
Wie kam es zum Projekt?
Die Gründung des Nationalparks im Jahr 2014 warf verschiedene Fragen auf: Wie reagiert die Natur, wenn die Waldflächen nicht mehr bewirtschaftet werden? Was passiert mit bisherigen, an den Wald gebundenen Erwerbsmöglichkeiten der lokalen Bevölkerung? Welche neuen Erwerbschancen ergeben sich daraus, z.B. im Tourismussektor? Diese und andere Fragen haben den Anstoss für das Reallabor «Wissensdialog Nordschwarzwald» (WiNo) gegeben. Verschiedene Teilprojekte des WiNo haben das Ziel, die ökologischen Prozesse im Nationalpark und Möglichkeiten der nachhaltigen Entwicklung der umliegenden Region zu erforschen. Das Reallabor soll Brücken schlagen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Alltagsproblemen.
Wer war beteiligt?
Das Projektteam des Reallabors bestand aus Vertreter:innen der Wissenschaft und der Verwaltung: Unter der Leitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg arbeiteten Forschende der Universität Freiburg, der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg und der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg mit den Verwaltungen des Nationalparks Schwarzwald und des Naturparks Schwarzwald Mitte/Nord zusammen. In der ersten Förderperiode von 2015 bis 2017 wirkten zudem das Öko-Institut e.V. und die EVOCO GmbH mit. In der zweiten Förderperiode von 2018 bis 2020 verstärkte die am Landratsamt Freudenstadt eingerichtete WiNo-Transferstelle das Projekt.
Reflexion der Rollen und Prozesse der Zusammenarbeit
Kerstin Ensinger, Vertreterin der Nationalparkbehörde und Regina Rhodius, Wissenschaftlerin an der Universität Freiburg, blicken in einer gemeinsamen Präsentation zurück auf das Reallabor WiNo. Sie erzählen von ihren Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätzen bei der Zusammenarbeit.
Welche Widerstände bzw. Erklärungsbedarfe aufkommen, wenn Forschende in einem Park ein Reallabor einrichten, wie es gelingt, in einem hochpolitisierten Forschungskontext integer zu agieren und warum sich Student:innen für Partnerschaften mit Praxisakteur:innen bisweilen besser eignen als erfahrene Forscher:innen, erfahren Sie hier:
Gegenseitige Wertschätzung
Die Zusammenarbeit im Reallabor hat wissenschaftliche Erkenntnisse über ökologische und soziale Prozesse im und um einen Nationalpark geschaffen und für Behörden und Bevölkerung wertvolle Impulse für Veränderungen und Innovationen generiert.
Es wurden
- Auswirkungen von Waldbesuchen auf die Gesundheit untersucht,
- Erwerbsperspektiven für Frauen im ländlichen Raum identifiziert,
- flexible Mobilitätsangebote entwickelt und geprüft,
- Effekte von Restaurantionsmassnahmen auf die Waldentwicklung erforscht,
- die Ausbreitungsgebiete eines Borkenkäfers für eine bessere Gefährdungseinschätzung von Waldbeständen studiert,
- historische Veränderungen in der Landnutzung und Waldentwicklung rekonstruiert,
- ein digitales Wegnetz für die Wegeverwaltung und für Apps für Tourist:innen entwickelt,
- Wechselbeziehungen und Konflikte zwischen Wildtieren und Menschen reflektiert,
- und die Weitergabe von lokalem Wissen zu Natur und Landnutzung untersucht.
Dabei stellte sich die Bezeichnung «Reallabor» trotz anfänglicher Umstrittenheit als Chance heraus: Sie ermöglichte nicht nur Experimente, sondern führte durch die Betonung des Laborcharakters auch zu mehr Gelassenheit und Nachsicht in Situationen, die weniger nach Plan verliefen.
Verschiedene Rollen im Projektverlauf
Das Projekt WiNo zeigt, dass die beteiligten Wissenschaftler:innen verschiedene Rollen eingenommen haben und sich diese Rollen im Laufe des Forschungsprozesses verändert haben. Die meisten Forscher:innen in den Teilprojekten waren den grössten Teil ihrer Arbeitszeit als Fachexpert:innen sowie Datenerheber:innen- und Auswerter:innen unterwegs. Im Kontakt mit Akteur:innen der Region waren sie aber gelegentlich auch Begleiter:innen und Berater:innen.
Die wissenschaftlichen Koordinator:innen vereinten zahlreiche Rollen auf sich und waren Fachexpert:innen, Motivator:innen/Enabler, Moderator:innen, Konfliktschlichter:innen, Prozessbegleiter:innen. Dies zeigt, dass Rollen nicht starr sind und je nach Situation und Bedarf die eine oder die andere Rolle in den Vordergrund getreten ist.
Impulse, Sichtbarkeit und Legitimation
Die Parkverwaltung hat mehrere Aspekte der wissenschaftlichen Arbeit geschätzt: Gerade die wissenschaftlichen Ergebnisse aus den Teilprojekten gaben der Verwaltung wichtige Impulse zur sozialen und ökologischen Ausgestaltung des Nationalparks und zur Entwicklung der Umgebung. Ausserdem hat das wissenschaftliche Projekt der Arbeit und dem Handeln der Verwaltung grössere Sichtbarkeit und Legitimation verliehen.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Wissenschaft?
Dieser Erfahrungsaustausch verdeutlicht, dass die Bereitschaft und Praxis des gegenseitigen Lernens zu hochwertigen Ergebnissen für die Gesellschaft und die Wissenschaft führt. Er zeigt aber auch, dass Wissenschaften und Verwaltung nach unterschiedlichen Logiken funktionieren und genügend Zeit für die Klärung von Rollen, Zuständigkeitsbereichen und Erwartungen einzuplanen sind. Da sich Dynamiken und Rollen im Laufe des Projektes verändern können, ist es hilfreich, in allen Projektphasen Möglichkeiten zur Reflexion einzubauen und diese ggf. extern moderieren und begleiten zu lassen. Aus Sicht der Parkbehörde ist es wichtig, dass Wissenschaftler:innen Sensibilität und Empathie für die Aufgaben, Rollen, Interessen und Ressourcen der anderen Anspruchsgruppen aufbringen. Dazu gehört auch, im Austausch zu bleiben und sich nicht in die angestammten Rollen zurückzuziehen, wenn Themenfindung und Datenerhebung abgeschlossen sind.
Dies ist ein vorläufiges Fazit und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im Projekt REDIRO geht es genau darum, verschiedene Rollen der Wissenschaft weiter zu reflektieren und diskutieren und so das Spektrum an Rollen auszuloten. |
Was ist ein Reallabor? In einem Reallabor kommen Akteur:innen aus der Wissenschaft und aus der Praxis zusammen, um voneinander zu lernen, gemeinsam Wissen zu erarbeiten und Anhaltspunkte zu identifizieren, wie gesellschaftliche Transformation gelingen kann. Reallabore bieten Raum für experimentelle Arbeit und Reflexion. Sie schliessen auch die Möglichkeit des Scheiterns ein. Diese Forschungs- und Kooperationsform hat einen transdisziplinären und transformativen Charakter und wird je nach Community auch «Real World Lab», «Living Lab», «Transformative Innovation Lab» oder «Transition Lab» genannt. |