Lebensraum für Insekten stärkt Bestäubung und landwirtschaftliche Produktion
Carte Blanche für Matthias Albrecht, Agroscope
12.12.2022 – Die Bestäubung der Kulturen ist in der Schweiz mehrheitlich noch relativ gut. Bei Kirschen, Himbeeren, Raps und anderen Kulturen können Erträge lokal aber deutlich reduziert sein, weil zu wenige bestäubende Insekten vorhanden sind. Die nötigen Massnahmen wie Biodiversitätsförderflächen, um künftig eine stabile Bestäubung zu sichern, sind bekannt und gut umsetzbar.
Insekten sind unerlässlich für die Landwirtschaft. Sie helfen mit, Böden fruchtbar zu halten, Schadorganismen zu regulieren und Wild- und Kulturpflanzen zu bestäuben. Fast drei Viertel der wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen weltweit profitieren von der Bestäubung durch Insekten. In der Schweiz sorgen Bienen, Schwebfliegen und weitere Insekten dafür, dass zum Beispiel Äpfel, Kirschen, Beeren oder Ackerbohnen geerntet werden können. Selbst bei grösstenteils windbestäubten Kulturen wie Raps können Insekten den Ertrag erheblich steigern. Zudem steigt die Qualität. Beeren geraten ohne Insektenbestäubung oft klein und deformiert. Die Insektenbestäubung generiert in der Schweiz einen jährlichen Produktionswert von über 340 Mio CHF.
Seit jeher werden Honigbienen und in jüngster Zeit vermehrt auch Hummeln und Mauerbienen eingesetzt, um etwa Obstbäume zu bestäuben. Ebenso entscheidend sind Wildbienen, Schwebfliegen und andere Wildbestäuber. Weltweit wird etwa die Hälfte der Wertschöpfung aus Bestäubungsleistungen durch wild lebende Insekten erbracht. Ackerbohnen zum Beispiel sind auf langrüsslige Hummeln wie die Gartenhummel angewiesen. Viele Hummeln und andere Wildbestäuber fliegen bereits bei tiefen Temperaturen und sind sehr wichtig für früh im Jahr blühende Kulturen wie Kirschen.
Wildbestäuber sorgen für Stabilität
Schwebfliegen, Wildbienen und weitere Insekten unterscheiden sich oft stark in der Vorliebe für verschiedene Kulturen, für klimatische Nischen und in ihrer Aktivität im Tages- und Jahresverlauf. Die Biodiversität von Bestäuberinsekten ist damit entscheidend für eine stabile Bestäubung, auch bei Wetterereignissen und sich änderndem Klima.
Gerade in intensiv genutzten Agrarlandschaften sind Insekten stark unter Druck. Rund 45 Prozent der knapp 600 Wildbienenarten der Schweiz sind auf der Roten Liste. Ist die Bestäubung unserer landwirtschaftlichen Kulturen also gefährdet? Neue Untersuchungen der Agroscope deuten darauf hin, dass die Bestäubung in der Schweiz insgesamt relativ gut ist. Die lokale Bestäubungssituation bei gewissen Kulturen wie Kirsche, Himbeere oder Raps kann aber stark variieren. Teils wurden Ertragseinbussen von bis zu 30 Prozent wegen unzureichender Bestäubung durch Insekten festgestellt.
Viele wichtige Massnahmen werden bereits umgesetzt. Biodiversitätsförderflächen wie extensiv genutzte Wiesen und Weiden oder Hecken können sehr wertvolle Lebensräume für Bestäuberinsekten sein. Sie bieten Nahrung und Nist- und Überwinterungsplätze. Die ökologische Qualität solcher Flächen und die Blütenvielfalt sollten jedoch verbessert werden, etwa bei Wiesen im Mittelland. Dazu kann beispielsweise regionales Saatgut aus geeigneten Spenderflächen übertragen werden.
Vernetzung der Massnahmen ist entscheidend
Gerade in intensiv bewirtschafteten Ackerbaugebieten im Schweizer Mittelland sind Biodiversitätsförderflächen besonders nötig. Der Bundesrat hat deshalb beschlossen ihren Anteil zu steigern, etwa durch Ansaat von blütenreichen Flächen oder Streifen. Buntbrachen sind im Ackerbau bewährt und fördern die Biodiversität. Gerade im Frühjahr ist das Blütenangebot aber oft mangelhaft. Seit einigen Jahren legen Landwirtinnen und Landwirte auch einjährige Blühstreifen für Bestäuber an, um die Trachtlücke im Frühsommer zu mindern. Solche relativ kurzzeitigen Elemente sollten über mehrere Jahre hinweg auf dem Betrieb angelegt und wo immer möglich mit mehrjährigen und permanten Elementen kombiniert werden, um Bestäuberpopulationen langfristig aufzubauen. Dabei gilt: Je vernetzter die Massnahmen, desto besser. Es geht um ein vielfältiges und kontinuierliches Blühangebot, bessere Nist- und Überwinterungslebensräume; Schwebfliegen brauchen auch wenig gestörte Lebensräume, die den Larven ausreichend Nahrung bieten. Am besten arbeiten dazu mehrere landwirtschaftliche Betriebe zusammen.
So wichtig die Vernetzung ist, die Flächen müssen nicht immer gross sein. Auch Kleinstrukturen und kleine Saum- und Ruderalstandorte mit seltener gewordenen Blütenpflanzen wie Glockenblumen können äusserst wichtige Nist- und Nahrungslebensräume etwa für spezialisierte und bedrohte Widbienenarten sein.
Bei all dem entscheidend ist eine gute landwirtschaftliche Beratung, welche auf fundierten Kenntnissen der Biodiversitätsförderung in der Landwirtschaft aufbaut. Dies fördert Bestäuberinsekten, die Biodiversität und damit die landwirtschaftliche Produktion in der Schweiz.
-
Matthias Albrecht forscht bei Agroscope zu Agrarlandschaft und Biodiversität.
Carte blanche – Forschende kommentieren
- «Landschaftsbeobachtung Schweiz muss für die Praxis relevanter werden»
- «Der Unterricht in den Naturwissenschaften und die Ausbildung der Lehrpersonen müssen mit der Zeit gehen»
- «Die Wissenschaft sieht politischen Handlungsbedarf bei der Biodiversität»
- «Umbruch im Hochgebirge: Sicherheit muss vorgehen»
- «Künstliche Intelligenz kann das Wirtschaftswachstum auf beispiellose Weise ankurbeln – und damit Umweltkrisen verschärfen.»
- «Wir müssen die subtilen Dynamiken der Macht im Naturschutz besser berücksichtigen»
- «Mit den richtigen Metaphern die Menschen für die Biodiversität sensibilisieren»
- «Aufbau der ökologischen Infrastruktur kann die Trendwende bringen»
- «Ansätze zur Dekolonisierung der Forschungszusammenarbeit zwischen Nord und Süd»
- «Einbezug der Geschlechtervielfalt ist gut für die Wissenschaft»
- «Umdenken statt umbringen: Warum wir das Zusammenleben mit Wildtieren üben sollten»
- «Das Märchen von den Kosten des Klimaschutzes schadet der Schweiz»
- «Für einen wirklich demokratischen Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen»
- «Hohe Lebensqualität geht auch ohne hohen Ressourcenverbrauch»
- Lebensraum für Insekten stärkt Bestäubung und landwirtschaftliche Produktion
- «Um den Klimawandel zu bekämpfen, müssen wir die Qualität des Bodens verbessern, auch in der Schweiz»
- «Ein konstruktiver Kompromiss: der Natur Raum geben und den Energieausbau ermöglichen»
- Erfolg von Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen muss solider werden
- «Diese Technologie kann zu einer nachhaltigen Kernenergieversorgung beitragen»
- «Thorium weckt Hoffnung auf eine gelassenere Klimazukunft»
- «‹Energie sparen› dämpft Energiekrisen, schont das Klima und wird akzeptiert»
- «Der Schweizer Untergrund braucht eine Governance»
- «Mehr Grundlagendaten für eine nachhaltige Wasserkraft»
- «Schädigende Subventionen abbauen schont Umwelt und Finanzen»
- «Ernährungssicherheit erfordert eine umfassende Sichtweise»
- «Risiken von Pflanzenschutzmitteln schnell zu reduzieren ist alternativlos»
- «Mehr unabhängige Forschung zu klimaschonendem Tourismus»
- «Fliessgewässer brauchen klimaresistente Restwassermengen»
- «Technologien für netto null sind einsatzbereit und bezahlbar»
- «Mit Mist und Gülle gegen die Stromlücke»
- «Breite Gentechdebatte mit neuer Gelassenheit starten»
- «Schweiz droht Entwicklung grüner Technologie zu verschlafen»
- «Weniger Wirtschaft in der Regionalpolitik»
- «Das Gymnasium darf sich nicht verzetteln!»
- «Gleicher Ertrag mit halb soviel Pestizid: Das geht!»
- «Die Wirkungsmechanismen der Natur besser verstehen»
- «Geographie muss endlich Schwerpunktfach werden»
- «Konsumierende wollen keine Gentechnik» taugt als Mantra nicht
- «Klimaziele erreichen, ohne den CO₂-Ausstoss gross zu verringern»
- «Beim CO2-Gesetz steht auch die internationale Glaubwürdigkeit auf dem Spiel»
- «Zur Klimakrise sprechen wir weiterhin Klartext!»
- «Das neue CO₂-Gesetz ist besser als behauptet – genügt aber noch nicht»
Carte blanche - Forum Biodiversität
- «Die Wissenschaft sieht politischen Handlungsbedarf bei der Biodiversität»
- «Mit den richtigen Metaphern die Menschen für die Biodiversität sensibilisieren»
- «Aufbau der ökologischen Infrastruktur kann die Trendwende bringen»
- «Umdenken statt umbringen: Warum wir das Zusammenleben mit Wildtieren üben sollten»
- Lebensraum für Insekten stärkt Bestäubung und landwirtschaftliche Produktion
- «Ein konstruktiver Kompromiss: der Natur Raum geben und den Energieausbau ermöglichen»
- «Schädigende Subventionen abbauen schont Umwelt und Finanzen»
- «Ernährungssicherheit erfordert eine umfassende Sichtweise»
- «Risiken von Pflanzenschutzmitteln schnell zu reduzieren ist alternativlos»
- «Fliessgewässer brauchen klimaresistente Restwassermengen»
- «Gleicher Ertrag mit halb soviel Pestizid: Das geht!»