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Schweizer Alleingang ist nicht das Ziel

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Die zukünftige Schweizer Stromversorgung soll sicher und klimaneutral sein. Dieses Ziel alleine zu erreichen, wäre aber unrealistisch und teuer. Die Schweiz ist deshalb auf gute Beziehungen zu ihren Nachbarn angewiesen.

Ist ein Stromabkommen mit der Europäischen Union in Sicht? Für die Versorgungssicherheit, aber auch hinsichtlich des Netto-Null-Ziels ist die Schweiz auf gute Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten angewiesen. Foto: Pixabay
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Text: , Universität St. Gallen

Als Binnenland in der Mitte Europas ist die Schweiz bei der Energieversorgung stark mit den umliegenden Ländern vernetzt. Die Schweiz deckt aktuell etwa 75 Prozent ihres Energiebedarfs durch Importe aus dem Ausland.1 Schaut man sich nur die Stromversorgung an, so sieht die Situation anders aus: Im Jahr 2020 produzierten die Schweizer Versorger übers Jahr gesehen rund 10 Prozent mehr Strom, als im Inland verbraucht wurde.2 Allerdings produziert die Schweiz im Sommer einen erheblichen Überschuss an Strom, während die Produktion in den Wintermonaten nicht ausreicht, um die Nachfrage zu decken. Sie ist somit auf Stromimporte im Winter und -exporte im Sommer angewiesen. Zudem fungiert die Schweiz aufgrund ihrer zentralen Lage in Europa und mit 41 grenzüberschreitenden Stromverbindungsleitungen als wichtige Drehscheibe des Stromhandels. Die zunehmende Elektrifizierung und die fluktuierende Stromproduktion aus erneuerbaren Energien setzt auch in Zukunft eine gute Vernetzung voraus.

Strombedarf steigt in Zukunft

Die Energieperspektiven 2050+ des Bundesamtes für Energie vergleichen und beschreiben verschiedene Szenarien, wie das Netto­Null-Ziel der Energieversorgung bis 2050 zu erreichen ist.3 Im Szenario «ZERO Basis» geht man davon aus, dass der gesamte inländische Endenergieverbrauch auf 524 Petajoule sinken wird, das wären rund 31 Prozent weniger als 2019. Durch die Elektrifizierung des Energiesystems (insbesondere in den Bereichen Verkehr und Wärme) rechnet man allerdings damit, dass der Stromverbrauch um ca. 11 Prozent zunehmen wird. Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, sollen bis 2050 Importe die inländische Stromproduktion ergänzen. Obwohl ab 2050 also eine ausgeglichene Stromhandelsbilanz angestrebt wird, ist die Schweiz nach wie vor stark auf seine Nachbarstaaten und die Europäische Union angewiesen: Die gerechneten Szenarien gehen davon aus, dass im Winter 2050 ca. 9 Terawattstunden Strom importiert werden müssen, welcher hauptsächlich aus Wind erzeugt wird.

Doch nicht nur um diese saisonalen Differenzen auszugleichen, ist die Vernetzung mit dem Ausland wichtig. Bei der Erzeugung von Strom mit Wind oder Sonne kommt es auch zu kurzfristigen Schwankungen im Netz. Wir brauchen den grenzüberschreitenden Handel, um diese auszugleichen. Die Wasserkraft, die in der Schweiz eine bedeutende Rolle spielt, kann ebenso ausgleichend wirken und zur Stabilität des Stromnetzes beitragen. Zudem kann die Wasserkraft in Zeiten grosser Nachfrage zuverlässig Energie liefern – das ist für die Schweiz auch finanziell lukrativ, da dieser Strom teuer verkauft werden kann. Eine Voraussetzung ist daher, dass die Schweiz auch weiterhin gut im europäischen Strommarkt integriert ist und die grenz­überschreitenden Netzkapazitäten effizient genutzt werden. Dies ist im aktuellen politischen Kontext nicht per se gegeben.

2007 haben die Europäische Union (EU) und die Schweiz Verhandlungen zu einem bilateralen Abkommen im Elektrizitätsbereich initiiert. Damit sollte die Schweiz auch rechtlich und politisch in das europäische Stromsystem eingebunden werden. Der Abschluss eines Abkommens ist aber an die Klärung institutioneller Fragen gekoppelt. Der Bundesrat hat im Mai 2021 die Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen (sogenanntes Institutionelles Abkommen, InstA) abgebrochen4, die diplomatischen Beziehungen sind seither kühler. Die Schweiz versucht das Verhandlungspaket unter anderem um den Bereich Strom zu ergänzen. Nach sechs Sondierungsrunden zeigt sich, dass eine Gesprächsbereitschaft besteht, aber schlussendlich dieselben Themen auf dem Tisch liegen. Am Verhandlungsmandat der EU hat sich bisher nichts geändert. Sie setzt also die Klärung der institutionellen Fragen voraus für den Abschluss weiterer sektorspezifischer und die Aktualisierung bestehender Abkommen.

Ausschluss vom europäischen Strombinnenmarkt hat negative Folgen

In den letzten Jahrzehnten hat sich der europäische Strombinnenmarkt laufend weiterentwickelt. Der grenzüberschreitende Stromhandel ist heute auf EU-Ebene reglementiert. Die Schweiz ist als Drittstaat von praktisch allen Marktmechanismen und Massnahmen für die Versorgungssicherheit ausgeschlossen.5 Dies betrifft insbesondere die Marktkopplung, den Zusammenschluss der Strommärkte, welche seit 2015 die meisten europäischen Länder umfasst. Für die Schweiz hat der Ausschluss einen negativen Einfluss sowohl auf die Handelstätigkeiten als auch auf die Netzstabilität. Der grenzüberschreitende Kurzfristhandel findet seit 2018 ohne die Schweiz statt, Schweizer Handelsteilnehmer können von ihrer optimalen geografischen Lage im Herzen Europas nicht profitieren.6 Seit dem Jahr 2021 anerkennt die EU die Schweizer Herkunftsnachweise nicht mehr an. Diese dienen der Elektrizitätswirtschaft als Nachweis für die Stromkennzeichnung (also wo und wie er ursprünglich produziert worden ist) und können unabhängig vom physikalischen Strom gehandelt werden. Dadurch entgehen den Schweizer Stromproduzenten potenzielle Einnahmen im zweistelligen Millionenbereich.7 Und schliesslich ist das Inkrafttreten des EU Clean Energy Package im Jahr 2020 besonders bedeutsam. Diese Verordnung verpflichtet die Übertragungsnetzbetreiber in der EU ab 2025 mindestens 70 Prozent der verfügbaren grenzüberschreitenden Kapazität für den EU-internen Stromhandel zu reservieren. Es ist noch nicht klar, ob dadurch als Nicht-EU-Land weniger Kapazität für Stromflüsse in und aus der Schweiz zur Verfügung stehen wird. Dies könnte zu Instabilität und höheren Kosten im Schweizer Stromnetz führen.8

Das allgemeine Verständnis für die aussenpolitische Komponente der Energiepolitik ist seit Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 und der damit verbundenen Energiekrise in Europa stark gestiegen. Wie viel Energie eingespart werden kann und wie schnell zusätzliche, erneuerbare Kapazitäten aufgebaut werden können, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Doch bereits vor der Energiekrise war klar, dass die ungelösten Fragen bezüglich der Beziehung zur EU dringender werden. Studien zeigen, dass die Schweiz insbesondere während der nächsten Jahre tendenziell noch mehr erneuerbaren Strom importieren muss, weil noch nicht alle Kapazitäten aufgebaut sind.9 Die Beziehung zur EU ist ausserdem auch für andere kurz- und langfristige Energieträger wie Erdgas, Wasserstoff und Biogas wichtig. Im Zusammenhang mit der Transition der Schweiz zu Netto-Null-Emissionen der Energieversorgung ist also nicht zu vergessen: Erstens beinhaltet das Ziel eine starke Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn. Zweitens ist die Vernetzung mit Europa zum aktuellen Zeitpunkt zwar physisch gegeben, steht aber hinsichtlich der weiteren Entwicklung, insbesondere politisch, vor grossen Hürden.

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Anna Stünzi promovierte am Center for Economic Research der ETH Zürich. Sie arbeitet aktuell als Post­doctoral Researcher an der Universität St. Gallen, hat eine Affiliation am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und doziert an der Universität St. Gallen und der ETH Zürich. Seit November 2019 ist sie Präsidentin des Thinktanks «foraus».

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Referenzen

[1] Brunner F (2020) Raus aus der Energieabhängigkeit. In: Energie und Umwelt [Schweizerische Energie-Stiftung SES], 4-5.
https://www.energiestiftung.ch/files/energiestiftung/publikationen/energie-und-umwelt/e-u_1_2020.pdf

[2] Bundesamt für Statistik (BFS) (2021) Versorgung.
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/energie/versorgung.html

[3] Bundesamt für Energie (BFE) (2020) Energieperspektiven 2050 +.

[4] Bundesrat (2021) Das Institutionelle Abkommen Schweiz-EU wird nicht abgeschlossen. https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-83705.html

[5] Dörig S (2020) Strom. Ein Abkommen gegen den schleichenden Ausschluss. In: Der bilaterale Weg: Wie weiter mit einem überholten Betriebssystem? foraus Policy Brief.
https://www.foraus.ch/wp-content/uploads/2020/09/20200930_Der-bilaterale-Weg_WEB.pdf

[6] VSE (2020) CH und EU: Führt durchs Abseits auch ein Weg?
https://www.strom.ch/de/nachrichten/ch-und-eu-fuehrt-durchs-abseits-auch-ein-weg

[7] NZZ magazin (2021) Millionenschaden bei Stromfirmen wegen EU-Entscheid.
https://magazin.nzz.ch/wirtschaft/millionenschaden-bei-stromfirmen-wegen-eu-entscheid-ld.1646082

[8] Sissgrid (2022) Die 70%-Regel und die Schweiz.
https://www.swissgrid.ch/de/home/newsroom/blog/2022/die-siebzig-prozent-regel.html

[9] Gjorgiev B, Garrison JB, Han X, Landis F, van Nieuwkoop R, Raycheva E, Schwarz M, Yan X, Demiray T, Hug G, Sansavini G, Schaffner C (2021) Nexus-e: A platform of interfaced high-resolution models for energy-economic assessments of future electricity systems. Applied Energy, 177, 118193. DOI: 10.1016/j.apenergy.2021.118193.

Ist ein Stromabkommen mit der Europäischen Union in Sicht? Für die Versorgungssicherheit, aber auch hinsichtlich des Netto-Null-Ziels ist die Schweiz auf gute Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten angewiesen. Foto: Pixabay
Ist ein Stromabkommen mit der Europäischen Union in Sicht? Für die Versorgungssicherheit, aber auch hinsichtlich des Netto-Null-Ziels ist die Schweiz auf gute Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten angewiesen. Foto: PixabayBild: Pixabay

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