Weshalb kommt die Forschung nicht ohne Tierversuche aus?
Die biomedizinische Forschung ist nach wie vor auf Labortiere angewiesen, um einerseits Grundlagenforschung zu betreiben und andererseits weiterhin wirksame und sichere Medikamente, Impfstoffe und andere Behandlungen entwickeln zu können. Die sogenannte klinische Forschung stützt sich wiederum auf die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung. Zudem gibt es wissenschaftliche Fragestellungen, die sich derzeit nicht durch Alternativmethoden erforschen lassen.
Trotz gegenteiliger Behauptungen geben Tierversuche mehr Sicherheit. Ohne sie müsste man zum Beispiel Medikamente, deren Wirkung man in Zellkulturen oder Computermodellen untersucht hat, direkt am Menschen erproben. Bei der Medikamentenprüfung geht es in erster Linie darum, Informationen über die Wirkungsweise und das Verhalten eines Wirkstoffs in einem Lebewesen zu gewinnen, der dem Menschen ähnlich ist. Es verbietet sich aus ethischen Gründen, Menschen dem Risiko solcher Tests auszusetzen. Das Risiko einer unerwünschten Wirkung eines Stoffes ist für Menschen sehr gross, wenn er nicht in Tierversuchen auf seine Unbedenklichkeit, d.h. Ungefährlichkeit, getestet wurde.
Erst wenn es genügend Informationen über die Wirkung und die Unbedenklichkeit gibt, die sich zudem auf Untersuchungen an mehreren Tierarten stützen, lassen sich einigermassen gesicherte Schlüsse auf die Wirkung beim Menschen ziehen. Zwar bedeutet dies keine 100-prozentige Gewähr für die Sicherheit einer Substanz im menschlichen Körper, bewahrt aber menschliche Testpersonen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor nicht vertretbaren, massiven Nebenwirkungen.
Welche Ärztin oder welcher Arzt würde ausserdem das Risiko eingehen wollen, in einem Menschen beim Test einer neuen Substanz lebensbedrohliche Schäden zu verursachen? Welche Versuchspersonen wären bereit, ein Medikament einzunehmen, dessen Sicherheit und Wirksamkeit nicht zuvor in einem Gesamtorganismus, d.h. im Tierversuch, getestet wurde? Zum Schutz des Menschen sind solche Schritte gesetzlich vorgeschrieben; sie verlangen, dass neue Arzneimittel und chirurgische Behandlungen zunächst an Tieren getestet werden, bevor sie unter hohen Sicherheitsauflagen an Menschen erprobt werden können. Diese weltweit gültigen ethischen Grundsätze der Humanmedizin sind nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellt worden (Nürnberger Kodex; heute: Deklaration von Helsinki), damit nie mehr derartige Versuche am Menschen durchgeführt werden, wie das in Konzentrationslagern in Nazi-Deutschland geschehen ist.
An Zell-oder Gewebekulturen lassen sich immer nur Teilaspekte der Wirkung eines Arzneimittels erforschen. Diese Teilaspekte werden im Rahmen der Medikamentenentwicklung auch mit solchen in vitro-Methoden untersucht. Das reicht aber meist nicht aus. Der Körper ist hoch komplex zusammengesetzt; die verschiedenen Organe, Zellen, Stoffwechsel- oder Hormonsysteme sind dabei in unendlich vielen «Feedbackschlaufen» miteinander verbunden. Für die Sicherheit der Patientinnen und Patienten und für die Entwicklung besserer Behandlungsmethoden ist es deshalb wichtig, dass ein Medikament oder eine bestimmte Behandlung im Körper selbst getestet wird. Denn ein Medikament kann zum Beispiel eine andere Wirkung auf das Herz haben, wenn ein Teil des Wirkstoffes in der Leber verändert worden ist. Daher ist die Erforschung von Substanzen im lebenden Körper unerlässlich.