Mit Daten Geschichten erzählen
ProClim Flash 74
Über den Klimawandel wird meist anhand abstrakter Zahlen berichtet. Der Datenjournalist Simon Schmid dagegen vermittelt dieses komplexe Thema mithilfe von Visualisierungen auf anschauliche Weise.
Text: Aileen Azzola, Larissa Bucher und Natascha Gmür, Fachhochschule Graubünden; Martin Kohli, ProClim
Eine animierte Erdkugel auf der man per Mausklick die Temperaturveränderungen über mehrere Jahre in verschiedenen Städten der Welt sehen kann. Balkendiagramme, die den Verlauf von Neuansteckungen mit dem Coronavirus aufzeigen. Das sind nur zwei Beispiele für die Arbeit eines Datenjournalisten. «Wir schreiben Geschichten nicht nur mit Worten – wir versuchen Aussagen zusätzlich noch mit harten Daten und Grafiken zu untermauern», sagt Simon Schmid zu seiner Arbeit. Der 39-jährige Zürcher arbeitet beim Schweizer Online-Magazin «Republik» und leitet dort ein Team im Bereich Wirtschaft, Wissenschaft und Digitales.
Schmid hat ursprünglich Soziologie, Wirtschaft und Geographie studiert. Zum Journalismus kam er durch ein Praktikum in der Wirtschaftsredaktion von Tages-Anzeiger Online. «Ich habe schon damals gerne Grafiken erstellt, um Aussagen zu verdeutlichen», so Schmid. Während eines Aufenthaltes in den USA im 2017 absolvierte er dann schliesslich eine Ausbildung in Datenjournalismus an der Columbia School of Journalism. Er lernte dort unter anderem, wie man mit der Programmiersprache «Python» effizient Daten zusammenstellen und auswerten kann.
Geburtsstunde des Datenjournalismus
Seinen Anfang nahm der Datenjournalismus 2010: Die britische Tageszeitung «The Guardian» bereitete tausende Geheimdokumente über den Afghanistankrieg multimedial auf, die ihr über die Enthüllungsplattform Wikileaks zugespielt wurden. Die interaktiven Grafiken und Karten vermittelten Zusammenhänge, die mit Text und Tabellen nicht darstellbar gewesen wären. Das zeigt sich auch heute bei der COVID-19-Pandemie: Grafiken vermitteln die Entwicklung von Ansteckungs- oder Todesfallzahlen auf einen Blick.
«Nicht immer liegen die Aussagen in den Daten einfach so bereit», sagt Schmid. Oft bestehe zuerst eine Vermutung über einen Zusammenhang – beispielsweise, dass die Pandemie zu mehr Suiziden geführt habe. Dann mache man sich auf die Suche nach Daten, die das belegten oder widerlegten, so Schmid. Manchmal stosse man beim Stöbern durchs Internet auch zufällig auf Datensätze, aus denen eine spannende Geschichte entstehe.
Den Klimawandel sichtbar machen
Vielen Menschen fällt es schwer, sich die Folgen des Klimawandels vorzustellen. Gerade hier, wo es häufig um Zahlen und verschiedene Szenarien geht, punktet der Datenjournalismus mit seinen visuellen Darstellungen. Das zeigt ein Beitrag von Schmid und seinem Kollegen Andreas Moor, der 2019 in der Republik erschienen ist.
Ihre Visualisierung stellt die Schneesicherheit verschiedener Schweizer Wintersportorte heute und für die Jahre 2035, 2060 und 2085 dar. «Das führt einem konkret vor Augen, ob man in Zukunft an seinem Lieblingsort noch Skifahren kann», sagt Schmid. Und das löse eventuell auch mehr Betroffenheit aus als nackte Zahlen.
Für die Visualisierung haben Schmid und Moor ein Szenario gewählt, bei dem die Politik keine besonderen Anstrengungen unternimmt, um den Klimawandel zu stoppen. Auf Basis dieser Annahme haben sie für verschiedene Berg- und Talstationen in Schweizer Skigebieten visualisiert, wie es aktuell und in der Zukunft um die Schneesicherheit steht.
Demnach wäre in Gstaad, das schon heute zu den weniger schneesicheren Destinationen gehört, der Betrieb ohne Klimaschutz bereits 2035 akut gefährdet. 25 Jahre später wäre nur noch ein einziger Lift mit Naturschnee befahrbar. Ab 2085 wäre das Skifahren praktisch nicht mehr rentabel (siehe Abbildung).
Es braucht gute Geschichten
Mit seiner Arbeit wolle er dazu beitragen, dass die Menschen für Themen wie den Klimawandel sensibilisiert würden und sachlich darüber diskutiert werden könne, sagt Schmid. Datenjournalismus ist dazu ein mächtiges Mittel. Dafür lohne sich auch der Mehraufwand, um sich Daten zu beschaffen, zu aggregieren und visuell aufzuarbeiten.
Für die Visualisierung der Skigebiete kombinierte er zum Beispiel Standortdaten sowie Höhenangaben zu den Skigebieten und Liften in der Schweiz von Swisstopo mit Daten aus einer wissenschaftlichen Studie über Prognosen zur Schneesicherheit in verschiedenen Höhenlagen. «Bei meiner Arbeit werde ich oft selber ein bisschen zum Wissenschaftler», so Schmid.
Wie sieht Schmid die Zukunft des Datenjournalismus? Er wagt keine Prognose. Was man aber anhand von Klickzahlen auf Webseiten feststellen könne: Interaktive Geschichten und Artikel mit anschaulichen Grafiken würden lieber gelesen – etwa doppelt so häufig wie reine Textartikel. Was für Schmid klar ist: «Das Wichtigste im Journalismus ist und bleibt eine gute Geschichte mit interessanten und relevanten Inhalten. Fehlt dies, so nützt auch die beste Grafik der Welt nichts.»