Zwischen Angst und Aktivismus
ProClim Flash 79
Klimaextreme wie heisse Sommer und Überschwemmungsfrühjahre bedrohen auch unsere geistige Gesundheit. Das kann sich in einer Klimaangst äussern. Wir müssen uns physisch und psychisch wappnen, um einen gesunden Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels zu finden.
Text: und
Nahezu täglich begegnen uns solche Schlagzeilen: «Die Klimakatastrophe lässt sich nicht mehr stoppen. Wie wir mit der Hitze leben können».1 Der Klimawandel ist zurück auf der medialen Agenda, angetrieben von wissenschaftlichen Warnungen und den zunehmenden Auswirkungen extremer Wetterereignisse. Diese Phänomene betreffen inzwischen nicht mehr nur den globalen Süden: Auch in der Schweiz erleben die Menschen vermehrt die negativen Folgen von Überschwemmungen oder Hitzewellen, welche die körperliche und psychische Gesundheit beeinträchtigen.
Man muss nicht unmittelbar von einer Naturkatastrophe betroffen sein, um die psychologischen Auswirkungen des Klimawandels zu spüren. Die mediale Berichterstattung über solche Ereignisse und die scheinbare Ausweglosigkeit der Klimakrise lösen starke Emotionen wie Sorge, Wut und Angst aus (siehe ProClim Flash-Ausgabe Nr. 74).2 Wenn diese Gefühle zu einer überwältigenden Angst vor der Zukunft werden, sprechen wir von «Klimaangst». Diese Angst ist keine blosse Theorie: Sie ist real und betrifft bereits heute viele Menschen weltweit. Laut einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2022 in Grossbritannien leidet bereits jeder und jede Zehnte unter 30 Jahren an einer mehr als nur leichten Klimaangst.2
Noch nicht eindeutig definiert
Obwohl es noch keine eindeutige Definition von Klimaangst gibt, lässt sie sich als «anhaltende Angst und Sorge über den Klimawandel, die schwer zu kontrollieren ist», beschreiben.3 Diese mangelnde Kontrolle über die Angst stellt den ersten entscheidenden Aspekt dar, der Klimaangst von einem milderen Besorgtseinsgefühl unterscheidet. Zudem geht sie mit «emotionalen, kognitiven, physiologischen und verhaltensbezogenen Indikatoren einher». Das bedeutet, dass sich diese Ängste und Sorgen auch in körperlichen Reaktionen wie Muskelanspannung, Magenbeschwerden, Übelkeit, Schlafstörungen und Unruhe äussern. Etwa 45 Prozent der 16- bis 25-Jährigen berichten gemäss einer globalen Studie, dass ihre negativen Gefühle bezüglich des Klimawandels ihren Alltag belasten – sei es in der Schule, bei der Arbeit, beim Schlafen oder in ihren sozialen Beziehungen.4 Eine ausgeprägte Klimaangst schränkt die Betroffenen also zusätzlich zu den körperlichen Reaktionen auch in ihrer Fähigkeit ein, den Alltag zu bewältigen.
Das Dilemma der Klimaangst
Klimaangst kann einerseits als natürliche Reaktion auf die existenzielle Bedrohung der Klimakrise verstanden werden, zum anderen jedoch auch mit einem hohen Leidensdruck einhergehen. Evolutionär gesehen ist Furcht eine adaptive Stressreaktion des Körpers, die uns darauf vorbereitet, einer Gefahrenquelle zu begegnen («Fight-or-Flight»). Klimaangst kann die Menschen also zu klimafreundlichem Handeln und Aktivismus motivieren, als Antwort auf die Gefahr des Klimawandels. Doch während dieser motivierende Effekt bei moderaten Ängsten festgestellt wird,5 führen hohe Angstniveaus oft zu einer Art Lähmung, bekannt als «Eco-Paralysis». Wenn Menschen starken Leidensdruck empfinden, der ihre alltäglichen Aktivitäten beeinträchtigt, ist Handeln erforderlich. Es ist bisher jedoch nicht eindeutig geklärt, ob Klimaangst als eigenständige psychische Erkrankung betrachtet werden sollte, da die zugrunde liegende Bedrohung, der Klimawandel, real ist. Dennoch gibt es Zusammenhänge zwischen starker Klimaangst und Depressionen sowie anderen psychischen Erkrankungen.6
Kollektives Handeln als Schutzfaktor
Wenn das Gefühl entsteht, man könne nichts mehr zur Aufhaltung des Klimawandels beitragen oder – schlimmer noch – jede alltägliche Handlung befeuere die Krise, können Menschen in eine Art Schockstarre verfallen. Doch gerade das Handeln, insbesondere das gemeinsame Handeln, ist ein Schutzfaktor vor psychischen Folgeerkrankungen.6, 7 Mehr noch: Studien zeigen, dass umweltfreundliches Handeln unter anderem mit Zufriedenheit und Freude zusammenhängt. Sogar bei Personen, die den Klimawandel als besonders bedrohlich empfinden, lindert das eigene Engagement Stress und depressive Symptome.8 Voraussetzung für diese positiven Auswirkungen ist allerdings das Gefühl der Selbstwirksamkeit – also das Gefühl, mit dem eigenen Verhalten etwas bewirken zu können. Natürlich kann man sich in Bezug auf sein eigenes, individuelles Verhalten wirksam fühlen. Vielmehr entsteht dieses Gefühl allerdings, wenn man in einer Gemeinschaft handelt, zum Beispiel bei einer Demonstration.
Individuelle Bewältigungsstrategien
Neben kollektivem Handeln können Gespräche mit Freundinnen, Freunden und Familie helfen, vorausgesetzt, diese nehmen die Sorgen und Ängste ernst. Tritt kurzfristig Angst auf, etwa durch das Lesen eines Zeitungsartikels, haben sich Atem- und Achtsamkeitsübungen als hilfreich erwiesen. Dabei bieten Apps oder Videoanleitungen wertvolle Unterstützung. Je regelmässiger diese Übungen in den Alltag integriert werden, desto wirkungsvoller sind sie.
Erscheint die Angst jedoch übermächtig und beeinträchtigt sie die Lebensfreude sowie die Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Eine erste Anlaufstelle können die «Psychologists for Future» sein. Diese ehrenamtliche Gruppe bietet zahlreiche Beratungsangebote an und kann auch an erfahrene Kolleginnen und Kollegen vermitteln.
Resilienz entwickeln
Wir haben verschiedene Möglichkeiten, uns den psychischen Herausforderungen der Klimakrise zu stellen. Um negativen Emotionen zu begegnen, sind der Austausch mit anderen sowie Atem- und Achtsamkeitsübungen wichtig. Eine ausgewogene Klimakommunikation, die sowohl Probleme als auch Fortschritte hervorhebt, kann Optimismus fördern und zum aktiven Handeln motivieren. Indem wir uns gegenseitig unterstützen und kollektiv für den Klimaschutz eintreten, können wir die psychischen Belastungen mindern und gleichzeitig zu einem Wandel in der Gesellschaft beitragen. Jeder Schritt in Richtung einer klimafreundlichen Zukunft ist letztlich ein Beitrag an ein gesünderes und erfüllteres Leben – für uns selbst und für kommende Generationen.
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Jessica Helm und Anne Günther promovieren an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel. Sie befassen sich unter anderem mit der Wahrnehmung des Klimawandels sowie mit Anreizen zur Verhaltensänderung und den zugrunde liegenden Faktoren und Prozessen. Zudem forschen sie zu den Auswirkungen von Klimaangst auf das Verhalten und unterstützen in diesem Kontext beispielsweise Studierende mit Workshops zum Umgang mit Klimaangst.
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Referenzen
[1] Neue Zürcher Zeitung, 15.07.2023, https://www.nzz.ch/schweiz/die-klimakatstrophe-laesst-nicht-mehr-stoppen-wie-wir-mit-der-hitze-leben-koennen-ld.1783025
[2] Whitmarsh, L., Player, L., Jiongco, A., James, M., Williams, M., Marks, E., & Kennedy-Williams, P. (2022). Climate anxiety: What predicts it and how is it related to climate action? Journal of Environmental Psychology, 83, 101866. https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2022.101866
[3] van Valkengoed, A. M., Steg, L., & de Jonge, P. (2023). Climate Anxiety: A Research Agenda Inspired by Emotion Research. Emotion Review, 17540739231193752. https://doi.org/10.1177/17540739231193752
[4] Hickman, C., Marks, E., Pihkala, P., Clayton, S., Lewandowski, R. E., Mayall, E. E., Wray, B., Mellor, C., & Susteren, L. (2021). Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: A global survey. The Lancet Planetary Health, 5(12), 863–873. https://doi.org/10.1016/s2542-5196(21)00278-3
[5] Ogunbode, C. A., Doran, R., Hanss, D., Ojala, M., Salmela-Aro, K., Den Broek, K. L., Bhullar, N., Aquino, S. D., Marot, T., Schermer, J. A., Wlodarczyk, A., Lu, S., Jiang, F., Maran, D. A., Yadav, R., Ardi, R., Chegeni, R., Ghanbarian, E., Zand, S., & Karasu, M. (2022). Climate anxiety, wellbeing and pro-environmental action: Correlates of negative emotional responses to climate change in 32 countries. Journal of Environmental Psychology, 84, 101887. https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2022.101887
[6] Schwartz, S. E. O., Benoit, L., Clayton, S., Parnes, M. F., Swenson, L., & Lowe, S. R. (2023). Climate change anxiety and mental health: Environmental activism as buffer. Current Psychology, 42(20), 16708–16721. https://doi.org/10.1007/s12144-022-02735-6
[7] Reser, J. P., Bradley, G. L., Glendon, A I., Ellul, M. C., Callaghan, R. (2012). Public Risk Perceptions, Understandings, and Responses to Climate Change and Natural Disasters in Australia, 2010 and 2011. National Climate Change Adaptation Research Facility, Gold Coast pp.2468
[8] Clayton, S. (2020). Climate anxiety: Psychological responses to climate change. Journal of Anxiety Disorders, 74, 102263. https://doi.org/10.1016/j.janxdis.2020.102263