Astrid Tomczak-Plewka
Als Albert Einstein die Existenz von Gravitationswellen im Universum vorhersagte, war es nicht mehr als eine Theorie. Erst 100 Jahre später, am 14. September 2015, gelang mit dem Gravitationswellen-Observatorium LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory) erstmals ein direkter Nachweis von Gravitationswellen. Sie können entstehen, wenn aufgrund kosmischer Ereignisse gewaltige Energien freigesetzt werden, zum Beispiel bei der Verschmelzung von schwarzen Löchern. Zu diesem Zeitpunkt studierte Simone Bavera Physik an der ETH Zürich und setzte sich intensiv mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie auseinander. Der Nachweis der Gravitationswellen, der den Forschenden später den Nobelpreis einbrachte, «war sehr aufregend für mich», erinnert er sich. «Ich wurde Zeuge der Geburt eines neuen Felds in der Astronomie.» Die Gravitationswellen öffnen ein neues Fenster ins Universum: Objekte, die kein Licht emittieren, wie eben schwarze Löcher, können nun detektiert werden. «Aber die grosse Frage bleibt: Wo liegt der Ursprung von verschmelzenden schwarzen Löchern? Wie erwerben sie ihre spezifischen Eigenschaften, Grösse, Rotation?» sagt der Tessiner. Genau diese Fragen stellte er in seiner Dissertation an der Universität Genf.
Ein wissbegieriger Schüler
Er untersuchte die Verschmelzung von binären schwarzen Löchern, also von schwarzen Löchern, die in Paaren auftreten und sich umkreisen, und entwickelte ein Modell zur Vorhersage deren Eigenschaften. Das Besondere seines Ansatzes: Er konstruierte physikalische Modelle, die er mit Daten der Gravitationswellenobservatorien vergleicht – was vor 2015 gar nicht möglich war. Damit leistete der Doktorand Pionierarbeit: «Simones Arbeit war die erste, die theoretische Vorhersagen über die kombinierte Verteilung aller drei Observablen machte: Chirp-Masse, effektiver Spin und Rotverschiebung von Verschmelzungen», schreibt sein Betreuer Anastasios Fragkos. «Die Arbeit zeigte, dass die Korrelationen zwischen diesen Observablen wichtige Signaturen der zugrundeliegenden physikalischen Prozesse enthalten, die bei der Entstehung binärer schwarzer Löcher ablaufen. Somit können sie Aufschluss über deren astrophysikalischen Ursprung geben.»
Vielleicht wurde Simone Bavera die Begeisterung für schwarze Löcher nicht in die Wiege gelegt, aber schon in der Schulzeit kristallisierte sich heraus, was dereinst aus ihm werden könnte. «Ich war gut in Mathematik und habe meinen Lehrer immer um Zusatzaufgaben angebettelt», erinnert er sich. Einmal gab ihm der Lehrer Logikaufgaben. «Das zeigte mir, dass Mathe ein starkes Instrument war, um die Welt zu verstehen. Ich ging begeistert nach Hause, und erzählte es meinen Eltern, sie sagten: ‘Das ist Physik, das kann man an der ETH studieren’.» Also war die Studienwahl geklärt.
Wie der Mensch die Grenzen verschiebt
«Wir kratzen gerade erst an der Oberfläche», sagt er begeistert. «Warum tun wir, was wir tun? Menschen sind neugierig und wollen die Grenzen verschieben. Erst haben wir die Erde erforscht, dann sind wir rausgegangen, um den Mond zu erforschen. Die Entdeckung der Gravitationswellen hat diese Grenzen erneut verschoben.»
Simone Bavera arbeitet zurzeit noch an der Universität Genf in der Gruppe seines Doktorvaters, als Leiter eines Teams, das Software zur Modellierung von Doppelsternen entwickelt. So sehr er seinen Job liebt: «Mein Privatleben ist mir wichtig», sagt er lächelnd. «Ich brauche genügend Schlaf und ein freies Wochenende.» Er hört gerne Podcasts – am liebsten von Lex Fridman – liebt Kochen, erkundet die Berge, reist gerne. Vor ein paar Monaten war er mit seiner Verlobten in Schwedisch Lappland. «Ich habe ihr einen Heiratsantrag gemacht. Es war eiskalt», erzählt er.
Denkt er an die Zukunft, wird er fast zum Poeten: «Ich möchte weiterhin der Schönheit des Lebens folgen.» Mindestens bis Ende Sommer wird er an der Universität Genf bleiben, was danach kommt? «Vielleicht bin ich jetzt an einem Punkt in meinem Leben, wo ich mich mit greifbareren Dingen beschäftigen muss.» Er habe eine Dissertation gemacht, weil er nach dem Master festgestellt hat, dass seine Fragen noch nicht beantwortet sind. Nach der Dissertation sind neue Fragen aufgetaucht. «Vielleicht kommt jetzt ein neues Abenteuer mit neuen Fragen, möglicherweise auch ausserhalb der akademischen Welt.»