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Klimagerechtigkeit ist Staatsaufgabe in Basel-Stadt

ProClim Flash 77

Das Stimmvolk in Basel-Stadt hat Klimagerechtigkeit in die Verfassung geschrieben. Einer Bewegungsinitiative gelang es, dass eine Mehrheit für netto Null bis 2030 stimmte. Was kann aus «Basel2030» gelernt werden?

Jubel im Basler Rathaus: Eine Mehrheit des Stimmvolks stimmte am 27. November 2022 für «Basel2030». Foto: Christian Jaeggi
Bild: Christian Jaeggi

Erfahrungsbericht/Meinungsbeitrag: Axel H. Schubert

Als am 27. November 2022 das Ergebnis zur kantonalen Volksinitiative «für ein klimagerechtes Basel (Klimagerechtigkeitsinitiative)» im Rathaus verkündet wurde, war die Freude bei den InitiantInnen gross. Das 1,5-Grad-Limit ist von nun an Leitlinie staatlichen Handelns. Der Staat ist verpflichtet, «effektive Massnahmen zu Klimaschutz und zum Schutz vor den Folgen der Klimaerhitzung» zu treffen. Er hat «im Sinne von Verursacherprinzip und umfassender Klimagerechtigkeit» zu handeln und muss sich dafür bei seinen Unternehmungen und Beteiligungen einsetzen – beispielsweise bei den Industriellen Werken Basel, der Kantonalbank oder dem EuroAirport. Zudem muss er sich beim Bund für entsprechende Rahmenbedingungen stark machen. Die Initiative, die mit knapp 57 Prozent angenommen wurde, fordert zudem verbindliche Absenkpfade für Netto-Null-Emissionen im Kanton bis 2030.1 Einzig hierin unterscheidet sich der Gegenvorschlag (64 Prozent), der per Stichfrage mit 62 Prozent siegte: Er sieht 2037 mit 5-Jahreszielen vor. Damit hat Basel-Stadt das strengste Klimaziel von Schweizer Städten und Kantonen.

Was waren beim Start im Herbst 2019 die Überlegungen für diese «Bewegungsinitiative»? Die InitiantInnen kamen aus der Klimabewegung, nicht von Parteien oder bestehenden Organisationen. Sie wollten mit Klimagerechtigkeit und netto Null bis 2030 zentrale Forderungen des Klimastreiks in die Politik tragen und einen gesellschaftspolitischen Diskurs zu Klima und Handlungsdringlichkeit anstossen – um die Routinen des «zu langsam» aufzubrechen.

2019 zielte Basel noch auf jährlich eine Tonne CO2 pro Kopf im Jahr 2050. Bis dahin will der Bundesrat mit seiner langfristigen Klimastrategie vom Januar 2021 Netto-Null-Emissionen. Leider wird aber ein national noch mögliches CO2-Budget offiziell nicht diskutiert. Gemäss einer gerechtigkeitstheoretisch fundierten Studie des HEKS ist es seit März 2022 aufgebraucht.2 So können mit netto Null bis 2050 die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen auch nicht erfüllt werden.3 Vielmehr wird mit «2050» die erdrückende Handlungsdringlichkeit verdrängt. Wie gelang es nun, in Basel eine Mehrheit hinter netto Null bis 2030 zu versammeln? Was kann aus den letzten drei Jahren gelernt werden? Erste Gedanken:

Forderungen nach raschem Klimaschutz und Klimagerechtigkeit werden breit unterstützt: Ein breit verankertes Initiativkomitee konnte schnell aufgestellt werden mit Personen aus Wissenschaft, Kirche, Architektur und Planung, Politik (lokal, national), Kultur, Gewerkschaften und dem Klimastreik. Weitere Unterstützende konnten gewonnen werden wie IPCC-HauptautorInnen, einer der Begründer des ökologischen Fussabdruckes, der Bischof von Basel, Menschen aus Ethik, Medizin, Klimabewegung, Transformationsforschung, Frauenstreik, lokalem Gewerbe, Vereinen, Parteien etc. Breite Allianzen zu suchen lohnt sich!1

«Organizing» ist essenziell: Die Aktivenbasis stetig auszubauen war zentraler Baustein der Kampagnenstrategie. Mit dem Klimastreik wurden Lokalgruppen in allen Quartieren aufgebaut. Eine Diversity-Gruppe bezog politisch marginalisierte Communities und Expats ein. Für Menschen ohne Stimmberechtigung wurde eine vielsprachige Petition lanciert. AktivistInnen der Berliner Initiative «Deutsche Wohnen & Co enteignen» wurden eingeladen, um von ihrem Erfolgsmodell der Haustürgespräche zu lernen. An mehreren Mobilisierungstagen waren die AktivistInnen von «Basel2030» im Kanton unterwegs und zogen von Tür zu Tür, um mit der Bevölkerung über Klimaerhitzung und Klimagerechtigkeit zu sprechen – mit grosser und überwiegend toller Resonanz.

Argumentieren und überzeugen tut not: Zugleich wurde politisch lobbyiert. Massgeblich aufgrund der Argumente der InitiantInnen wurde der vom Regierungsrat vorgelegte Gegenvorschlag (u.a. mit netto Null bis 2030 für die Verwaltung) durch die parlamentarische Kommission substanziell verschärft. Zudem fordert sie einen Klimaaktionsplan mit besonders starken Emissionsreduktionen in den kommenden Jahren. Kommission und Parlament empfahlen den Abstimmenden mehrheitlich, Gegenvorschlag und (!) Initiative anzunehmen. Soll in bestehenden Rahmenbedingungen nun das Mögliche möglich gemacht werden – wie z.B. die Elektrifizierung von Autos? Oder sind nicht gerade die Rahmenbedingungen des Möglichen zu verändern – z.B. durch die Gestaltung autofreier Nachbarschaften? Die AktivistInnen von «Basel2030» fordern hier eine entschiedene Umsetzung. Sie werden darum auch weiterhin aktiv bleiben.

Zielgruppenbezogen kommunizieren ist herausfordernd: Um in einer sozioökonomisch und nach Wertevorstellungen differenzierten Gesellschaft erfolgreich zu kommunizieren, wurden verschiedene Erzählungen zu Nutzen und Notwendigkeit der Initiative entwickelt. Das zielgruppendifferenzierte Platzieren dieser Botschaften kam aber unter anderem durch die beschränkten finanziellen Mittel etwas kurz. Abgeleitet wurden zudem die Kampagnenslogans, die mit «wir & jetzt!» und «weniger CO2 – mehr Zukunft!» auf eine positive Rahmung setzen.

Dringlichkeitsleugnung hat medial noch immer zu leichtes Spiel: GegnerInnen von Initiative und Gegenvorschlag, die kantonal kein besonderes Handlungserfordernis ausmachen, gelang es in den Medien immer wieder, netto Null bis 2050 als 1,5-Grad-kompatibel und «pariskonform» hinzustellen, ohne sich diesbezüglich rechtfertigen zu müssen. Hier sollten Medienschaffende herrschende Narrative weit kritischer hinterfragen – bislang ist dies noch viel zu sehr Aufgabe der Bewegungsarbeit.

Die Klimabewegung schenkt Hoffnung – und sie ist stärker als erwartet: Die Mobilisierungsfähigkeit von «Basel2030» wurde unterschätzt. Sie steht für das grosse Potenzial, das wir als Gesellschaft nutzen können – und müssen – auch über Basel hinaus! Klimaschutz ist nicht nur schnell voranzubringen, sondern sozialgerecht, gemeinsam und mit Lust auf eine bessere und andere Zukunft. Dann vermag Bewegung Kraft und Hoffnung zu schenken.

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Axel H. Schubert ist Mitinitiant der Klimagerechtigkeitsinitiative «Basel 2030», Dipl.-Ing. arch., Bauassessor und Stadtplaner FSU/SRL. An der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) leitet er den Fachbereich Nachhaltige Raumentwicklung und ist Dozent für Nachhaltigkeit.

Referenzen

[1] basel2030.ch
[2] sehen-und-handeln.ch/Klimabudget
[3] klimaverantwortungjetzt.ch/bundesrat-torpediert-parisabkommen

Jubel im Basler Rathaus: Eine Mehrheit des Stimmvolks stimmte am 27. November 2022 für «Basel2030». Foto: Christian Jaeggi
Jubel im Basler Rathaus: Eine Mehrheit des Stimmvolks stimmte am 27. November 2022 für «Basel2030». Foto: Christian JaeggiBild: Christian Jaeggi

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  • Klimapolitik