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Wege zu einer nachhaltigen Gesellschaft

ProClim Flash 72

Für eine erfolgreiche gesellschaftliche Transformation ist das Zusammenspiel aller Interessensgruppen notwendig. Wer kann was dazu beitragen und welche Rolle spielen dabei die Wissenschaften? Ein Einblick aus Forschungssicht.

ProClim Flash 72: Wege zu einer nachhaltigen Gesellschaft
Bild: ProClim

Text: Michael Stauffacher, Co-Direktor des Transdisziplinaritätslabors (TdLab) am Departement Umweltsystemwissenschaften, ETH Zürich

Die aktuellen ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen machen einen gesellschaftlichen Wandel für eine nachhaltige Entwicklung unerlässlich. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus Deutschland hat dabei folgende zentrale Faktoren für einen erfolgreichen Wandel identifiziert: ein gesellschaftlicher Wertewandel, die technologische Entwicklung, die Finanzierung und die notwendigen politischen, ökonomischen und rechtlichen Steuerungsinstrumente.1 Die Wissenschaften können diese Transformationen dabei sowohl systematisch beobachten und daraus gezielt Lehren ziehen (Transformationsforschung) als auch Transformationen durch Innovationen und Pilotanwendungen anstossen und fördern (Transformative Forschung) (siehe Teaserbild [Abbildung 1]).

Breiter wissenschaftlicher Diskurs

Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 und den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen wurde dieses Thema wieder vermehrt diskutiert.2,3 Die Wissenschaften sollen dabei mögliche Zukunftspfade – in enger Abstimmung mit der Bevölkerung und Interessensgruppen – mitentwickeln und testen.2

Es genügt jedoch nicht, zu verstehen, wie unsere Umwelt- und Humansysteme funktionieren. Es braucht auch Vorstellungen dazu, in welche Richtung sich diese Systeme entwickeln müssen und wie die dazu notwendigen Wege aussehen können. Dazu muss nebst System- und Ziel- auch Transformationswissen generiert werden (siehe Abbildung 2).4 Diese drei Wissensformen werden in der transdisziplinären Forschung verfolgt, die mit dem td-net der Akademien der Wissenschaften Schweiz und vielen Forschenden auch in der Schweiz eine wichtige Bedeutung hat.5,6

Dieser Diskursstrang wird jedoch auch kritisiert: Es wird vor einer technokratischen, verwalterischen Transformation gewarnt. So sollen erst tiefer liegende Ursachen, die einen Wandel behindern, wie Wachstumslogik und Kolonialismus, angegangen werden.7 Ebenso sollen Kreativität, Befähigung, Solidarität – und damit Handlungsfähigkeit – gefördert werden, um so ein breit abgestütztes, gesellschaftliches Engagement für eine Transformation zu ermöglichen. Und dies geht weit darüber hinaus, nur System-, Ziel- und Transformationswissen zu generieren.7

Gemeinsamer Lernprozess

Die Frage, wie Transformation überhaupt zustande kommt, wird sehr unterschiedlich verstanden, wobei grundsätzlich drei Ansätze unterscheiden werden: So beschäftigen sich strukturelle Ansätze mit der Frage nach grundlegenden Veränderungen bei Produktion und Konsum. Systemische Ansätze fokussieren auf das Zusammenspiel von Institutionen, Technologien und Akteurskonstellationen. Und bei Befähigungsansätzen werden die Handlungsfähigkeit und die Werte von Akteurinnen und Akteuren gezielt angesprochen.8 Allen diesen Ansätzen ist gemein, dass sie nicht davon ausgehen, dass eine Akteurin oder ein Akteur – zum Beispiel der Staat – eine Transformation alleine anstossen und steuern kann. Es erfordert vielmehr das Zusammenspiel unterschiedlicher Interessensgruppen und koordinierter Anstrengungen.

Sich zum Beispiel bei der Transformation des Energiebereichs ausschliesslich auf technologische Innovationen zu fokussieren, wird der Komplexität der Anforderungen nicht gerecht. So können zum Beispiel Energieangebot und -nachfrage nicht getrennt betrachtet werden: Sie entwickeln sich in wechselseitiger Abhängigkeit und müssen somit als sozio-technische Systeme analysiert und auch transformiert werden.9 Neue Technologien erfordern neue Handlungspraktiken, neue soziale Normen und Fertigkeiten, was sich nicht verordnen lässt, sondern einen Prozess des Experimentierens und Lernens erfordert.

Die Rollen des Staates, und die entsprechenden Erwartungen in der Gesellschaft, müssen ebenso diskutiert und transformiert werden. Ein gemeinsamer Lernprozess ist auch hier notwendig. Der Staat soll primär als «Ermöglicher» dienen, indem er innovative gesellschaftliche Nischen ermöglicht und schützt.10 Doch der Staat kann nicht alleiniger Initiator sein: Es braucht auch soziale Bewegungen, die den Staat oft erst dazu bringen, entsprechend der Notwendigkeiten der Transformation zur nachhaltigen Entwicklung zu handeln.11

Gesellschaftliche Initiativen bieten Potenzial

Viel Hoffnung wird auf die Zivilgesellschaft mit ihren Initiativen wie Wohnbaugenossenschaften, «Transition Towns» oder andere Graswurzelbewegungen gelegt.12 In solchen Nischen werden andere Lebensformen, neue Technologien und somit Entwicklungskerne einer gesellschaftlichen Transformation in der Praxis sichtbar. Wie diese aber breit in der Gesellschaft Wirkung entfalten können, ist noch weitgehend ungeklärt. Insbesondere auch, weil viele dieser Initiativen nicht systematisch beobachtet und analysiert werden und somit nicht genügend breit daraus gelernt werden kann. Eine verstärkte Koordination von zivilgesellschaftlichen und anderen Transformationsinitiativen mit wissenschaftlicher Forschung bietet hier sicherlich grosses Potenzial.

Und damit sind wir wieder bei den Wissenschaften angelangt. Eine mögliche Rolle kann in der Mitgestaltung von sogenannten Reallaboren13 liegen. Hier arbeiten die angesprochenen Interessensgruppen wie Industrie, Staat, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam an konkreten gesellschaftlichen Transformationen für eine nachhaltige Entwicklung. Nur aus diesem Zusammenspiel werden die entsprechenden Lernprozesse angestossen, ermöglicht, unterstützt, systematisch analysiert, vertieft und weitergetragen. Transformative Lernprozesse, die notwendig sind, um die grosse Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung gemeinsam zu ermöglichen.

Transdisziplinaritätslabor (TdLab)

Das TdLab entwickelt und erprobt Lehr- und Forschungsansätze im Bereich der nachhaltigen Entwicklung, wobei insbesondere die interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen (Natur-, Technik-, Geistes- und Sozialwissenschaften) wie die transdisziplinäre Zusammenarbeit an der Schnittstelle Wissenschaft-Gesellschaft (Verwaltung, Politik, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft) im Zentrum stehen. Gemeinsam mit dem td-net der Akademien der Wissenschaften Schweiz hat das TdLab unter anderem eine Toolbox mit einfachen und breit erprobten Werkzeugen zur Gestaltung und Unterstützung von gemeinsamer Wissensproduktion von Wissenschaft und Gesellschaft entwickelt.

Mehr Informationen: tdlab.usys.ethz.ch

Referenzen

5Bergmann M, Jahn T, Knobloch T, Krohn W, Pohl C, Schramm E (2012) Methoden transdisziplinärer Forschung. Campus Verlag.

10Bornemann B, Ejderyan O, Stauffacher M, Wäger P (2018) Gesellschaftliche Transformation – welche Rolle(n) für den Staat? GAIA-Ecological Perspectives for Science and Society 27: 182–184.

6Hirsch Hadorn G, Hoffmann-Riem H, Biber-Klemm S, Grossenbacher-Mansuy W, Joye D, Pohl C, Zemp E (2008) Handbook of transdisciplinary research. Dordrecht: Springer.

7Kueffer, C, Schneider F, Wiesmann U (2019) Addressing sustainability challenges with a broader concept of systems, target, and transformation knowledge. GAIA-Ecological Perspectives for Science and Society 28: 386–388.

9Labanca N, Pereira ÂG, Watson M, Krieger K, Padovan D, Watts L, Fath BD (2020) Transforming innovation for decarbonisation? Insights from combining complex systems and social practice perspectives. Energy Research & Social Science 65: 101452. doi.org/10.1016/j.erss.2020.101452

3Messerli P, Kim EM, Lutz W, Moatti JP, Richardson K, Saidam M, Licona, GH (2019) Expansion of sustainability science needed for the SDGs. Nature Sustainability 2: 892–894.

13MWK-Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg (2013) Wissenschaft für Nachhaltigkeit. Herausforderung und Chance für das baden-württembergische Wissenschaftssystem. Stuttgart.

4ProClim (1997) Visionen der Forschenden. Forschung zu Nachhaltigkeit und Globalem Wandel – Wissenschaftspolitische Visionen der Schweizer Forschenden. ProClim – Forum for Climate and Global Change, Swiss Academy of Sciences, Bern.

2Sachs JD, Schmidt-Traub G, Mazzucato M, Messner D, Nakicenovic N, Rockström J (2019) Six transformations to achieve the sustainable development goals. Nature Sustainability, 2: 805–814.

8Scoones I, Stirling A, Abrol D, Atela J, Charli-Joseph L, Eakin H, van Zwanenberg P (2020) Transformations to sustainability: combining structural, systemic and enabling approaches. Current Opinion in Environmental Sustainability. doi.org/10.1016/j.cosust.2019.12.004

12Seyfang G, Smith A (2007) Grassroots innovations for sustainable development: Towards a new research and policy agenda. Environmental politics 16: 584–603.

11Smith SR, Christie I, Willis R (2020) Social tipping intervention strategies for rapid decarbonization need to consider how change happens. Proceedings of the National Academy of Sciences. www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.2002331117

1WBGU (2011) Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Grosse Transformation.

Permalink: proclim.ch/id/ivpka

Abbildung 2: Drei Arten von Wissen für eine nachhaltige Entwicklung: System-, Ziel- und Transformationswissen. (ProClim Flash 72)
Abbildung 2: Drei Arten von Wissen für eine nachhaltige Entwicklung: System-, Ziel- und Transformationswissen. (ProClim Flash 72)Bild: ProClim (1997), angepasst 2020 durch Hannah Ambühl, ProClim/SCNAT

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