Tierversuche, darf man das? Im Webportal geben Forscherinnen und Forscher der Gesellschaft für Versuchstierkunde Antworten aus ihrer Sicht auf häufig gestellte Fragen.

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Welche Fortschritte waren dank Tierversuchen möglich?

Nachwuchs im Labor
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Praktisch alle Medikamente und sehr viele Medizinalprodukte, die heute verfügbar sind, wurden mit Hilfe von Tierversuchen entwickelt. Ausnahmen sind homöopathische Mittel, für die aber weder die Wirksamkeit noch die Sicherheit bewiesen werden musste. Millionen von Patientinnen und Patienten profitieren daher von den Ergebnissen der Forschung mit Tierversuchen. Dank Tierversuchen konnten zum Beispiel Antibiotika, Insulin, Impfstoffe oder Heparin entdeckt und Organtransplantationen, chirurgische Techniken oder Implantate entwickelt werden. Von diesen Ergebnissen profitieren auch tierische Patienten.

Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass in früheren Jahrzehnten etwa die Kinderlähmung ein grosses Gesundheitsproblem war, das erst durch Forschung, die auch Tierversuche beinhaltete, und der daraus resultierenden Impfung gelöst wurde. Ebenso können heute aufgrund der Forschung und dem Einsatz von Tierversuchen rund 80 Prozent der an Leukämie erkrankten Kinder geheilt werden.

Seit 1900 wurde der Nobelpreis für Physiologie und Medizin rund 70-mal an Forscherinnen und Forscher vergeben, deren bahnbrechende Erkenntnisse auch mit Hilfe von Tierversuchen gewonnen wurden. Dazu zählen zum Beispiel die Entdeckung des Insulins und Penicillins, der Mechanismen der AIDS-Infektion oder Erkenntnisse über das Immunsystem oder das Gehirn.

Welche konkreten Therapien verdanken wir Tierversuchen?

Bei den meisten Medikamenten haben Untersuchungen an Tieren eine Rolle gespielt. Zwei Beispiele sind das Penicillin, dessen Entdeckung die Entwicklung der Antibiotika erst möglich machte, und das Insulin. Erst als man seine Rolle bei der Regulation des Blutzuckerspiegels verstand, war eine Behandlung von Diabetes möglich.

Penicillin
Der schottische Wissenschafter Alexander Fleming entdeckte 1928 in einer mit Schimmelpilzen verunreinigten Reagenzschale, dass dort, wo die Pilze wuchsen, die Bakterien nicht überlebten. Das war der Beginn der Erfolgsgeschichte der Antibiotika und des Wirkstoffs Penicillin im Speziellen. Die ersten Versuche, die zeigten, dass Penicillin tatsächlich eine bakterielle Infektion heilen kann, wurden 1940 an Mäusen durchgeführt. Die Tiere überlebten dank des Penicillins eine sonst tödliche Infektion mit Streptokokken. Solche Versuche mit Menschen durchzuführen, verbietet sich aus ethischen Gründen. Mäuse als Versuchstiere waren also unersetzlich, um die Wirksamkeit von Penicillin nachzuweisen. Ein Jahr später wurde es erstmals bei einem Menschen eingesetzt, und seither sind Antibiotika fester Bestandteil der Human- und auch der Veterinärmedizin.

Insulin
Die Wirkung von Insulin zur Behandlung von Unterzuckerung wurde in Untersuchungen mit Hunden entdeckt. Lange Zeit wurde Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von geschlachteten Rindern und Schweinen gewonnen. Heute wird es hauptsächlich mit gentechnisch veränderten Hefen und Bakterien hergestellt. Insulin wird ebenfalls mit Erfolg in der Veterinärmedizin eingesetzt, um etwa Hunde zu behandeln, die an Diabetes leiden.

Covid-19-Impfstoffe
Die Tierforschung hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Forschenden SARS-CoV-2 selbst, die Mechanismen seiner Übertragung sowie die Sicherheit und Effizienz aller bisher hergestellten Impfstoffe verstehen und so dem Ende der Covid-19-Pandemie einen Schritt näherkommen. Die Tierforschung hat über Jahre den Weg für die Grundlagenforschung und die Entwicklung von Medikamenten geebnet. Mausmodelle, die zur Untersuchung der Krankheit verwendet wurden, waren bereits Jahre vor Auftreten von Covid-19 für die Untersuchung anderer Coronaviren entwickelt worden. Für die Entwicklung der Impfstoffe wurden Tests an genetisch veränderten Mäusen, an Ratten, Frettchen, Hamstern, Hunden und Affen durchgeführt. Frettchen und Hamster können sich mit Coronaviren infizieren und zeigen ähnliche Symptome wie der Mensch. Hunden konnten darauf trainiert werden, Menschen mit einer Covid-19-Infektion mit Hilfe ihres Geruchssinns zu identifizieren, und dank ihrer Ähnlichkeit mit dem Menschen sind Affen auch hier ein wertvolles Modell, um zu verstehen, wie das Virus das Immunsystem beeinflusst. Während die meisten Forschungsarbeiten mit Rhesusaffen durchgeführt werden, um die Funktionsweise des Virus zu verstehen, wurden im Ausland auch Paviane eingesetzt, um die möglichen Folgen einer Covid-19-Infektion bei älteren Menschen oder bei Patienten mit Grunderkrankungen zu untersuchen.

HIV-Behandlung
Die Behandlung von Humane Immundefizienz-Virus (HIV) wäre ohne Tierversuche nie zustande gekommen. Die HIV-Pandemie hat seit Anfang der 1980er Jahre schätzungsweise 39 Millionen Menschenleben gefordert. Heute lässt sich eine HIV-Infektion mit einer Kombination von über 20 verschiedenen Medikamente behandeln. Diese Kombinationstherapie muss ein Leben lang eingenommen werden, aber dank dieser Behandlung ist eine HIV-Infektion heute kein Todesurteil mehr.

Implantate und Medizinalgeräte
Tierversuche wurden für die Entwicklung verschiedenster Implantate verwendet. Orthopädische Implantate finden Verwendung, wenn die Wirbelsäule oder die Gliedmassen durch Verletzungen, degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparats, Infektionen oder angeborene Störungen geschädigt wurden. Orthopädische Implantate für Menschen werden oft an grösseren Nutztieren wie Schafen getestet. Sogenannte Cochlea-Implantate, mit derer Hilfe Menschen mit Hörproblemen durch elektrische Stimulation für die Hörschnecke, wieder hören können, wurden mit Hilfe von Versuchen an Katzen und Primaten entwickelt. Versuche an Tieren haben Innovationen in der Medizintechnik wie zum Beispiel die Entwicklung künstlicher Herzklappen und Herzschrittmacher erlaubt, welche heute zum medizinischen Standard gehören und nicht mehr wegzudenken sind.

Krebsbehandlung
Krebs gehört zu den komplexesten Erkrankungen für Forschende in der Biomedizin, da er verschiedenste Erscheinungsformen aufweist, unterschiedliche Organe und Gewebe betrifft und eine Vielzahl von Ursachen haben kann. Für die Krebsforschung, welche im verganenen Jahrhundert erhebliche Fortschritte gemacht hat, kommen überwiegend Mäuse, Ratten und andere kleine Nagetiere zum Einsatz. Die Maus ist mit Abstand das wichtigste Tiermodell in der Krebsforschung. Für die Entwicklung von Operationstechniken, Strahlentherapie und Chemotherapie waren und sind Tierversuche notwendig. Wirkstoffe, die das körpereigene Abwehrsystem gegen Krebs aktivieren oder die Vermehrung und Ausbreitung von Krebszellen im Körper hemmen, können nur in einem lebenden Organismus getestet werden. Heute sind dank dieser Forschung bis zu 90 Prozent der Frauen, die an Brustkrebs erkranken, mindestens fünf Jahre nach der Diagnose noch am Leben.

Ferkelkastration
Die meisten für die Mast bestimmten männlichen Ferkel werden heute chirurgisch kastriert, da das Fleisch männlicher Schweine unter Umständen einen sehr unangenehmen Geruch entwickeln kann und deshalb als nicht verkäuflich gilt. Bis Ende 2009 war diese Kastration bei jüngeren Ferkeln auch ohne Betäubung erlaubt. Heute muss die Kastration unter Vollnarkose durchgeführt werden, oder den Ferkeln wird eine Impfung verabreicht, welche eine begrenzte Unterdrückung der Hodenfunktion bewirkt. Die Entwicklung dieser Verfahren wurden in Tierversuchen getestet.

Wie wichtig sind Tierversuche für die Forschung?
Wie wichtig sind Tierversuche für die Forschung?Bild: www.tierversuche-verstehen.de