Co-Benefits Gesundheit und Umwelt
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Gewisse Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ergeben auch gesundheitliche und indirekte wirtschaftliche Vorteile. Dieses Potenzial der Co-Benefits wird noch nicht ausreichend ausgeschöpft, dazu braucht es einen multidisziplinären Ansatz.
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Die Bewältigung der Klimakrise erfordert einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel. Politische Massnahmen und Veränderungen unserer Lebensweise werden jedoch durch strukturelle Hemmnisse, Schwierigkeiten bei der Finanzierung und psychologische Schranken behindert.1, 2, 3 Die notwendigen Veränderungen werden häufig als belastend oder als schädlich für die wirtschaftlichen Interessen gewisser Teile der Gesellschaft empfunden.
Allerdings können die in den Klimastrategien enthaltenen Massnahmen zur Verringerung von Umweltschäden auch direkte und indirekte positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Man bezeichnet diese als Co-Benefits. Umgekehrt können Massnahmen zur Gesundheitsförderung auch Co-Benefits in Bezug auf die Erhaltung der Umwelt ergeben. Solche Co-Benefits finden sich in verschiedenen Bereichen wie Mobilität, Ernährung oder Stadtplanung.
Die Bestimmung dieser Co-Benefits ermöglicht es, Ziele zu fördern und Massnahmen zusammenzuführen, die von verschiedenen Sektoren getragen werden. Das Aufzeigen der gesundheitlichen Vorteile von Umweltmassnahmen kann auch dazu beitragen, verschiedene Hemmnisse für Veränderungen zu überwinden. In westlichen Ländern werden Klimabedrohungen sowohl zeitlich als auch räumlich immer noch als weit entfernt und abstrakt wahrgenommen. Die Betonung des direkten und unmittelbaren Nutzens von Massnahmen für die Betroffenen und die Allgemeinheit kann die Legitimität und Akzeptanz politischer Bestimmungen erhöhen.1
Eine bessere Berücksichtigung der kurz- oder mittelfristigen Co-Benefits auf die Gesundheitskosten könnte die unmittelbaren Kosten von Klimastrategien rechtfertigen. Der Sektor der öffentlichen Gesundheit würde von einer besseren Zusammenarbeit mit den Nachhaltigkeitseinheiten und gemeinsamen strukturellen Massnahmen profitieren.
Beispiele aus der Praxis
Die Förderung einer Verlagerung des Verkehrs vom Auto auf aktive Mobilitätsformen (Fahrrad, zu Fuss gehen) ist eine wichtige Massnahme in den Klimastrategien der Städte und Kantone. Aktive Mobilität reduziert die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen und verringert gleichzeitig die Luftverschmutzung, die Überlastung der Innenstädte und der öffentlichen Verkehrsmittel. Obwohl aktive Mobilität eine eigene Infrastruktur erfordert, kostet sie die Gemeinden deutlich weniger als andere Verkehrsformen. Dies gilt insbesondere, wenn man die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit mit einbezieht.
Tatsächlich zeigen mehrere Studien, dass regelmässige körperliche Aktivitäten mit einer Verringerung von Herz-Kreislauf- und Krebs-Erkrankungen und Todesfällen jeglicher Ursachen einhergehen.4, 5, 6 Viele Nutzerinnen und Nutzer betonen auch die positiven Einflüsse des Radfahrens auf die Psyche: Das Fahren bietet einen Moment der Entschleunigung und ist eine positive sensorische Erfahrung der Umgebung.7 Eine sichere und durchgängige Fahrradinfrastruktur ist jedoch notwendig, um die Nutzerschaft in Bezug auf Geschlecht, Alter, Fähigkeiten und Motivation zu vergrössern. In diesem Zusammenhang empfehlen mehrere Autorinnen und Autoren, die gesundheitlichen Auswirkungen der verschiedenen Verkehrsmittel in die Budgetbewertungen politischer Mobilitätsstrategien einzubeziehen.8
Eine französische Studie schätzt beispielsweise, dass ein mit dem Fahrrad zurückgelegter Kilometer in Frankreich die Gesundheitskosten um einen Euro senken kann. Laut derselben Studie würde eine Verlagerung von 25 Prozent der Kurzstreckenfahrten (< 5 km) vom Auto auf das Fahrrad 1800 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verhindern. Hinzu kämen eine Reduzierung der Gesundheitskosten um 2,6 Milliarden Euro und eine Einsparung von 250 000 Tonnen CO2-Emissionen.9 Eine schwedische Studie schätzt, dass eine Investition von 100 Millionen Euro in die Fahrradinfrastruktur in Stockholm zwischen 2018 und 2030 zu einer jährlichen Senkung der Gesundheitskosten um 12,5 Millionen Euro führen würde.10 Die Anerkennung des potenziellen Gesundheitsgewinns durch die Förderung aktiver Mobilität könnte ein Engagement des öffentlichen Gesundheitswesens für Fahrrad- und Fussgängerinfrastrukturen rechtfertigen.
In der klinischen Praxis ist die motivierende Gesprächsführung eine anerkannte Strategie, um Verhaltensänderungen zu initiieren. Sie wird im Rahmen der individualisierten Gesundheitsförderung empfohlen. Pflegekräfte könnten dazu beitragen, die aktive Mobilität aufzuwerten, indem sie die gesundheitlichen Vorteile gegenüber ihren Patientinnen und Patienten hervorheben. Allerdings hängt die Wirksamkeit solcher Interventionen zum Teil von der Qualität der vorhandenen Infrastruktur ab. Zudem ist unklar, wie die Co-Benefits in einem individuellen Pflegeansatz angegangen werden sollen. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob es sinnvoll ist, Umweltargumente zu bemühen, oder ob es besser ist, sich auf Gesundheitsargumente zu beschränken.
Gemeinsame Forschung noch selten
Allerdings gibt es noch wenig Studien, die gleichzeitig die Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt erforschen. Die Entwicklung dieser neuen Art von Forschung erfordert einen integrierten interdisziplinären Ansatz und die Entwicklung neuer «zweiköpfiger» Outcome-Messungen.6, 11
Die Herausforderungen des ökologischen Übergangs sind gross. Entsprechend müssen ökologische, sozioökonomische und gesundheitliche Ziele miteinander abgestimmt und entsprechende Synergien genutzt werden. In wirtschaftlicher Hinsicht würde eine bessere Berücksichtigung der kurz- oder mittelfristigen Co-Benefits die für die Umweltpolitik notwendigen Investitionen rechtfertigen.
In der Praxis bleiben die Co-Benefits, die Nachhaltigkeit und Gesundheit unterschwellig verbinden, wenig genutzt, obwohl sie neue Kooperationen stärken würden. Viele Autorinnen und Autoren bedauern die ungenutzten Möglichkeiten für das öffentliche Gesundheitswesen und die Medizin.9, 12 Die Umsetzung gemeinsamer Strategien scheitert an der abgeschotteten Arbeitsweise vieler Institutionen.
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Julia Gonzalez Holguera und Nicolas Senn forschen an der Abteilung für Hausarztmedizin des Universitätszentrums für Allgemeinmedizin und öffentliche Gesundheit Unisanté in Lausanne und für die Plattform Nachhaltigkeit und Gesundheit der Universität Lausanne.
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Referenzen
[1] Karlsson, M.; Alfredsson, E.; Westling, N. Climate Policy Co-Benefits: A Review. Clim. Policy 2020, 20 (3), 292–316. https://doi.org/10.1080/14693062.2020.1724070.
[2] Gifford, R. The Dragons of Inaction: Psychological Barriers That Limit Climate Change Mitigation and Adaptation. Am. Psychol. 2011, 66 (4), 290–302. https://doi.org/10.1037/a0023566.
[3] Maiella, R.; Verrocchio, M. C. The Psychological Distance and Climate Change: A Systematic Review on the Mitigation and Adaptation Behaviors. Frontiers in Psychology. 2020. https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2020.568899/full (accessed 2024-05-27).
[4] Caba-Flores, M. D.; Martínez-Valenzuela, C.; Cárdenas-Tueme, M.; Camacho-Morales, A. Micro Problems with Macro Consequences: Accumulation of Persistent Organic Pollutants and Microplastics in Human Breast Milk and in Human Milk Substitutes. Environ. Sci. Pollut. Res. 2023, 30 (42), 95139–95154. https://doi.org/10.1007/s11356-023-29182-5.
[5] Hamer, M.; Chida, Y. Active Commuting and Cardiovascular Risk: A Meta-Analytic Review. Prev. Med. 2008, 46 (1), 9–13. https://doi.org/10.1016/j.ypmed.2007.03.006.
[6] Michel, S.; Banwell, N.; Senn, N. Mobility Infrastructures and Health: Scoping Review of Studies in Europe. Public Health Rev. 2024, 45, 1606862. https://doi.org/10.3389/phrs.2024.1606862.
[7] Krizek, K. J. Measuring the Wind through Your Hair? Unravelling the Positive Utility of Bicycle Travel. Res. Transp. Bus. Manag. 2018, 29, 71–76. https://doi.org/10.1016/j.rtbm.2019.01.001.
[8] Health Economic Assessment Tool (HEAT) for Walking and Cycling, 2014 World Health Organization Europe.
[9] Schwarz, E.; Leroutier, M.; Nazelle, A. D.; Quirion, P.; Jean, K. The Untapped Health and Climate Potential of Cycling in France: A National Assessment from Individual Travel Data. Lancet Reg. Health – Eur. 2024, 39. https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2024.100874.
[10] Kriit, H. K.; Williams, J. S.; Lindholm, L.; Forsberg, B.; Nilsson Sommar, J. Health Economic Assessment of a Scenario to Promote Bicycling as Active Transport in Stockholm, Sweden. BMJ Open 2019, 9 (9), e030466. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2019-030466.
[11] Banwell, N.; Michel, S.; Senn, N. Greenspaces and Health: Scoping Review of Studies in Europe. Public Health Rev. 2024, 45, 1606863. https://doi.org/10.3389/phrs.2024.1606863.
[12] de Nazelle, A.; Roscoe, C. J.; Roca-Barcelό, A.; Sebag, G.; Weinmayr, G.; Dora, C.; Ebi, K. L.; Nieuwenhuijsen, M. J.; Negev, M. Urban Climate Policy and Action through a Health Lens—An Untapped Opportunity. Int. J. Environ. Res. Public. Health 2021, 18 (23), 12516. https://doi.org/10.3390/ijerph182312516.